Liebe Freunde,
Leipzig ist wieder im Spiel! Nach drei Jahren Unterbrechung eröffnet die Leipziger Buchmesse mit einem beeindruckenden Gastlandprogramm aus Österreich, überraschenden Ausstellerzahlen und Fäusten voller Vorfreude.
Eröffnungskonferenz: Fußball ist zu lang!
Leipzig will so sehr endlich wieder Buchmesse, dass man es bereits an der Eröffnungskonferenz für die Weltpresse ablesen kann.
Es gab doppelt so viele Redner wie in Frankfurt (sechs statt drei!), und es gab wahnsinnig viel Redezeit (statt der üblichen 60 dauerte es 95 Minuten, also so lange wie ein Fußballspiel mit Verlängerung!), und es gab sogar einen künstlerischen Beitrag zur Eröffnung!
Der war überhaupt das Allerbeste. Eine Art Poetry Slam mit Lautmalereien. Franziska Füchsl, die uns die ganze Zeit schon mit dem Fernglas beobachtete, legte plötzlich los. Von einem weinerlichem Sprachsalat aus Östrenglisch steigerte sie sich in ein Jauchzen und Jaunern, ein Schmähen und Greinern, dass es eine Freude war. Ich habe de facto kein einziges Wort verstanden.
Aber gerade das hat mir so gut gefallen: Ich halte Überforderung in der Kunst für ein legitimes Stilmittel, aber die Gesichter des Publikums, bemüht Erbauung heuchelnd oder Anstrengung kaum verbergend, waren fast besser als die Darbietung auf der Bühne.
Stellen Sie es sich so vor, als hätte man Yoko Ono in eine Schlucht geworfen.
Und ich will ehrlich sein: Davon hätte ich mir lieber anderthalb Stunden angesehen als von den üblichen Bejahungen der üblichen Konferenz.
Das Gastland Österreich hat also einen großen Auftritt inszeniert und ist als treuer, alter Freund der südosteuropäischen Messe-Achse Österreich-Leipzig mit großem Selbstbewusstsein dabei.
Schon das Motto. Ich erkläre Ihnen später, was das heißt, aber schauen Sie nur, wie süß Peter Kraus vom Cleff ins Buiderl luagt.
Genau, meaoiswiamia. Das trifft auch auf Katja Gasser zu, die Direktorin des Gastlandauftrittes und auf ihre fortgesetzte Aufweichung des harten, germanischen T-Anlauts: Dext is diefgründig und Deamwork ist eine Dugend. Soviel Grandezza kann ich gar nicht nachmachen.
Sie fragen sich sicher, wie ich auf solchen Pressekonferenzen immer wieder die besten Plätze kriege. Ich habe einen Trick: Sobald das höchste Tier aus Reihe 1 auf dem Podium ist, setze ich mich auf seinen Stuhl! Egal wie grimmig er vom Podium schaut! Kann eh nix machen jetzt!
Die erste Reihe hat aber auch Nachteile. Man sitzt so dicht vor dem Rednerpodium, dass man eine Herrenklo-Aussicht hat:
Dass ein Sprecherplatz reserviert war für die österreichische Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer, hat freilich meinen Schalk gereizt:
Ach, verdammt. Natürlich habe ich mich da hingesetzt.
Der Gastland-Stand: ganz ohne Kondom
Am Gastlandstand gab es zum Beispiel eine Geschenktüte für Gastlandstandgäste!
Oh, und auf diesen Kondom-Automaten wäre ich fast hereingefallen:
Also echt, das könnt Ihr Euch für die Buchmesse aufheben. Ich hatte mich jetzt wirklich auf Naschsachen und Kondome gefreut.
Groß, offen, aber unterteilt, ein Hingucker von weitem: So präsentiert sich der riesige Stand Österreichs. An den wehenden Stoffen können Sie erahnen, was für eine harsche, kalte Luft am Aufbautag durch die geöffneten Hallen weht.
Und da ist es wieder, dieses Motto aus einem Land, das grammatikalische Unzulänglichkeit locker in seinem Idiom verstecken kann und ungeschützten Sex unter Poeten fördert. Meaoiswiamia.
Mehr – als – wie – mir. Die Österreicher wollen darauf hinweisen, dass sie viel mehr sind als die Summe ihrer Klischees, und es ist lustig, dass sie sich dabei absichtlich wie Österreicher anhören. Nicht schlecht, nicht schlecht.
Das ist übrigens der österreichische Botschafter, Dr. Michael Linhard. Auf der Pressekonferenz konnte ich ihn nicht unauffällig fotografieren, weil er direkt neben mir saß. Hier, am Stand, geht das besser.
Das verspricht also eine aufregende, inspirierende Messe zu werden, also wie immer, nur viel mehr – quasi mehr als wie mir!
Oder zumindest mehr als wie mir sonst.
Der Aufbautag
Am gestrigen Dienstage endete die Aufbau-Phase in den Hallen, und so war allerorten Fleiß und Chaos.
Ein paar Unfotografierte waren Markus Fertig vom MVB, der so freundlich und mutig war, mich auf dem Stuhl der Kulturstaatssekretärin zu fotografieren, oder Anica Jonas, Kampaverlag, die marschierend winkte und huhute, also wie in „Huhu, Herr Mayer!“, oder die liebe Katja Schmidt, die bei Random House tapfer am Aufbauen und am Abbauen gleichzeitig war.
Von des Börsenvereins Maren Ongsiek könnte ich Ihnen höchstens eine SMS fotografieren – wir sind uns gestern noch gar nicht begegnet.
Nach drei Jahren Leipzigpause verweigere ich übrigens kategorisch die Zuständigkeit für alle Dus, die mir jemals angeboten wurden. Ich sieze quasi ganz von vorne, das ist am einfachsten. Außer natürlich Maren Ongsiek.
Dann war da noch Ralf Tornow, der mich photobombte, während ich eigentlich ihn selfiebomben wollte:
Und dann war da noch meine liebe, gute Freundin Mirjam Mustonen vom Verlag Kiepenheuer & Witsch, der ich schon beim Frankfurt-Auftakt voriges Jahr beweisen wollte, dass ich wirklich ein sehr guter Fotograf bin. Und ich kann sogar per Selbstauslöser scheitern. Machen Sie das erst mal nach.
Wie immer kommt an dieser Stelle meine Bewusstseins-Strom-Diashow mit Hallen-Eindrücken:
Halle 1, die Manga-Halle, wird so voll, schrill und bunt, dass uns dieses lichte, weißgraue Arrangement einst fremd scheinen wird:
Ich habe mehrere Lese-Inseln für Kinder entdeckt, die wie eine Mischung aus Gummizelle und Giger aussehen:
Und hier dasselbe in Blau:
Und sogar ein richtig großes, anscheinend für Erwachsene:
Die Vorbereitungen für Zehntausende von Besuchern laufen auf Hochtouren:
Kurz vor Vollendung der ARD-Bühne:
Der Warmies-Stand hat zum Vorführen seiner Wärmekuscheltiere extra eine Mikrowelle da, bzw. ein Magnetron, wie wir Niederländer gerne sagen.
Himmel, ich würde die sogar benutzen, wenn es gar nicht mein Stand wäre. Alle Nas lang wär ich mit einem Crêpe von gêstern da.
Und diese beiden Relaxtypen, die sich am Ende aller Sitzsäcke zwei davon zu Liegesäcken machen, sind ein guter Abschied vom Tag der Vorbereitungen:
Und so verabschiede ich mich von Säcken und gepolsterten Wänden und ziehe erstmals in ein neues Hotel.
Anderes Hotel
Die Redaktion und die eBuch-Genossenschaft haben die allerletzten verfügbaren Hotelzimmer im Leipziger Umland bekommen. Doch, das zählt schon noch als Leipzig, auch wenn man mit dem Bus eine Dreiviertelstunde über unasphaltierte Feldwege durch Göbschelwitz, Gottscheina, Mockau, Möckern und Thekla rumpelt, bevor man zerschunden an der Messe angelangt. Ich dachte ja, Thekla sei eine Spinne.
Das Hotel wurde anscheinend frisch zur Wende hochgezogen, ablesbar an den Asymmetriemöbeln, den Ringen im Velour oder den Posterkünstlern der 90er Jahre (Renato Casaro), und es befindet sich in einem Gewerbeareal zwischen der A14 und all den Orten, die ich gerade aufgezählt habe.
Es gibt sogar literarische Graffiti anerkennend zu bestaunen:
Aber es gibt keinen Bacon am Frühstücksbuffet. Wie soll ich denn so mein Low-Carb-Programm durchziehen? Auch die Einkaufsmöglichkeiten sind ein wenig andersweltlich hier: Es gibt eine Art Baumarkt mit Wursttheke, einen Gemüsestand im Flur, einen KiK und einen T€DI, einen Getränkeladen ohne Kartoffelchips und einen Pop-Up-Aldi, der nur mit Ankündigung öffnet.
Völlig verzweifelt habe ich mir eine Blutorange und ein Glas Perlzwiebeln zum Abendessen gekauft. Wie ein Teenager, der zum ersten mal allein auf einem Campingplatz ist.
Doch, wird es: Ich treffe den eBuch-Geschäftsführer Julian Müller, der gerade eingetroffen ist, um sich vor Ort selbst von der Unterbringung zu überzeugen.
Leider ohne Angelika Siebrands, die krank zuhause geblieben ist. Verdammich! Und gute Besserung von mir.
Wir seien ja jetzt Kollegen, meint Müller, und dann nehme ich ihn in meine Liste derer auf, die ich ab heute neu duze. Ob ich ihm eine Perlzwiebel anbieten soll?
Aber gerade weil wir all das auf uns nehmen, also durch Thekla rumpeln und Perlzwiebeln in unbekochten Hotels kaufen, setzen wir alle ein Zeichen für Leipzig:
Weil wir Buchmesse wollen.
Oh, und natürlich habe ich in Wahrheit auch gute Fotos von Mirjam Mustonen und mir:
Ich wünsche Ihnen einen guten Messe-Auftakt, viel Freude an der Österreich-Leipzig-Connection für die nächsten Tage und bedanke mich für heute bei allen Mitwirkenden.
Ihr
Messe-Mayer
Warum wir keine Angst vor K.I. haben müssen, Teil 1 von 5:
Herrlich! Danke!