Wir sprachen mit Walter Grond über die Europäischen Literaturtage 2018 „Was ist in der digitalen Moderne, das Spezifische des literarischen und filmischen Erzählens geblieben?“

Walter Grond (c) Theres Cassini

Die Europäischen Literaturtage feierten 2018 ihr zehnjähriges Bestehen. Vom 22. bis zum 25. November versammelten sich europäische Kulturschaffende und Kulturinteressierte auf Schloss Spitz (Wachau), um über Literatur und Europa zu diskutieren. Zum diesjährigen Thema „(Un)glückliche Liebe, verzwicktes Glück. Erzählen in Literatur und Film“ begegneten einander SchriftstellerInnen und FilmemacherInnen und machten die Wachau bereits zum 10. Mal zum perfekten Ort für alle, die den kulturellen Austausch über die Landesgrenzen hinaus suchen. Wir sprachen dazu mit Walter Grond, dem künstlerischen Leiter der Europäischen Literaturtage:

BuchMarkt: Herr Grond, wie ist Ihr Resümee zu den diesjährigen Literaturtagen?

Walter Grond: Der Wunsch nach Auseinandersetzung wächst unter den AutorInnen, wir bemerken,  wie sehr sich viele wieder gesellschaftlichen Fragen zuwenden. Von der Eröffnung mit Robert Menasse und Richard David Precht bis hin zur abschließenden Matinee mit Ilja Torjanow spannte sich der Bogen von Fragen, die sich durch die Dialoge und Diskussionen zogen: Wie steht es um unsere Welt? Was sind die wichtigsten Elemente  des gegenwärtigen Umbruchs? Welche Bilder machen wir uns davon? Wie können literarische und filmische Erzählungen dabei helfen, sich in der diffusen Informationswelt zu orientieren? Was ist das Wesentliche an der Literatur (auch) im digitalen Zeitalter? Welcher Wandel hin zu einer industriellen Autorenschaft findet gerade statt? Was bedeutet es, wenn sich SchriftstellerInnen wieder vermehrt zu politischen und gesellschaftlichen Fragen zu Wort melden?

Konnten Sie einen wahren Besucheransturm verbuchen?

Tatsächlich konnten wir nicht alle BesucherInnen aufnehmen, die an der Eröffnung der Europäischen Literaturtage teilnehmen wollten. Insgesamt ist zu bemerken, dass sich wesentlich mehr Menschen wieder für inhaltlich ausgerichtete Veranstaltungen interessieren und nicht nur für unterhalten werden wollen.

Die Wachau wurde als Veranstaltungsort ausgewählt –  ein Glücksgriff?

Die Europäischen Literaturtage wollen ein Raum für Begegnungen sein, von Begegnungen zwischen AutorInnen und Literaturinteressierten über Sprach-und Kulturgrenzen hinweg.  Das besondere Ambiente der Wachau ist dabei wichtig. Um sich wirklich austauschen zu können, ist es wichtig, sich wohl zu fühlen. Darauf legen wir großen Wert, daher auch das musikalische, kulturelle und kulinarische Rahmenprogramm.

Das Thema „(Un)glückliche Liebe, verzwicktes Glück. Erzählen in Literatur und Film“ stand im Mittelpunkt. Wie entstand die Idee dazu?

Unsere Themen entstehen stets aus den Diskussionen und Schwerpunktsetzungen des Vorjahrs. Es bleibt ja immer ein Rest, etwas, das angerissen wurde und weiter besprochen werden will. Ausgangspunkt war dieses Mal, das Erzählen in unserer digitalen Welt zu hinterfragen.

Noch nie wurden so viele Bilder produziert, und noch nie wurde so viel geschrieben wie heute. Selbstdarstellung und der Wettbewerb um Aufmerksamkeit sind wichtige Ressourcen des neoliberalen Kapitalismus. Alle erzählen, von PolitikerInnen bis KonsumentInnen bis Userinnen – selbst ManagerInnen und MarketingexpertInnen sprechen heute gerne von Erzählungen, die sich um Ereignisse, Prozesse, technische Erfindungen oder gar Produkte, die man verkaufen will, ranken. Wir wollten daher fragen: Was hat das mit Literatur und was mit Film zu tun? Anders gefragt: Was ist in der digitalen Moderne, dieser Alle-Erzählen-Alles-Welt, das Spezifische des literarischen und filmischen Erzählens geblieben?

Wie wurde das Thema interpretiert und von den Autoren in den Gesprächsrunden umgesetzt?

Es wurden viele Einzelfragen diskutiert, wie etwa das Verhältnis von einfachen Narrative zu etwas wie einem komplexen Erzählraum. Oder was für Geheimnisse im Akt des Erzählens frei werden. Oder wie bei Filmadaptionen von Literatur eine eigene Geschichte entsteht. Ich fand das Panel über „Das Gesetz der Serie“ sehr gewinnbringend, das von der Industrialisierung von Autorenschaft handelte. Im Grunde wiesen dann doch alle AutorInnen und FilmemacherInnen auf die Empathie hin, auch auf den Mut und auf das Risiko, die neben dem Handwerk für das Erzählen einer Geschichte wichtig sind.

Die Besonderheit einer solchen Veranstaltung, ist u.a. der kulturelle Austausch über die Landesgrenzen hinaus – wie ist das zu verstehen?

Die Europäischen Literaturtage sind ein Literaturfestival, das nicht darauf ausgerichtet ist, den aktuellen Buchmarkt zu bedienen. Wir programmieren über den Augenblick hinaus.  Die Europäischen Literaturtage sind ein Think Tank mit internationalen AutorInnen, und sie legen großen Wert darauf, dass sie sinnstiftend sind, aber auch weiterführend.  Bei uns entstehen Projekte, Beziehungen zwischen bestehenden Initiativen, europäische Kooperationen. Und AutorInnen aus sehr verschiedenen Literaturkreisen lernen sich kennen.

Was soll vermittelt werden?

Die Europäischen Literaturtage sind der Jahreshöhepunkt eines europäischen Netzwerkes von Literaturinstitutionen, das wir „Literaturhaus Europa“ nennen.  Literaturhaus Europa ist getragen von der Überzeugung, dass die  Literatur auch im Zeitalter des ständigen Mediengebrauchs ihren Zauber nicht verloren hat und literarische Erzählungen dabei helfen, sich zu orientieren und zu entwickeln. Literaturhaus Europa wendet sich an alle, die für die Literatur und den Wunsch offen sind, unsere gegenwärtige Welt besser zu verstehen.

Welche Momente sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

All die Dialoge, ich liebe dieses Ringen um Sinn. Und dann ein Auftritt wie der von Madame Nielsen und ihr Bekenntnis, wie das Schreiben und das ständige Sich-der-Welt-Ausliefern eine Antwort auf existentielle Ängste sind. Momente ohne Marketing-Steuerung. Und dann die freundlichen Abende nach langen Tagen, an denen man beieinander bleibt und gesellig ist, und man fast meinen möchte, Teil einer utopischen Gesellschaft zu sein.

Können Sie bereits einen Ausblick auf die Europäischen Literaturtage 2019 geben?

Das Thema wird lauten „Was ist ein gutes Leben?“, und wir werden uns auch mit Künstlicher Intelligenz, und was das für die Literatur bedeutet, beschäftigen.

 

 

 

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