Martin Luther – erst Mönch, dann radikaler Reformer und zuletzt eher unfreiwillig der erste Protestant. Was musste passieren, dass er zum Ketzer wurde und sich mit dem Papst anlegte? Wir sprachen, passend zum 500. Jubiläum der Reformation, mit Christian Nürnberger.
Nürnberger ist Journalist und Autor zahlreicher Bestseller, die er teils allein (z.B. Die Bibel – Was man wirklich wissen muss), teils mit seiner Frau Petra Gerster (z.B. Der Erziehungsnotstand – Wie wir die Zukunft unserer Kinder retten) geschrieben hat. Nun hat er gemeinsam mit ihr die Biographie Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten – Luther (Gabriel) veröffentlicht. Dies war Anlass für Fragen an den Autor, der uns daraufhin ein außergewöhnliches Gespräch zwischen ihm und Martin Luther zukommen ließ…
Christian Nürnberger: Herr Professor Luther, zum 500. Jubiläum der Reformation ist Ihnen erlaubt worden, vom Himmel auf die Erde herabzusteigen, um sich hier ein wenig umzusehen. Wie ist es denn so im Himmel?
Martin Luther: Ganz anders als ich es mir vorgestellt habe. Und ganz anders als sich das der Papst vorstellt. Aber zu näheren Auskünften bin ich nicht befugt. Mein Erden-Urlaub ist an die Bedingung geknüpft, dass ich keine Geheimnisse verrate. Der Himmel soll eine fröhliche Überraschung bleiben für Gläubige und Ungläubige.
Ungläubige können also auch in den Himmel …?
Wie gesagt …
Gut, aber Sie bekommen da droben alles mit, was hienieden so passiert?
Der Chef bekommt alles mit, weil er muss. Ich selbst bekomme viel weniger mit, weil ich nur gelegentlich nachsehe, und wann immer ich nachsehe, bin ich so verdrießlich gestimmt, dass ich für eine geraume Weile nicht mehr sehen möchte. Das geht übrigens auch Bach, Cranach, Erasmus, Goethe, Kant, Schiller und vielen anderen so. Wir hocken oft zusammen und drehen Eurer Welt den Rücken zu. Aber wollten Sie nicht eigentlich über den Buchmarkt mit mir sprechen?
Ja, so lautet mein Auftrag, leider…
Warum leider?
Weil das auf ein Gespräch über die Hölle hinausläuft.
Verstehe ich nicht.
Sie waren einer der ersten Sachbuchschreiber der Welt und praktisch konkurrenzlos. Ihre Schriften wurden Ihnen aus den Händen gerissen. Aber wenn ich heute die Buchmesse besuche, gehe ich durch riesige Hallen, die voll sind von den neuesten Hervorbringungen meiner 100.000 Konkurrenten, und da stehe ich dann mit meinem kleinen Lutherbüchlein einsam, hilflos und verlassen – die Hölle!
Ich habe es übrigens gelesen.
Was haben Sie gelesen?
Na, Ihr Buch.
Aha. Und?
Sehr gutes Buch. Das Wichtigste in aller Kürze klar und für alle verständlich auf den Punkt gebracht. Kann ich nur empfehlen.
Danke, Professor Luther.
Ich habe etwas darin gelesen, was ich gar nicht wusste.
Und zwar?
Dass ein Drittel dessen, was während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf Deutsch gedruckt wurde, von mir stammt.
Da sehen Sie’s. Diese Zeiten sind seit 500 Jahren vorbei.
Aber stimmt das denn auch? Woher haben Sie diese Behauptung?
Von Frau Käßmann. Woher sie es hat, weiß ich allerdings nicht.
Soso, von der Käßmann. Na, dann wird’s schon stimmen.
Selbst wenn es ein bisschen übertrieben wäre, bleibt gültig, dass Sie einer der ersten Nutznießer des gerade erfundenen Buchdrucks waren und maximalen Erfolg mit dem neuen Medium Buch hatten. Heute gilt das gedruckte Buch als Medium von gestern.
Aber sagten Sie nicht gerade selbst, dass Bücher ganze Messehallen füllen? So schlimm kann es dann damit doch nicht bestellt sein.
Ja schon, das Medium lebt weiter, aber seine Produzenten leben immer schlechter davon.
Jaja, ich weiß. In einem der für den Buchpreis nominierten Titel habe ich von einem Verleger gelesen, der sein Geschäft aufgab und sich aufs Altenteil ins Allgäu zurückzog, weil es allmählich mehr Schreibende als Lesende gibt.
Bodo Kirchhoff, Widerfahrnis.
Ja, so glaube ich, hieß es. Darin steht auch der Satz: „Wussten Sie, dass der immer verbreitetere Wunsch, den eigenen Namen nicht bloß am Türschild, sondern auch auf einem Buchumschlag zu sehen, der Tod des guten Buches ist?“
Der Witz ist, dass dieser Autor dem verbreiteten Wunsch von Hinz und Kunz, ihre Namen gedruckt zu sehen, selber Vorschub leistet, indem er Schreibkurse gibt am Gardasee. Etliche Autoren geben Schreibkurse heutzutage, weil sie vom Ertrag ihres Schreibens nicht mehr leben können.
Das konnte ich auch nicht. Ich habe keinen Heller genommen für meine Schriften, habe aber auch nicht geschrieben, um davon leben zu können. Ich war ja Mönch, und das große Geschäft haben damals die Drucker gemacht, die einfach druckten und verkauften, was ich schrieb, ohne mich zu fragen, ob sie es dürfen.
Sie schrieben, um aufzuklären, um etwas zu bewirken, die kirchliche Supermacht in die Schranken zu weisen. Und das Verrückte ist: Es ist Ihnen gelungen. Durch bloßes Zutexten der Welt haben Sie diese so verändert, dass wir heute, ein halbes Jahrtausend später, noch darüber reden. Und dafür haben Sie im Grunde nur vier Jahre gebraucht.
Ja, das wurde mir selbst eigentlich erst durch die Lektüre Ihres Buches bewusst, wo Sie in nur zwei Absätzen meine historische Leistung auf den Punkt gebracht haben. Hat mir sehr geschmeichelt.
Würde es Ihnen etwas ausmachen, diese zwei Absätze zu zitieren?
Nein, gar nicht. Mach’ ich gerne. Also Sie schrieben, Luther habe „innerhalb von vier Jahren die Legitimität des Papstamtes bestritten, den Papst als Antichrist beschrieben, das Priesteramt ab – und die weltlichen Berufe aufgewertet, Mönche und Nonnen für überflüssig erklärt, das Priestertum aller Gläubigen begründet, den Laien das Recht auf Mitbestimmung in der Kirche zugesprochen, das Abendmahl neu interpretiert, die Zahl der Sakramente von sieben auf zwei reduziert, die Heiligen-und Reliquienverehrung abgeschafft und den ganzen christlichen Glauben auf drei Säulen gestellt: sola fide, sola gratia, sola scriptura –allein der Glaube, allein die Gnade, allein die Schrift.
In diesen vier Jahren hat er außerdem die päpstliche Bann-Androhungsbulle öffentlich verbrannt, sich in Worms der Aufforderung zum Widerruf verweigert und auf der Wartburg das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt. Somit war am Ende des Jahres 1521 alles schon da, was die Reformation ausgemacht und zur Entstehung der evangelischen und reformierten Kirche geführt hat. Das einzige, was noch fehlte, war seine Selbstentbindung von den Mönchsgelübden und dem Zölibat. Das hat er vier Jahre später durch seine Heirat mit Katharina nachgeholt. Eine Nebenwirkung davon war die Entstehung einer neuen Institution: das evangelische Pfarrhaus.“ RUMMS, ich bin nachträglich beeindruckt von mir.
Durch Schreiben die Welt verändern, auch das geht heute nicht mehr. Wer heute die Welt verändern will, muss programmieren können.
Ach, seien Sie mal nicht so mutlos, junger Mann! Programmierer programmieren nur die Verbreitungswege von Gedanken. Aber wenn da keiner ist, der einen verbreitungswürdigen Gedanken hat, gibt’s auch nichts zu programmieren.
Doch, dann programmieren sie die Verbreitung des nicht Verbreitungswürdigen.
Na, dann müsst Ihr Autoren eben mit originellen, verbreitungswürdigen Gedanken dagegen halten. Seid doch nicht so verzagt. Ihr könnt die Welt vielleicht nicht mehr so direkt verändern wie ich das konnte, aber indirekt wird die Einspeisung Eurer Gedanken in die Köpfe der Menschen weiterhin Veränderungen bewirken.
Schon, aber die Gedankenproduzenten haben es mit mächtigen Gedankenverteilern zu tun, Apple, Amazon, Facebook, Google – diese Viererbande entscheidet schon heute in einem hohen Maß, welche Gedanken verbreitet werden und in Zukunft werden sie vermutlich auch noch die Produktion des Denkens übernehmen und einen Teil davon von Maschinen produzieren lassen.
Das klingt in der Tat schrecklich und schreit nach einem Reformator, der diese Mächte in die Schranken weist.
Wollen Sie noch einmal antreten, Professor Luther?
Nein, nein, das müsst Ihr schon selber machen. Der liebe Gott hat Euch mit Verstand gesegnet, also macht einen vernünftigen Gebrauch davon, dann werden die Bäume dieser Viererbande schon nicht in den Himmel wachsen. Ich muss jetzt leider wieder zurück. War schön, mit Ihnen gesprochen zu haben.
Ich danke für dieses Gespräch, Professor Luther.
ln der letzten Woche sprachen wir mit Niklas Frank über sein Buch „Dunkle Seele, feiges Maul“ (Dietz).