Bibliotheksdirektorin Dr. Hildegard Schäffler: Rolle des Buchhandels beim E-Book-Verkauf nicht klar genug definiert

Dr. Hildegard Schäffler, Leiterin des Referats Zeitschriften und Elektronische Medien an der Bayerischen Staatsbibliothek, gibt Auskunft über Herausforderungen und Umstrukturierungen, denen wissenschaftliche Bibliotheken im digitalen Zeitalter gegenüberstehen und was sie vom Buchhandel erwartet.

Dr. Hildegard Schäffler

buchmarkt.de: Was hat sich hinsichtlich der Bereitstellung wissenschaftlicher Inhalte seitens der Bibliotheken durch die Verfügbarkeit in digitaler Form geändert?
Dr. Hildegard Schäffler: Die wissenschaftlichen Bibliotheken gehen schon seit vielen Jahren mit digitalen Inhalten um. Zum einen werden im urheberrechtsfreien Bereich frei zugängliche Digitalisate erstellt – unser Haus kooperiert beispielsweise mit Google Book Search und betreibt seit über zehn Jahren das Münchener Digitalisierungszentrum. Zum anderen werden relevante Inhalte von Fachverlagen lizenziert, die einem genau definierten Nutzerkreis angeboten werden können. Dies bedeutet nicht, dass den Printmedien keine Rolle mehr zukommt. Gerade im Bereich der Monographien ist die Verfügbarkeit von E-Books noch nicht die Regel. Wie stark eine Bibliothek ihr Angebot vom gedruckten auf den elektronischen Bereich verlagert, hängt auch von ihrer Ausrichtung ab. Eine Archivbibliothek wie die Bayerische Staatsbibliothek muss hier anders vorgehen als eine Universitätsbibliothek.
Schließlich ist zu beachten, dass Bibliotheken auch die Open-Access-Bewegung unterstützen, der es mit ganz unterschiedlichen Geschäftsmodellen um die freie Bereitstellung aktueller, qualitätsgeprüfter Inhalte im Netz geht.

Herausforderungen gab es in der Vergangenheit sicherlich ausreichend – welche Voraussetzungen mussten vor der Bereitstellung der Inhalte geschaffen werden?
Die Bibliotheken mussten ihre Geschäftsgänge ändern, ihre Profile anders definieren und neue Kompetenzen erlernen. Dazu gehören beispielsweise der Abschluss von Lizenzverträgen, der Umgang mit den spezifischen Nutzungsvoraussetzungen und -einschränkungen für E-Medien, aber natürlich auch die Vermittlung der neuen Mediengattungen an die Benutzer.

Worin sehen Sie die größten Unterschiede hinsichtlich des Umgangs mit digitalen Inhalten im Vergleich zu dem mit Printwerken?
Die Nutzer erwarten vielfach die elektronische Verfügbarkeit von Inhalten, die es früher nur gedruckt gab. Dies gilt insbesondere für wissenschaftliche Zeitschriften und Nachschlagewerke bzw. Bibliographien. Aber auch die elektronischen Monographien, also E-Books, sind im Kommen. Digitale Medien kann man 24h am Tag an sieben Tagen in der Woche nutzen. Man kann sie kopieren, herunterladen, ausdrucken, nachbearbeiten etc., soweit es die Lizenzbedingungen zulassen. Die Suchanfragen sind darauf ausgerichtet, dass umfangreiche Textkorpora auch im Volltext durchsucht werden und verschiedene Angebote über eine Metasuche miteinander verbunden werden können. Durch Hyperlinking lassen sich vielfältige Verbindungen herstellen. Gerade Bibliographien und Nachschlagewerke können so viel einfacher benutzt werden als in der Printwelt. Wir gehen davon aus, dass die Möglichkeiten der weiteren Vernetzung digitaler Information bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind.

Wie gewährleisten die Bibliotheken eine optimale Benutzerberatung auch bei digitalen Suchaufträgen?
Zunächst muss das Auskunftspersonal gezielt für die elektronischen Medien geschult werden, um kompetent beraten und Nutzerschulungen durchführen zu können. An Universitäten bieten die Bibliotheken mittlerweile vielfach Module zur Informationskompetenz für Studierende an, die idealerweise fest im Curriculum eines bestimmten Studiengangs verankert sind.

Welche Anforderungen stellen die wissenschaftlichen Bibliotheken in Zukunft an den Buchhandel?
Der Buchhandel bzw. international agierende Library Suppliers sind für uns nach wie vor wichtig, da wir nicht die Kapazitäten haben, mit einer Vielzahl von Anbietern jeweils einzeln zu verhandeln. Bei großen und teuren Lizenzverträgen auf dem digitalen Sektor bevorzugen wir allerdings den direkten Kontakt zu den Anbietern und agieren vielfach auch in einer Gemeinschaft von Bibliotheken, um sogenannte Konsortialverträge auszuhandeln. Den Buchhändlern kommt nach unserer Auffassung vornehmlich die Aufgabe zu, den Printmarkt zu bedienen und im digitalen Bereich die vielen kleineren Angebote zu beschaffen. Gerade auf dem neu sich entwickelnden E-Books-Markt ist die Rolle des Buchhandels jedoch noch nicht klar genug definiert.

Wie meinen Sie das?
Wir stellen fest, und das liegt sicher auch an den Vorgaben der Verlage, dass die Vertriebswege für E-Books sehr kompliziert und undurchsichtig sind. Das heißt, es gibt Verlage, die ihre E-Books direkt vermarkten, aber gleichzeitig auch bei Aggregatoren wie zum Beispiel bei MyiLibrary unterbringen. Dann gibt es Verlage wie Springer, die Einzeltitel über Aggregatoren in den Markt geben, aber dann auch wiederum nicht alle ihre Titel. Die inhaltlich vollständigen Fachpakete bekommt man dagegen wieder direkt bei Springer, wobei hier auch Zwischenhändler für den Vertrieb zugelassen sind, und nicht über die Aggregatoren. Und die Buchhandlungen sind irgendwo dazwischen. Unser Wunsch wäre, dass Buchhändler bzw. Library Suppliers in die Lage versetzt werden, im Prinzip alles anzubieten, so wie man es von den Printmedien her gewohnt ist.

Das heißt Handel und Verlage müssen noch vieles klären.
Ja. Verkomplizierend kommen die vielen verschiedenen Plattformen hinzu, d.h. die Frage für die Bibliotheken, worüber man die E-Books eigentlich anbieten will? Und dann stellt sich natürlich noch die Frage, worin genau die Dienstleistungen des Buchhandels bestehen. Wer hilft beispielsweise weiter, wenn es technische Zugriffsprobleme gibt? Und so weiter…

Welche Vorstellungen haben Sie?
Wir haben tatsächlich ein Interesse daran, wenn es um größere Pakete geht oder Konsortialverträge abgeschlossen werden, dass wir die Verhandlungen mit den Verlagen direkt führen. Die Direktkommunikation ist ja auch ein Trend bei den Großverlagen, den ich durchaus positiv finde. Aber daneben gibt es viele Einzeltitel, viel „Kleinkram“, für dessen Beschaffung sich die Bibliotheken Unterstützung vom Buchhandel bzw. den Library Suppliern wünschen. Der Buchhandel müsste noch stärker in die Lage versetzt sein, in diesem Geschäft mitzuwirken.

Das kleine Geschäft ist für den Buchhandel natürlich das schwierigere Geschäft.
Klar. Das ist das Geschäft, bei dem wir am meisten Hilfestellung benötigen, andererseits ist es das aufwendigste und kostenintensivste Geschäft. Für uns lohnt es sich vor allem das Kleinteilige nach außen zu vergeben.

Ist es sinnvoll, dass der Buchhandel Pakete schnürt zum Beispiel für einen bestimmten Fachbereich mache ich Ihnen ein Paket mit so und so vielen E-Books zu einem festen Preis – wenn das preisbindungsrechtlich möglich wäre?
Ein solches Paketangebot müssten natürlich erst einmal die Verlage erlauben. Das kann für manche Bibliotheken interessant sein, aber es gibt auch eine Tendenz, die schon bei den elektronischen Zeitschriften erkennbar ist, wo sich die Dinge sehr in Richtung Paket-Lösungen bewegt haben: Bei den Büchern wünscht man sich eher wieder profilorientiert auswählen zu können. Es hat keinen Sinn, Pakete zu schnüren um des Paketes willen.

Für Sie wären dann die Budgets doch besser überschaubar.
Das gilt aber nur, wenn das Paket, heruntergebrochen auf den Preis pro Buch, sehr viel günstiger ist als die Sammlung der Einzeltitel. Sonst lohnt sich die Beschaffung nicht, denn im Paket sind immer Titel enthalten, die man eigentlich gar nicht braucht.

Können Sie sich vorstellen, dass der Buchhandel auch technische Dienstleistungen anbietet?
Ja, das gibt es auch schon. So kooperieren beispielsweise Buchhändler bzw. Agenturen mit Aggregatoren. Bei eigenen technischen Lösungen des Buchhandels – was aus Libreka wird, ist im Moment für mich nicht absehbar – sollte man aufpassen, dass das Rad nicht neu erfunden wird.

Die Fragen stellten Elke Khattab und Matthias Koeffler]

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