Michael Lemster über seine Familienbiografie DIE GRIMMS „Das ist ein liebevoll bebilderter und ausgestatteter Wälzer, so richtig zum Abtauchen in fremde, dramatische Zeiten“

Der langjährige Weltbild-Programmleiter und spätere E-Commerce-Spezialist Michael Lemster ist seit zwei Jahren auf die Autorenseite gewechselt: Nach seiner historischen Familienbiografie DIE MOZARTS hat er jetzt bei Benevento DIE GRIMMS vorgelegt. Das war Anlass für unser heutiges Autorengespräch über seinem „persönliches Herzensprojekt“, das derzeit schon auf große Resonanz in den Medien stößt: 

Herr Lemster, worum geht es denn in DIE GRIMMS?

Michael Lemster: „Ich stelle mir die LeserInnen mittelalt und gebildet vor. Sie lieben es leicht lesbar und gleichzeitig substanziell – ich gebe es ihnen. Toll zum Verschenken an jeden, dem man signalisieren will, dass er/sie gebildet ist“ (c) Mercan Fröhlich-Mutluay

 

Michael Lemster: Die Grimms, das waren nicht nur die Märchenbrüder Jacob und Wilhelm, die Autoren des berühmtesten und meistübersetzten deutschsprachigen Buches „Kinder- und Hausmärchen“. Wir glauben sie zu kennen – hier lernen wir sie neu und richtig kennen. Und sie hatten in der eigenen Familie einen Konkurrenten, mit dem sie eine dramatische Geschichte verbindet. Und sie hatten einen Malerbruder, der zum Bildchronisten der Romantik wurde mit ikonischen Bildnissen von Brentano, Bettine und Achim von Arnim, Heine und nicht zuletzt seinen Märchenbrüdern und der großen Grimm’schen und Brentano’schen Sippschaft.

Das ist wieder eine kulturhistorische Familienbiografie, wie Sie sie schon 2019 mit DIE MOZARTS vorlegten?

Ja, ich schildere eine typische bürgerliche Familie, die während der Renaissance- und Reformationszeit sichtbar wird und über die Generationen langsam die ehernen Stufen der gesellschaftlichen Hierarchie hochsteigt. Dabei hören die Mitglieder nicht auf, Menschen zu sein. Ich zeige das Menschliche inmitten der (oft unmenschlichen) Zeitläufte, zeige, wie die Zeit und deren Nöte sie und ihr Handeln prägen – ohne mit dem Zeigefinger des Menschen des 21. Jahrhunderts auf sie zu deuten und moralische Zensuren zu verteilen, wie es in historischen Biografien immer noch zu oft vorkommt.

Die Grimms waren Kriegskinder, ihre Zeit die der Koalitions- und Befreiungskriege.

Und die Lebenszeit dieser Generation weist überraschende Übereinstimmungen mit der heutigen auf. Was heute das Internet ist, war damals das durch Mechanisierung, Massenalphabetisierung und -politisierung boomende Verlags-Business. Und die hereinbrechende wirtschaftliche, technische und politische Modernisierung hinterließ viele Verlierer, die ihre Welt nicht mehr kannten und teilweise destruktiv radikal wurden.

Was haben Sie bei der Arbeit an Ihren Die Grimms entdeckt ?

Sie wollten nicht zu den Verlierern der Geschichte gehören und erarbeiteten sich zäh und mit fairen und weniger fairen Mitteln öffentliche Geltung. Obwohl sie als Wissenschaftler strenge Methoden erfanden und anwandten, scheuten sie ausgerechnet bei den „Kinder- und Hausmärchen“ nicht vor groben Klitterungen zurück. Auch die Geschichte dieser Fälschungen erzähle ich.

Wem kann das eine BuchhändlerIn wohl mit welchem Argument am besten verkaufen?

Das Buch ist ein liebevoll bebilderter und ausgestatteter Wälzer von bald 500 Seiten, so richtig zum Abtauchen in fremde, dramatische Zeiten. Ich stelle mir die LeserInnen mittelalt und gebildet vor. Sie lieben es leicht lesbar und gleichzeitig substanziell – ich gebe es ihnen. Toll zum Verschenken an jeden, dem man signalisieren will, dass er/sie gebildet ist. Macht der/dem Schenkenden alle Ehre, weil es einfach schön ist mit tollen Details, die zum Verständnis beitragen und den Text weiter erschließen (Stammbaum, Zeittafel, Deutschlandkarte etc.)

„Ich begreife mich nicht als Grimm- oder Mozart-Spezialist, sondern als Erzähl-Spezialist, dem es um das zu tun ist, was die Engländer „a good read“ nennen“ (Durch Klick zum Buch)

Was hat Sie eigentlich bewogen, auf die Autoren-Seite zu wechseln?

Ich erfülle mir damit meinen Jugendtraum, der mich zunächst in die Bibliothekars-, dann in die Verlags-, dann in die Onlinebuchhändler-Laufbahn gebracht hat und an dem ich trotz vieler anderweitiger Verpflichtungen festgehalten hab, bis die Gelegenheit kam. Ich suche in der Kulturgeschichte und in der aktuellen Gesellschaft Geschichten, die es wert sind, spannend und bildkräftig erzählt zu werden.

Macht das mehr Spaß als Ihre früheren Tätigkeiten?

Mal ja, mal nein, überwiegend aber ja. Es ist überaus reizvoll, eine Zeit und ein Milieu genau zu entdecken, die Geschichten und Geschichtchen rauszupräparieren und schön zu erzählen. Damit leugne ich nicht die Mühen der Ebene, die mit Umstellungen oder Kürzungen einhergehen. Ich wünsch mir ein KI-gepowertes WORD, das mir z.B. hilft, in 800 Manuskriptseiten einen Inhalt wiederzufinden, dessen Wortlaut ich vergessen habe. Sich Überblick in solchen Textmassen zu verschaffen, ist manchmal qualvoll, gerade wenn ich mich sehr lang mit einem Thema befasse.

Machen Sie weiter?

Klar! Sitze grad an einer neuen kulturhistorischen Familienbiografie, einer „from rags to riches“-Geschichte im katholischen Süden Mitteleuropas. Kommt rechtzeitig zu einem wichtigen Familienjubiläum. Und ich hab massig Ideen zu weiteren Büchern. Die Themen werden mir nie ausgehen. Und es gibt kaum ein Thema, das per se unattraktiv ist. Es gilt das für uns heute Spannende und Relevante herauszupräparieren.

Was denken Sie über den Buchmarkt heute?

Er ist – die Zahlen beweisen es – besser, als manche es wahrhaben wollen. Die Buchmenschen sind aber groß darin, ihren Markt kaputtzureden. Eine Folge: maximale Risikoscheu. Fast nur noch sichere Themen und Autoren schaffen es in die Verlagsprogramme. Noch wichtiger als der Inhalt ist die Zuordnung zu einer Abteilung, Kategorie, Schublade. Diese Schubladen werden eine nach der anderen am POS abgeschafft. Der „Buchhandel der Leidenschaftlichen“, die persönlich Bücher empfehlen, ohne dass diese „geborene Bestseller“ sind, geht zurück. Es droht eine „Verkalkung“ und Erstarrung, wenn Newcomer kaum noch in den Markt kommen. Die Konkurrenz brauche ich nicht zu fürchten, zumindest habe ich das noch nicht sehen müssen. Eher fürchte ich die Entscheidungsschwäche in den Verlagen.

Die Konkurrenz fürchten Sie nicht? 

Ich begreife mich nicht als Grimm- oder Mozart-Spezialist, sondern als Erzähl-Spezialist, dem es um das zu tun ist, was die Engländer „a good read“ nennen. Dennoch finden Sie keine fiktiven Dialoge und bemühe ich mich um 100% belegbare Fakten und konsultiere Fachgelehrte, um das Gesagte abzusichern. Fiktionen findet man nicht in meinen Büchern, und wenn ich rate, dann kennzeichne ich eine Stelle als „guesswork“.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

Die Resonanz in den Medien ist bisher großartig, wie Lemster berichtet: 

Die Presse (Wien) berichtete ganzseitig
• Gestern war Michael Lemster von  16:30 bis 17:00 live im MDR-TV
• kommenden Montag dreht das BR-TV mit ihm für „Capriccio“
• der WDR-Hörfunk produziert gerade für sein Magazin „Scala“ einen Beitrag über Märchen und die Grimms, bei dem er sich zentral auf sein Buch stützt und in dem Lemster zu Wort kommt
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