Manesse-Verleger Horst Lauinger zur Frage: "Welche Lese-Zukunft haben Klassiker?" „Das Lesen mit Muße, das bei Klassikern erforderlich ist, wird in unserer Kultur auch weiterhin den Unterschied machen“

Horst Lauinger: „Ich bin überzeugt davon, dass das Lesen mit Muße, das bei Klassikern ja erforderlich ist, in unserer Kultur auch weiterhin den Unterschied machen wird“

Der Manesse Verlag wird in diesem Jahr 75 Jahre alt. Aus diesem Anlass  ein Gespräch mit Manesse-Verleger Horst Lauinger über die Freuden und Tücken des Verkaufens von Klassikern.

Wann ist denn ein Klassiker ein Klassiker?

Horst Lauinger: Zum Klassiker wird ein literarischer Text,  wenn er die Zeiten und die Moden überdauert und sich über Jahrzehnte hinweg bewährt hat. Es gibt natürlich auch den Fall, dass Texte – zum Beispiel die deutsche Barockliteratur – veralten und uns heutzutage nicht mehr allzu viel zu sagen haben. Es ist das besondere Privileg eines Klassikverlegers, entscheiden zu können, was überzeitliche Relevanz hat, also welches Werk es verdient, neu verlegt, vor allem auch neu übersetzt zu werden.

 Die entscheiden also, was gestrig oder elitär ist?

Ihre Frage zeigt mir, dass Sie das Trauma haben, dass Sie mit  einigen meiner Freunde sogar teilen  und an dem wohl die Schule schuld ist. Wenn man nämlich   als Erwachsener wieder Klassiker zu lesen beginnt und sich einlässt auf dieses Abenteuer, dann sieht man sehr schnell, dass die genuin menschlichen Probleme sich über Jahrhunderte hinweg nicht so massiv gewandelt haben. Natürlich haben wir andere Prioritätensetzungen, wir kämpfen mit modernen Problemen, aber die grundlegenden menschlichen Lebenstatsachen sind sich doch meist gleichgeblieben. Und wenn man da ansetzt, sieht man zum Beispiel bei so hochbrisanten Themen wie der gegenwärtigen Finanzkrise: Auch im 19. Jahrhundert hat es schon ähnliche Börsen- und Finanzkrisen gegeben. Oder, anderes Thema, der Umgang mit fremden Kulturen, der viele Menschen umtreibt – wir haben bei Manesse letztes Jahr ein wunderbares Buch von Alexander von Humboldt herausgebracht, das Buch der Begegnungen, in dem es genau um dieses Thema geht: Wie begegne ich einer fremden Kultur, wie viel Eigenes entdecke ich im Fremden, wie viel Fremdes im Eigenen. Das sind schon hochaktuelle Themen, die uns heute genauso beschäftigen, wie sie die Menschen vor 200 Jahren beschäftigt haben.

Wie findet man denn nun Zugang  zu Klassikern?

Da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an. Man darf natürlich nicht auf dem hohen Ross sitzen und bildungsbürgerliche Saturiertheit vor sich hertragen, sondern man muss versuchen, Klassiker immer wieder neu zu vermitteln; das ist das, was ich unter dem Begriff ambitionierte Klassikervermittlung verstehe – dass man den Leserinnen und Lesern historische Texte schmackhaft macht, dass man ihnen auch den Einstieg erleichtert, zum Beispiel durch eine allgemein verständliche Kommentierung oder ein Nachwort, das Augen öffnet und neue Perspektiven schafft.

Gibt es denn auch Klassiker, die erst 20 Jahre alt sind?

20 Jahre ist vielleicht ein zu kurzer Zeitraum, um das bestimmen zu können. Aber ich denke da jetzt an die Klassiker der US-Moderne, an die große amerikanische Erzähltradition; beginnend im Zeitalter von Hemingway, mit Faulkner, mit Sherwood Anderson, Sinclair Lewis und Thomas Wolfe, die wir bei Manesse neu übersetzt und widerbelebt haben, ja eigentlich bis Philip Roth herauf, und da ist man eigentlich dann schon fast in der Gegenwart. Ich denke, die großen Romane der amerikanischen Moderne werden weiterhin Bestand haben.

Wie gehen Sie vor, wenn es um Klassikerrecherche und um neue Klassiker geht?

Also das Besondere am Manesse Verlag ist die Tatsache, dass wir wirklich einen sehr, sehr weiten Fokus haben; das gilt einerseits geographisch – wir verlegen Weltliteratur quer über den Globus hinweg, Übersetzungen aus fünfundzwanzig Weltsprachen, und das gilt andererseits zeitlich:  wir verlegen Weltliteratur aus drei Jahrtausenden. Das führt dazu, dass wir sowohl eine Neuübersetzung von Homer vorlegen, zuletzt die „Illias“ (vor zehn Jahren die „Odyssee“), und uns gleichzeitig um die amerikanische Moderne kümmern und natürlich um alles, was sich zwischendrin abgespielt hat, auch so exotische Werke wie das „Kopfkissenbuch“ der japanischen Hofdame Sei Shōnagon, das inzwischen auch schon 1000 Jahre auf dem Buckel hat …

 … gab es damals in Japan Kopfkissen?

Ja, das ist ein bisschen umstritten in der Forschung, vielleicht hat sich die Dame ja aufs Papier gelegt, wäre ja auch eine Möglichkeit.

Überfordert uns die Lektüe der meisten Klassiker nicht? Und wie gehen Sie damut um, das der Lebenszyklus von Büchern viel schneller geworden ist? Der Buchhandel hat damit sicher seine Probleme, und der Leser auch.

Wenn Aufmerksamkeitsspannen sinken, dann ist das erst mal ein Problem für Klassikverleger; wobei, nicht jeder Klassiker hat 800 Seiten, wir haben bei Manesse auch sehr viel dünnere Bücher im Programm. Aber was ich im Moment beobachte, ist, dass durch die digitale Revolution, durch die Monokultur der Teaser-Häppchen immer mehr Leute ihre Zeit im Netz als Zeitvernichtung empfinden. Ausdauerndes, genussreiches Lesen hat dagegen einen entscheidenden Vorteil: Es ist keine Zeitvernichtung. Es befördert das eigenständige Denken und erweitert Horizonte. Und das ganz Besondere am Lesen großer epischer Werke ist natürlich, dass man dabei den eigenen Fantasieraum, den eigenen Kreativitätshorizont erweitern kann, indem man sich selbst in eine Geschichte hineindenkt, hineinimaginiert. Das wiederum befördert das Verständnis für große Zusammenhänge, für inhaltliche Komplexitäten, für vielfältige Perspektiven. Und deswegen bin ich überzeugt davon, dass das Lesen mit Muße, das bei Klassikern ja erforderlich ist, in unserer Kultur auch weiterhin den Unterschied machen wird.

Gibts die „Ilias“ auch als E Book?

Ja natürlich. Wir haben seit vielen Jahren verlegen wir parallel zu unseren Buchausgaben auch E-Books. Aber wir torpedieren durch die materielle Wertigkeit und Schönheit der gedruckten Bücher, durch die Sorgfalt der Ausstattung natürlich selber dieses E-Book-Geschäft. Deshalb sind bei uns die E-Book-Anteile in Relation nicht ganz so hoch wie bei anderen Verlagen.

 

 

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