Peter Prange über die Vorgeschichte seines Buch- und TV Erfolges "Unsere wunderbaren Jahre" „Auch zehn Millionen TV-Zuschauer wollen wissen, wie alles begann“

Seinen Fans auf Facebook hatte Peter Prange für diesen Herbst ein „schmales Weihnachtsbuch“ versprochen, doch sein Roman Winter der Hoffnung (gerade neu bei Scherz) entpuppt sich wieder als ein umfangreicher Page Turner. Das war Anlass für Fragen an den Bestsellerautor:

Peter Prange: „Wenn ich eins an der Generation meiner Eltern bewundere, dann ist dies ihr Glaube an das Leben in schier hoffnungsloser Zeit. Die Kraft, aus der die Menschen damals schöpfen konnten, war allein ihre Hoffnung“ ((c) Gaby Gerster)

Wie immer frage ich auch Dich zuerst: Worum geht es in Deinem  Buch?

Peter Prange: Es ist die Vorgeschichte von Unsere wunderbaren Jahre. deren Verfilmung  über zehn Millionen Menschen in der ARD gesehen haben. Die wollen wissen, wie alles begann und das ist, wie ich denke, auch ein großes Verkaufspotential.
Ich wollte eher etwas über die Handlung wissen. 
Wieder ist es eine Familiengeschichte, angesiedelt im Winter des Jahres 1946. Diese Zeit war für viele Menschen eine katastrophale Ausnahmesituation. Alles lag in Trümmern, nichts war so wie zuvor. Die Psychologen sagen auf unsere derzeitige Situation bezogen, dass dies die letzte Krise war, die Deutschland erlebt hat.
Und was sagt uns das heute?
Du müsstest es aus unseren vielen Gesprächen wissen: Wenn ich in meinen Büchern von der Vergangenheit schreibe, dann immer unter dem Blickwinkel, was diese Vergangenheit zu unserer Gegenwart beigetragen hat – und weiterhin beitragen kann. Das gilt auch und besonders für die Zeit, in der Winter der Hoffnung spielt.
Warum? 
Ich glaube, nur selten in der Geschichte haben Menschen so sehr das Leben zu schätzen gewusst wie damals. Gerade, weil ihnen außer dem schieren Leben nichts geschenkt wurde, sie sich alles selbst erarbeiten mussten, haben sie in allem, was das Leben ihnen bot, eine Chance gesehen, mehr aus sich und ihrem Leben zu machen. Ich würde mich freuen, wenn die Leserinnen und Leser meines Romans sich von diesem Geist ein bisschen anstecken ließen. Um das Leben als das zu begreifen, was es meiner tiefsten Überzeugung nach ist: Ein zwar oft sehr anstrengendes und manchmal bis zur Verzweiflung forderndes, doch immer wieder wunderbares Geschenk.
Du wolltest deshalb aus  der Vorgeschichte von Unsere wunderbaren Jahre nur ein kleines Weihnachtsbuch machen.
Ich merke, Du liest meine regelmäßigen Facebook Postings. Ja, ich hatte zuerst  nur eine kleine Weihnachtsgeschichte im Sinn, aus dem Kosmos von Unsere wunderbaren Jahre, vielleicht achtzig bis hundert Seiten, spielend im Hungerwinter ´46. Darin ließe sich, so die Idee, ganz nebenbei berichten, wie die Figuren meines Romans zueinander gefunden haben in jener seltsamen Auszeit der deutschen Geschichte zwischen dem Zusammenbruch des sogenannten Großdeutschen Reichs 1945 und der Geburt der Bundesrepublik aus dessen Trümmern mit der Währungsreform 1948. Doch was ist der Mensch, dass er Pläne macht? Aber kaum fing ich an zu schreiben, übernahmen Ulla und Tommy, Ruth und Bernd, Gundel und Benno zusammen mit all den anderen Figuren die Federführung, und jede von ihnen forderte ihr eigenes Recht. 
Auch von Dir also das Klischee, Du ließest Dich beim Schreiben von Deinen Figuren leiten?
Ja, das gehört tatsächlich zum Schreibprozess bei mir. Aber noch mehr die Stadt Altena, die mich geprägt hat und die Hauptursache für diese Verselbständigung des Stoffes ist. Meine Figuren sind dort verwurzelt. Und sie sind mir so vertraut und nah, wie fiktive Figuren einem Autor nur vertraut und nah sein können. Der Grund dafür ist das Bettengeschäft meiner Eltern.
Ich dachte immer, ein Autor müsste eine traurige Kindheit gehabt haben, wenn er wie Du erfolgreich sein will …
 … ich gebe zu, ich freue mich über meinen Erfolg. Aber ich hatte eine glückliche Kindheit, die mich geprägt hat.
Du musstest Dir aber nicht Deine Traumata vom Leibe schreiben?
Ich habe früh gespürt, welche Themen die Menschen um mich herum bewegen. Als Sohn von Betten-Prange habe ich zur Aufbesserung meines Taschengelds von frühester Kindheit an meinen Vater bei der täglichen Warenauslieferung begleitet. Auf diese Weise gelangte ich in die private Lebenswelt zahlloser Menschen in Altena, bekam ich, obwohl ein Fremder, ganz selbstverständlich Einlass in ihre Wohnungen – ja, sogar in ihre Schlafzimmer. Der dort herrschende Genius loci löste zuverlässig die Zungen. Ich hörte den privaten und oft auch intimen Geschichten mit glühenden Wangen zu,  zehn Jahre lang. Wenn ich heute also irgendwo auf der Welt Menschen ausreichend zu kennen glaube, um mit einer gewissen Berechtigung von ihnen erzählen zu können, dann in Altena, diesem kleinen Industriestädtchen zwischen Sauerland und Ruhrgebiet, in dem ich in den fünfziger und sechziger Jahren aufgewachsen bin.

Altena hatte also Deine Entwicklung als Autor beeinflusst?

Was mich am allermeisten an Literatur interessiert, ist, wie durch Buchstaben, Worte und Sätze das Denken und Fühlen und Handeln von Menschen zur Sprache gelangt. Insofern ist es keine Übertreibung, wenn ich sage, dass ich meine schriftstellerische Grundausbildung in den Schlafzimmern meiner Heimatstadt genossen habe.

Welches Ereignis hat Dich eigentlich zu Unsere wunderbaren Jahre inspiriert?
Durch Klick auf Cover zur Peter Prange Webseite

Die Ursprungsidee zu Unsere wunderbaren Jahre kann ich auf den Tag genau datieren: Es war am 2. Januar 2002, an der Ladenkasse eines Supermarkts in meinem jetzigen Wohnort Tübingen. An dem Tag wurde in Deutschland erstmals in Euro bezahlt, und beim Warten in der Schlange entstand ein lebhafter Austausch über die Münzen und Scheine der neuen Währung. Dadurch ausgelöst musste ich an einen anderen Moment in der jüngeren deutschen Geschichte denken, als es schon einmal neues Geld gegeben hatte, bei der Währungsreform 1948. Und ich fragte mich: Was haben die Menschen im Verlauf ihres Lebens aus diesem Geld gemacht? Und was machte das Geld aus ihnen – und aus diesem Land?

Ich weiß noch, dass Du diesen Stoff aber lange vor Dir hergeschoben hast.
Ja, das stimmt. Zehn Jahre lag meine Idee zu einem Buch über die Währungsreform von 1948 in einer Schublade, da ich nicht wusste, wo ich sie verorten sollte. Bis im Februar 2013 meine Mutter starb. Bei der Sichtung des Nachlasses machte ich einen vollkommen unverhofften Fund: ein Packen Liebesbriefe meiner Eltern, die sie in den frühen 50er Jahren miteinander getauscht hatten. Ebenso fasziniert wie irritiert zögerte ich lange, die Briefe zu lesen. Durfte ich einen so intimen Einblick in das Seelenleben meiner Eltern nehmen? Auch hatte ich ein bisschen Angst, darin vielleicht Dinge zu erfahren, die ich gar nicht wissen wollte. Schließlich aber siegte meine Neugier über meine Pietät, ich schnürte das Päckchen auf und begann eines Abends mit der Lektüre. Danach wusste ich, meine Geschichte von der Nachkriegs- zur Wirtschaftswunderzeit musste in Altena spielen, in meiner Heimatstadt, belebt von den Menschen, die ich aus meiner eigenen Familie, dem eigenen Bekannten- und Nachbarschaftskreis kannte!
Hast Du etwas über Deine Eltern herausgefunden?
Meine Eltern, die ich doch in- und auswendig zu kennen glaubte, erschienen mir durch ihre nachgelassenen Briefe in einem völlig neuen, unbekannten Licht. Auf einmal waren sie nicht mehr die in allen Fragen Bescheid wissenden Erwachsenen, als die ich sie als Kind erlebt hatte, Vater und Mutter, die lobend und tadelnd mir den Weg ins Leben wiesen, sondern zwei junge, unerfahrene Menschen, die wie mit der Stange im Nebel ihrer Zukunft stocherten, hoffend und bangend und ohne jede Ahnung, was das Leben in der von Not und Entbehrung gekennzeichneten Nachkriegszeit für sie bereit hielt.
Und die Erfahrungen Deiner Eltern haben auf die Erlebnisse Deiner Figuren Einfluss genommen?
Meine Eltern haben mir meinen Roman buchstäblich aus dem Jenseits geschenkt. Da ich das Glück hatte, in einer Familie aufzuwachsen, in der der Krieg und die ersten Jahre danach kein Tabu, sondern Gegenstand zahlloser Erzählungen und Berichte gewesen waren, löste die Lektüre ihrer Briefe eine ganze Kaskade von Erinnerungen in mir aus: die Geschichte von meinem Vater, der, mit siebzehn Jahren zum Kriegsdienst zwangsverpflichtet, nach seiner Rückkehr von der Front mit einundzwanzig Jahren als ältester der überlebenden Söhne seine Eltern und Geschwister versorgen musste und dies tat, indem er über die umliegenden Dörfer zog und dort, obwohl er gar nicht richtig tanzen konnte, Sauerländer Bauernjungen gegen „Fressalien“ das, was er sich so unter Tanzen vorstellte, beibrachte; die Geschichte von meinem Onkel Gerd, der eine wahre Wirtschaftswunderkarriere hingelegt hat, der Aufstieg vom kleinen Schuhverkäufer mit Volksschulabschluss zum geschäftsführenden Gesellschafter einer der größten Schuhfilialketten der Republik; oder die Geschichte von meiner Tante Hilde, die als schwangere, junge Frau eines Morgens neben ihrem gerade aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrten toten Mann aufwacht und auch in den folgenden Jahren immer wieder von Schicksalsschlägen heimgesucht wird, die wahrlich eines Hiob würdig sind .
Der Winter 46 war geprägt  von Hunger, Kälte, Not – und Angst vor einer ungewissen Zukunft. War das eine Zeit für Hoffnung? 
Genau deswegen habe ich den Titel Winter der Hoffnung gewählt. Wenn ich eins an der Generation meiner Eltern bewundere, dann ist dies ihr Glaube an das Leben in schier hoffnungsloser Zeit.  Mit diesem Glauben haben sie es geschafft, aus den Trümmern des größten Schurkenstaats aller Zeiten, des von den Nazis sogenannten Großdeutschen Reichs, eines der lebens- und liebenswertesten Länder der Welt zu erschaffen, das Land, in dem wir seit nunmehr siebzig Jahren leben, in Frieden und Freiheit bei stetig wachsendem Wohlstand. Dieses Wunder hat damals seinen Anfang genommen, im Hungerwinter 46, und die Kraft, aus der die Menschen, die es vollbracht haben, schöpfen konnten, war allein ihre Hoffnung.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz
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