Bücher und Autoren heute in den Feuilletons – einmal Bart déco und einiges über Karadzic

Die Zeit

Jochen Köhler (gestorben im Juni 2007) hat bei Rowohlt ein Buch über den jungen Helmuth James von Moltke veröffentlicht. Volker Ullrich rezensiert das Werk ausführlich. Im Vorwort dazu Rowohlt-Chef Alexander Fest: Wenige Bücher hat er sich so hartnäckig gewünscht wie dieses.

Florian Illies erläutert, warum sich Angela Merkel mit ihrer Urlaubslektüre (Emil Noldes Erinnerungen – DuMont[mehr…]) Sprengstoff in den Koffer gepackt hat: „Die Neuauflage von Mein Leben folgt in dem Teil Jahre der Kämpfe jener bereinigten Fassung, die Nolde nach Kriegsende eigenhändig hergestellt hat“ – und da gibt es Streichungen wie diese: „Juden haben wenig Seele und Schöpfergabe. Juden sind andere Menschen, als wir es sind.“ – Das kommt später noch dicker: „Noldes Mein Leben ist also ein Palimpsest, ein großes Lehrbuch für deutsche Gemütsgeschichte und deutsche Verdrängungsgeschichte. Wahrscheinlich hat sich Angela Merkel doch genau die richtige Urlaubslektüre mitgenommen.“

Dorion Weickmann bespricht Philipp von Boeselager „Wir wollten Hitler töten“ (Hanser), Gabriele von Arnim schreibt über Shlomo Venezia, der als einziger Überlebender des „Sonderkommandos Auschwitz“ sich nach 60 Jahren durchgerungen hat, Zeugnis abzulegen: „Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz“ (Blessing). Sonderkommando: das war die Arbeit im Krematorium.

Truman Capotes Gesamtausgabe (Herausgeber Marcus Ingendaay) ist nun komplett: der Verlag Kein & Aber hat es geschafft. Klaus Harpprecht rezensiert den Abschlussband „Erhörte Gebete“, der als amerikanische Pendant zu Prousts „Verlorener Zeit“ gedacht war, aber Fragment blieb. Heidi Zerning hat es neu übersetzt.

Eben hatten wir ihn als Capote-Herausgeber, bei David Foster Wallace ist er Mitübersetzer: Marcus IngendaayEberhard Falcke rezensiert seine bei KiWi erschienenen Kurzgeschichten unter dem Titel „Vergessenheit“.

Ebenfall bei KiWi herausgekommen ist Erik Fosnes Hansens Roman „Das Löwenmädchen“, das sich Tanya Lieske angeschaut hat. Ganz überzeugt ist sie aber nicht: „So bleiben, statt des ganz großen Tableaus, viele bemerkenswerte, glanzvoll erzählte Passagen.“

Bei Tropen ist Ignacio Padilla] „Schatten ohne Namen“ herausgekommen – Jochen Jung bespricht dieses „aufregende Buch“. Und Tilman Spengler hat sich umgetan mit Eileen Chang „Gefahr und Begierde“ (Claassen).

Themenwechsel: Über „Giovanni Bellini“, einen venezianischen Meister“, gibt es jetzt von Oskar Bätschmann ein Buch über Leben und Werk (C.H. Beck).

Was es nicht alles gibt: Schießtraining für Autoren. Krimiautor Manfred Wieninger hat seinen angestammt Tatort – den Schreibtisch – verlassen, um darüber zu berichten. Zu 47. von Cees Nooteboom gibt es das Gedicht „Trugbild“ aus Band 1 der „Gesammelten Werke“ des Meisters (Suhrkamp), und Ursula März schreibt darüber, warum es in gegenwärtiger Reiseliteratur soviel bemühte Witzigkeit gibt. Leider schreibt sie selbst eher langweilig.

Frankfurter Rundschau

Kein Mensch würde ihn kennen, hätte nicht der clevere Dörlemann-Verlag vor ein paar Jahren begonnen, sich um sein Werk zu kümmern: Patrick Leigh Fermor, ein britischer Gentleman und Reiseschriftsteller. Bekannt dafür, dass er Europa zu Fuß durchquerte. Das war 1933. Heute sitzt der 93-jährige am dritten Band seiner Reiseberichte – inzwischen lebt er auf der Peloponnes-Halbinsel Mali. Julia Kospach hat ihn dort besucht.

Cees Nooteboom wird heute 75. Arno Widmann würdigt den Dichter – der, was kaum einer weiß – auf Deutsch zuerst in der DDR gedruckt wurde. Nämlich der Roman „Rituale“ 1984 bei Volk und Welt.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wenn das mal kein Thema ist: Schriftsteller und Bärte. Die FAZ zelebriert’s in einer Glosse, und wenigstens die Überschrift hat was: „Bart déco“.

Sabine Berking hat „Die September von Schiras“ von Dalia Sofer (Hanser) rezensiert: ein Roman über die Juden im Iran. Bettina und Gisela von Arnim haben „Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ (Manesse) geschrieben. Der Roman erschien erstmals 1926 – Rolf Vollmann hat ihn wiederentdeckt – Hermann Kurzke rezensiert.

Annotationen
Peter Licht „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrhunderts“ (Blumenbar) und Anne Hamilton, Peter Sillem „Die fünf Sinne“ (S. Fischer).

Und Ragni M. Gschwend erhält den mit 15.000 Euro dotierten Celan-Preis.

Zoff in der niederländischen Literaturszene: Als A.F.Th. (wer es nicht weiß: Adrianus Franciscus Theodorus van der Heijden – auch in Deutschland bekannt u.a. durch sein Riesenwerk „Die zahnlose Zeit“ – Suhrkamp) im November den AKO-Literaturpreis bekam, weigerte er sich, beim Festmenue in einem Raum mit Arnon Grunberg sein zu müssen. Der ließ daraufhin verlauten, dass er nie mehr bei literarischen Aktivitäten in Holland sein werde – und stellt jetzt seinen neuen Roman in Belgien vor. Das wird A.F.Th. aber ärgern…

Süddeutsche Zeitung

Slavenka Drakulic, die 2005 den Leipziger Buchpreis für „Keiner war dabei – Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht“ erhielt, berichtet über das absurde Leben des Wunderheilers Doktor Dragan Dabic – der in Wirklichkeit Radovan Karadzic war: „Vielleicht schreibt er sogar wieder Gedichte und Romane, ein paar Kinderbücher und ein großes Buch über sein Leben im Gefängnis. Er wird alle Zeit der Welt dafür haben.“ Auch Schriftsteller Aleksandar Hemon schreibt über ihn: Bevor er Führer der bosnischen Serben wurde, war Karadzic „ein mittelmäßiger Psychiater, ein unbedeutender Dichter und Kleinbetrüger vor dem Krieg und zum Zeitpunkt seiner Verhaftung ein grotesker Quacksalber.“

Stephan Speicher hat Martin Mosebachs „Stadt der wilden Hunde“ gelesen, Laura Weißmüller ist nicht ganz glücklich Helene Luise Köppels „Die Affäre Calas“ (Aufbau), und Christoph Luzi hat sich Schweizer Bergkühe im Bildband „Arthur Zeller 1881-1931. Vieh- und Wanderfotograf im Simmental“ (Limmat, Herausgeber Markus Schürf) angesehen. Und SZ-Autoren haben im Produktcheck-Verlag den Band „Die Masche mit dem Sternchen“ gemacht – da zeigen sie, wie Banken die Kunden mit Kleingedruckten austricksen.

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