Das Sonntagsgespräch Gerhard Beckmann und Heinz Zirk (Foto) über die betriebswirtschaftlichen Probleme des stationären Buchhandels

Heinz Zirk

Heinz Zirk (62) reiste seit 1967 als angestellter, seit 1970 als freier Vertreter in Berlin, seit 1990 auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Zunächst für Anabas, Benteli, EVA, Melzer, Parabel, und seit 1972 für Hanser. Zuletzt vertrat er Berenberg, die Egmont Buchverlage, Frederking & Thaler, Hanser, Kunstmann, Steidl, Transit, Unionsverlag, Wagenbach, Elisabeth Sandmann und Zabert Sandmann. Er ist nicht nur eines der Urgesteine seiner Berufsgruppe. Er hat auch ihr Profil mitgeprägt und war von 1997 bis 2003 Vorsitzender AG Verlagsvertreter.

Beckmann: In letzter Zeit hat es Nachrichten über Schließungen von Filialen bei Thalia oder bei DBH gegeben, die Aufsehen erregten. Wissen Sie über die spektakulären Vorkommnisse hinaus von weiteren?

Zirk: Da ich nicht weiß, ob alle Schließungen in der Branchenpresse publiziert wurden, will ich nicht alle mir bekannten im Einzelnen hier aufzählen. Ich gehe einfach davon aus, dass wir beide auf dem gleichen Wissensstand sind.

Beckmann: Inwiefern sind diese Schließungen signifikant? Sind sie überraschend, oder waren sie zu erwarten?

Zirk: Die bekannten Schließungen sind weder signifikant noch überraschend. Ich kann auch ohne Begründung der betroffenen Filialisten jede einzelne verstehen. Die Probleme der Filialisten liegen mit Sicherheit nicht bei diesen kleinen Häusern – die zum Teil auch gar nicht mehr in das neue Konzept gepasst haben – sondern viel mehr bei Renommiergroßflächen (z. B. Hugendubel, Hannover und Stuttgart, Mayersche in Düsseldorf oder Thalia in Braunschweig).

Beckmann: Welche Folgen könnten diese Schließungen haben? Ist davon auszugehen, dass Thalia, DBH oder auch die Mayersche das Expansionstempo der vergangenen Jahre drosseln? Dass es zu spürbar weniger Neueröffnungen von Filialen kommen wird?

Zirk: Dass das Tempo der letzten Jahre nachlassen wird, hat vor allem demographische Gründe. Der Einfachheit halber greife ich auf die alten vierstelligen Postleitzahlen zurück. Früher gab es in Orten mit einer vierstelligen PLZ nur in Ausnahmefällen (Kur- / Urlaubsorte oder Seebäder) überhaupt eine Buchhandlung. Aber bis in die alten dreistelligen PLZ’s haben sich die Filialisten schon vorgearbeitet. Die Grenzen der Expansion kann man am Beispiel Würzburg (zweistellige PLZ) und Schweinfurt (dreistellig) sehen.

Auch in einer Universitätsstadt wie Würzburg ist lediglich eine Großfläche rentabel zu führen. Deshalb geht dann Thalia von Würzburg nach Schweinfurt und ist dort lieber lachender Erste als in Würzburg weinender Zweiter. Wenn es einen Filialatlas mit Stand 2009 gäbe, könnte man auf einen Blick sehen, dass es nur noch wenig Möglichkeiten gibt. – Aber dieses Gespräch hat ja nicht den Sinn, die Filialisten darauf hinzuweisen. Deshalb verzichte ich hier auf sachdienliche Hinweise.

Beckmann: Es hat sich ja eh so mancher – nicht nur in der Branche – gefragt, wie die Großfilialisten den doch gewiss sehr hohen Kapitalbedarf für ihre Expansion gedeckt haben und woher sie das Kapital haben. Oder verfügen sie etwa über hinreichend Eigenkapital?

Zirk: Bei dieser Frage kann ich (wie alle, die nicht in leitender Funktion bei dem entsprechenden Filialisten beschäftigt sind) nur spekulieren. Ich gehe aber unabhängig von einem konkreten Wissen davon aus, dass die Neueröffnungen und Zukäufe erstmal höhere Umsätze generieren, und die entstandenen Kosten werden abgeschrieben. Bei Mietverträgen mit einer durchschnittlichen Laufzeit von zehn Jahren und einer Anlaufzeit von (höchstens) fünf Jahren wird die Zentrale spätestens dann entscheiden: Wir bleiben oder die Filiale wird geschlossen.

Beckmann: Kann man davon ausgehen, dass die Expansion mit ihren Umsatzsteigerungen eine – auch in Hinsicht auf den Kapitalbedarf – zufriedenstellende Rendite erbrachte? Oder könnte man vermuten, dass nun Engpässe entstanden sind oder entstehen – angesichts der weltweiten, auch deutschen Bankenkrise und der offensichtlich um vieles erschwerten Bedingungen für den Erhalt bisheriger Kreditlinien wie dem wesentlich schwierigeren Zugang zu neuen Krediten?

Zirk: Leider stellen die Filialisten weder ihre Deckungsbeitragsrechnungen noch ihre Bilanzen zur Verfügung. Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, stochert man im Nebel. Ein Indiz für die Verhältnisse ist z.B., dass Oetker seine Anteile in Hagen erhöht hat. Das bedeutet Kapitalzufuhr, ist aber auch ein Anzeichen für Kapitalbedarf. Letzten Endes bedeutet es aber auch mehr Mitsprache in der künftigen Ausrichtung. Die Weltbild-Gruppe steht ja auch zum Verkauf – und ich glaube nicht, dass die deutschen Bischöfe die Gruppe für den Peters-Pfennig abgeben wollen.

Beckmann: Steht zu erwarten, dass Thalia und DBH an ihrem bisherigen Konzept festhalten? Müsste es nicht revidiert werden?

Zirk: Ich sehe keinen Grund, dass die beiden etwas grundsätzlich verändern. Im Gegenteil: Durch die Krise sind etwa geplante Übernahmen jetzt mit weniger Einsatz zu bekommen als noch vor einem Jahr. Keiner der beiden expandiert auf Teufel komm raus, und wenn man die Ohren offen hält, ist man erstaunt, dass es doch etliche Buchhändler gibt, die auf ein Angebot warten. Wie schon gesagt, bei längerem Warten kann es nur günstiger für den Käufer werden.

Beckmann: In den USA, in Großbritannien und Australien haben Großfilialisten – aber auch Supermärkte und Discounter – weil dort keine Buchpreisbindung existiert, im Rahmen ihrer Expansion bei renditeschwachen Häusern immer wieder ihre Konditionsforderungen erhöht und damit Verlage in Nöte gebracht. Drehen unsere Großfilialisten momentan erneut an der Konditionenschraube?

Zirk: Bei den Rabatten haben alle Filialisten die Schraube bei den für sie wichtigen Verlagen so fest angezogen, dass die Verlage sich bei weiteren Forderungen eher auslisten lassen und den Bezug über das Barsortiment empfehlen. Etwas anders sieht es bei den „weichen“ Konditionsbestandteilen (Valuta, Remittendenbearbeitung, WKZ) aus. Diese Themen sind – wenn sie nicht schon für die Zentrale zufriedenstellend gelöst sind – mit Sicherheit Punkte für die jeweiligen Jahresgespräche. Auf beiden Seiten des Tisches sind aber sowohl denkende als auch rechnende Menschen zugegen. Den einen Verlag braucht man für das Image, den anderen für den Umsatz.

Mit Sicherheit wird auch in Deutschland hart verhandelt, aber Verhältnisse wie Sie sie eingangs erwähnten sind mir (bisher) nicht bekannt.

Beckmann: Unter den Angestellten der Großfilialisten herrscht seit einiger Zeit Unruhe – wegen des generellen Personalabbaus in vielen Filialen, wegen des Abbaus von Vollsortimenterstellen zugunsten von Arbeitsplätzen ungelernter und dadurch billigerer Mitarbeiter usw.

Zirk: Dies ist eine Folge der Expansion. Es ist ja nicht so, dass die Vollsortimenter entlassen würden, sondern diese werden in neuen Filialen benötigt. Der buchhändlerische Arbeitsmarkt ist so gut wie leer gefegt. Dies hat auch mit der mangelnden Bereitschaft der kleinen und mittleren Sortimenter, was Ausbildung anbelangt, zu tun – während z.B. Hugendubel und Thalia kontinuierlich ausbilden, schon im eigenen Interesse!

Für etliche Arbeiten wie Nachräumen, Remittenden verpacken, Kassieren u.ä. braucht man keine buchhändlerische Ausbildung. Das Problem entsteht beim Kunden, da auch diese Mitarbeiter mit einem Namensschild am Revers in den Läden herumlaufen und auf Fragen meist nur antworten: „Es tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“ Die (theoretisch) vorhandenen Vollsortimenter haben alle Anspruch auf Urlaub, freie Tage, sind auf Fortbildung oder auch mal krank. Für Außenstehende sieht das dann nach Unterbesetzung aus, aber selbst eine Verdopplung der Vollsortimenterstellen würde nicht zu der dann nötigen Erhöhung des Umsatzes von 50 % führen.

Beckmann: Nun ist es ja wohl etwas anderes, ein mittleres Sortiment zu führen oder ein Großunternehmen mit vielen möglichst zentral zu steuern. Sind also die vielfach beklagten Veränderungen in der Personalstruktur der Großfilialisten konzeptbedingt von vornherein zu erwarten gewesen oder nun eher ein Zeichen dafür, dass das ursprüngliche Konzept inzwischen betriebswirtschaftlich nicht aufgeht?

Zirk: Die betriebswirtschaftlichen Probleme liegen mit Sicherheit nicht in der Personalstruktur, sie sind systemimmanent. Bücher sind nun mal preiswerte Güter. Wenn ich bei C & A eine Jeans kaufe, lasse ich – je nach gewählter Marke – zwischen € 98,– und € 248,– an der Kasse. Die Beratung dauert in etwa genauso lange wie die Beratung eines Kunden, der vom Sortimenter etwas über den „Schwarzen Schwan“ wissen will. Kauft der Kunde, lässt er € 24,90 an der Kasse. Ladenmiete, Personalkosten, Wareneinsatz – alles mögliche lässt sich vergleichen – nur sind die Umsätze pro m² Verkaufsfläche bei C & A doppelt so hoch.

Damit man sich annähert, wird mittlerweile das Angebot an Nonbooks – die ja nicht gerade beratungsintensiv sind – ausgeweitet. Ob dies der Weisheit letzter Schluss ist, sei dahingestellt.

Beckmann: Als Vorteil der Filialen mit ihren großen Flächen ist anfänglich angeführt worden, sie kämen mit einem unvergleichlich zahlreicheren Titelangebot. Mittlerweile ist zu hören, die Breite ihres Sortiments sei hier und da spürbar kleiner geworden. Wiederum die Frage: Haben sich da konzeptionelle Erwartungen am Ende nicht erfüllt? Ist die Vorstellung, ein Riesenangebot weitgehend mittels Selbstbedienung an den Kunden bringen zu können, nicht aufgegangen? Machen sich da schon Folgen von neueren Personaleinsparungen bemerkbar? Oder ist es sogar nötig geworden, an dieser Stelle zu sparen, in Richtung einer niedrigeren Kapitalbindung?

Zirk: Diese Fragen sind sehr diffizil. Sowohl bei Thalia als auch bei der DBH sind im Schnitt auf Flächen ab 800 m² etwa 60.000 verschiedene Titel auf den Tischen und in den Regalen. Das ist etwa das Dreifache dessen, was die meisten mittleren Buchhandlungen am Lager haben. Natürlich wurden ganz spezialisierte Titel, die die eine oder andere Filiale am Lager hatte, nach einer Beobachtungszeit wieder remittiert. Aber grundsätzlich kann ich nicht von einer Verkleinerung des Angebots sprechen. Es ist doch so, dass 50-70 % des jeweiligen Filialumsatzes mit dem Angebot auf den Tischen und Eingangswänden generiert wird. Die Titel in den Regalen führen bei den Filialisten das gleiche Schattendasein wie im normalen Sortiment. Wir wissen doch beide, daß 80 % aller Novitäten nach Verlassen der Auslieferung nur noch dahinvegetieren oder gar gleich sterben.

Jeder Filialist hat auch seine hausgemachte Meinung, wie hoch ein Stapel sein muss, um genug Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Selbstbedienung funktioniert ja auch nur bei Stapeln oder Themen (Krimi, Science fiction, Fantasy u.ä.). Beim Bilderbuch oder der Philosophie ist auch bei den Filialisten der Buchhändler gefragt.

Beckmann: Es wird immer wieder berichtet und befürchtet, dass Amazon und die Online-Geschäfte auf Kosten des stationären Buchhandels weiter stark wachsen. Was man in letzter Zeit über Großflächenfilialen, aber auch über Weltbild vernimmt, scheint nicht dafür zu sprechen, dass man sich in hohem Maße darum bemüht, die Kunden mit ihren Interessen zufrieden zu stimmen. Und was die verschiedenartigen Nachrichten von der Personalfront betrifft, lässt darauf schließen, dass die Motivation der Mitarbeiter leidet. All das macht mir Sorge, die Entwicklung bei den Großfilialisten könnte viele ihrer bisherigen Kunden den Online-Händlern geradezu in die Arme treiben.

Zirk: Dass die Online-Händler weiter wachsen, macht mir auch Kopfschmerzen. Aber nicht jede Entwicklung kann man den Filialisten anlasten. In den letzten Wochen und Monaten las man ja nicht nur von Schließungen bei den Filialisten, sondern (in größerer Zahl) von Schließungen in Klein- und Mittelstädten. Für größere Anschaffungen fährt man dort zwar in die Großstadt, bei Büchern nimmt man den Online-Händler.

Mein Bruder wohnt in einer Kleinstadt. Für ihn gibt bei Lesewünschen immer zwei Möglichkeiten: Er ruft mich an und fragt, ob ich es ihm besorge, oder er bestellt bei Amazon. Nun wohnen beileibe nicht alle Online-Kunden in Klein- oder Mittelstädten. Auch dazu ein Beispiel aus einer unmittelbaren Umgebung. Ich wohne in Berlin-Charlottenburg am Savignyplatz. Von Buchhandlungen bin ich geradezu umzingelt. Im Umkreis von fünf Fußminuten liegen: Schropp, Lehmanns, Knesebeck Elf, Bücherbogen, Schoeller und die Autorenbuchhandlung. Zehn bis fünfzehn Minuten entfernt sind Kohlhaas, Hugendubel am Tauentzien und Hugendubel im KaDeWe.

Der Paketbote weiß, dass er seine Sendungen an andere Hausbewohner am leichtesten bei uns abgeben kann. Ich habe nicht notiert, wie viele Büchersendungen von Amazon ich alleine im letzten Jahr entgegen genommen habe. Dass auch Kunden, die (Gottseidank!) dann in eine Buchhandlung gehen, sich vorher online informiert haben, erlebt man immer häufiger. Sie kommen dann mit dem jeweiligen Ausdruck in der Hand in den Laden und sagen dem Buchhändler: „Ich gebe Ihnen mal die ISBN“ und sind völlig überrascht, wenn der Buchhändler nicht wie erwartet sagt: „Kommen Sie morgen wieder“ sondern: „Das Buch habe ich am Lager. Soll ich es als Geschenk verpacken oder reicht eine Tüte?“

Der immer mehr zunehmende Einkauf beim Online-Händler ist ein Problem des gesamten stationären Buchhandels und mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht dem Verhalten der Filialisten geschuldet. Diese Situation wird sich durch die E-Books noch verschärfen. Die Filialisten werden die Entwicklung bestimmt nicht verschlafen. Aber wie verhält sich das kleinere und mittlere Sortiment? Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit in Verbindung von Verband und Verlagen gefordert.

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