Brocom-Geschäftsführer Mathias Heinrich zum Appell "Buchhandlungen müssen geöffnet bleiben“ „Der dringlichste Appell ist grundsätzlich der an Vernunft und Solidarität, das steht über allem“

„Buchhandlungen müssen geöffnet bleiben“: Mit diesem  Appell hatte sich in dieser Woche eine Gruppe von Verlegern, Zwischenbuchhändlern und Buchhändler an die Bundesregierung und an die Landesregierungen gewandt. Das war Anlass für unser heutiges Sonntagsgespräch mit Brocom-Geschäftsführer Matthias Heinrich, einem der Unterzeichner. 

Matthias Heinrich: „Der dringlichste Appell ist grundsätzlich der an Vernunft und Solidarität, das steht über allem“

Wie kam der Aufruf eigentlich zustande?

Der Aufruf wurde vom Zwischenbuchhandel initiiert, die anderen Unterzeichner haben sich aber aus Überzeugung angeschlossen. Die Zwischenbuchhändler  stehen letztlich als Garant für die Aufrechterhaltung der Lieferkette.
Wussten Sie zu dem Zeitpunkt, dass Amazon seine Strategie ändern und Bücher vorerst nachrangig behandeln will?
Das war kein Aufruf, um uns in schweren Zeiten ökonomisch langatmiger aufzustellen, sondern um die Chance zu haben, optional die Versorgung mit Büchern online und stationär unter allen Gesundheitsvorsorgegesichtspunkten zu ermöglichen.    
Worum geht es denn den Unterzeichnern?
Grundsätzlich wird es bei Ausgangssperren außer für Einkäufe zu einer Isolation der Einzel*nen kommen, die wir so noch nicht erlebt haben. Die Meinungsbildung und Information dann alleine den sozialen Medien zu überlassen, mit zum Teil disozialen oder ungefilterten Informationen, halten wir alle nicht für sinnvoll. Der Appell enthält alle Argumente für eine Nutzung und die Relevanz und Essenz des Buches. Inhaltlich ist dem nichts hinzuzufügen, Wissensvermittlung und vor allem auch individuelle Unterhaltung und Entschleunigung bei aller Hektik und Sorgen
sollte durchgängig möglich sein. 
Frankreich dachte wohl deshalb sogar an die Öffnung der Buchhandelsgeschäfte.
Ja, stündlich überschlagen sich die Ereignisse und Verbote und Gebote. An die müssen wir uns alle nicht nur aus Vernunft halten, es ist eine Verpflichtung dem Gemeinwohl gegenüber.  Alles andere wäre Wahnsinn. Deshalb muss man natürlich alle Facetten sehen. Wenn Buchhändler*innen nicht öffnen oder geschlossen bleiben, haben wir vollstes Verständnis, ebenso wie wir die Leistung aller ‚grundversorgenden‘ Einzelhändler absolut bewundern, sie halten für uns alle den Laden am Laufen. Letztlich hängt alles an der Disziplin jedes Einzelnen, sich im Rahmen der gebotenen Verhaltensregeln zu benehmen, bei jedem Einkauf! 
Nicht jeder hat begriffen, wie schlimm es ist.
Der Warenumschlag Buch hat sich in den letzten Tagen drastisch reduziert, die Buchbranche ist von den Auswirkungen der Corona-Krise nicht mehr und nicht weniger betroffen wie andere Bereiche in der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft. Die Branche versucht dennoch, die Versorgung der Bevölkerung mit Büchern und Medien aufrecht zu erhalten. Natürlich sind wir in Sorge wie eigentlich alle Bürger*innen in Deutschland, vor allem auch wegen der Infizierten und Kranken, denen unser ganzes Mitgefühl gilt. 
Sorge haben wir auch um unsere eigene Gesundheit und die unserer Teams. Ansonsten ist die Lage nicht anders als in allen anderen Bereichen, wir brauchen kein besonderes Lamento anzustimmen! Bleibt die Hoffnung, dass uns durch individuelle Disziplin und Sorgfalt in einem gesamthaft durchdachten  Handlungsumfeld das Schlimmste erspart bleibt! 
Wenn alle sich zu Wort melden, macht dann so ein Appell eigentlich  Sinn? Hat die Politik derzeit wirklich Zeit für uns als so kleine Branche?
Ich persönlich denke, das die Gesamtheit an Aufgaben alle Beteiligten an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringt. Auch die Regierungen und die Politik überhaupt. Es ist aber legitim, dennoch zu versuchen, sich Gehör zu verschaffen.  Die Gesundheit steht über allem, diesem Bestreben und Gebot haben wir uns unterzuordnen. Aber auch die Verlags- und Buchhandelsbranche hat eine politische, kulturelle und ökonomische Relevanz. Deshalb müssen wir uns artikulieren.
Über Sinn und Unsinn einer solchen Initiative lässt sich aber trefflich streiten, auch retrospektiv oder in Kommentaren. Im Unternehmen sage ich, dass binnen von Stunden der Handlungsidealismus und seine Umsetzung durch neue  Realitäten überholt sein kann. Das gilt, denke ich, für uns alle.
Das Wichtigste also jetzt … 
…ist, dass wir als Kollektiv und Gesellschaft die Krise überstehen und jeder einzelne möglichst gesund bleibt oder geheilt werden kann. Der dringlichste Appell ist grundsätzlich der an Vernunft und Solidarität, das steht über allem. 
Aber die Ereignisse und Gebote überschlagen sich stündlich, deswegen weiß ich nicht, ob ich die Forderung  ‚müssen geöffnet bleiben‘ noch mal so mittragen würde.
Warum?
Auf Grund der Unterbindung der Infektionskette und keiner Berechtigung zur Bevormundung von Händlern kann ich das so nicht mehr stehen lassen. Ich halte aber die Motivation  weiter hoch, der Branche bei der Politik Gehör zu verschaffen.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz
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