Die besten Krimis des Monats Die Krimibestenliste Dezember 2018 zum Ausdrucken: Auf Platz 1 „Kritische Masse“ von Sara Paretsky

Neu auf Platz 1 der Krimibestenliste in diesem Monat:

Kritische Masse von Sara Paretsky
Mit den Detektivinnen Anna Lee (1980 von Liza Cody erfunden), Kinsey Millhone (1982 Sue Grafton) und V.I. Warshawski (1982 Sara Paretsky) begann in der Kriminalliteratur die Epoche der sogenannten Frauenkrimis.
Frauen hatten schon seit je Krimis geschrieben und gelesen. Im Unterschied zu ihren Vorgängerinnen Dorothy Sayers, Ruth Rendell oder P.D. James waren ihre Protagonistinnen weiblich und im Unterschied zu Agatha Christies Miss Marple im besten Alter. Frauen, die den romantischsten und härtesten Job übernahmen, der in der Literatur zu haben war, den des bisher von Männern besetzten Job des hardboiled detectives. Genauer gesagt: den des Privatdetektivs.
PIs gab es jetzt auch weiblich. Und zwar überhaupt nicht cosy. Das Häkeln und Sticken wurde der Unterabteilung Ländlich-Lieblich (heute, erweitert um Grauslich: „Frauenspannung“) überlassen. Die Ermittlerinnen, primär auf der Suche nach dem warum und wieso, stießen vor ins bisher nicht (Ausnahme: Patricia Highsmith) erschlossene Dunkelfeld patriarchaler Strukturen und weiblicher Unterdrückung.
Die 1987 gegründeten „Sisters in Crime“ verehren die 1947 in Ames, Iowa, geborene Sara Paretsky als founder mother.
Seit 1982 veröffentlicht sie alle zwei Jahre ein Buch. In Deutschland erschienen bis 2011 elf Romane, jetzt nach einer Verlags-Pause von 7 Jahren, der siebzehnte Fall von V.I. Warshawski. Zur Erinnerung: V steht für Virginia, I für Iphigenia, und V.I. ist nur milde gealtert. Mit ca. 50 ist sie immer noch so fit, dass sie den Rüpeln vom Heimatschutz gut eine verpassen kann.
Dass sie sich mit denen anlegen muss, hat mit dem angeblich für die nationale Sicherheit relevanten Material zu tun, das aus einer IT-Firma verschwunden ist. Dass es sich mit dem Material und der Bedeutung für die nationale Sicherheit ganz anders verhält, erfahren Sie am besten bei der Lektüre unserer Nummer 1 im Dezember. Ich habe seit langem kein derart spannendes Buch gelesen. Einen Vorgeschmack auf die Lektüre geben die Rezensionen von begeisterten Jurymitgliedern:
Thekla Dannenberg in ihrer Kolumne „Mord und Ratschlag“ im Perlentaucher: „Was für ein Comeback!“
Marcus Müntefering bei Spiegel online: „Paretsky beherrscht das amerikanische Erzählprinzip des show, don’t tell, zeigt meisterlich und ohne jemals zu belehren, wie vieles, das heute in den USA schiefläuft, seine Ursachen in den Verfehlungen der Vergangenheit hat.“
Und hier Tobias Gohlis‘ kleines Lob auf Deutschlandfunk Kultur.

Die aktuelle Krimibestenliste gibt es hier als PDF zum Ausdrucken.

Neu auf der Krimibestenliste Dezember stehen insgesamt sechs Titel:
Diesmal sind es je 2 amerikanische, 2 deutsche, 1 brasilianischer und 1 österreichischer. Mit zusammen 1738 Seiten. Alles weibliche Autoren.
Damit stehen auf der Krimibestenliste Dezember insgesamt 8 von Frauen und 2 von Männern geschriebene Kriminalromane.

Neu dabei sind:

Auf Platz 5: Der Nachbar von Patrícia Melo
Die mit zahlreichen Krimi- und anderen Literaturpreisen ausgezeichnete Brasilianerin Patrícia Melo (* 1962 in Sao Paulo) verbindet wie keine andere in ihren Kriminalromanen Satire mit Drama, wobei es ihr gelingt, zwischen beiden eine ebenso reizvolle wie kipplige Balance zu wahren. Das liegt an ihren Protagonisten: Wie in Leichendieb oder hier in Der Nachbar sind es aufgeplusterte Männer, deren Selbstbewusstsein sich im bizarren Wirklichkeits-Sparring der Melo zum Vergnügen des Publikums in leere Luftballons verwandelt.
Im vorliegenden Fall trampelt ein Nachbar dem sowieso schon entnervten Bio-Lehrer und Ich-Erzähler auf dem Kopf herum. Der Mann, dem die Schüler auf dem Kopf tanzen, der ständig streiken muss, um an sein mageres Gehalt zu kommen und dessen Wissen bei den aufgehetzten Evangelikalen nichts mehr zählt, leidet unter dem Lärm des Nachbarn, besonders unter den Kopulationsgeräuschen, während bei ihm zu Hause nichts mehr läuft. Der Zorn des Paukers wächst sich schnell ins Groteske aus. Eher zufällig bringt er den Nachbarn um, zerstückelt ihn, kann aber die Überreste nicht aus dem Haus schaffen. Nachdem er vier Tage neben der Leiche verbracht hat, wird er von der Putzfrau entdeckt und genießt von da an die Freuden erst des brasilianischen Gefängnis-, und dann des Gerichtswesens.
Patrícia Melo erzählt das auf knappen 160 Seiten voller Stiche gegen die brasilianische Gesellschaft mit Bissigkeit und Eleganz. Auf jeder Seite kann man ein Bonmot genießen, ohne jedoch den Spaß an der Selbstdestruktion des Lehrers zu verlieren, der sich langsam zu seiner Schwundstufe entwickelt. Aus der Phase, in der der wegen seines akademischen Abschlusses „privilegiert“ mit Geldwäschern, Politikern und Anlagebetrügern untergebrachte Untersuchungsgefangene sich mit Poesie von Edgar Allan Poe beschäftigt, dieses Beispiel Meloscher Sprachkunst: „Ich bin sicher, dass das Nichtverstehen ein ebenso grundlegendes Element der Poesie ist wie Kaliumbromat für das Brot im Gefängnis.“
Zeitgleich steht Der Nachbar auf der Empfehlungsliste Herbst des Weltempfängers, der hervorragende Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika vorstellt. Dort heißt es in der Würdigung: “Melo ist eine Meisterin der grotesken Verdichtung. Sie spitzt die Tragikomik einer existenziellen Krise so zu, dass kein Auge trockenbleibt. Das zu lesen macht teuflischen Spaß.“ (Anita Djafari)

Auf Platz 6: Das größere Verbrechen von Anne Goldmann
Anne Goldmann (*1961) schreibt langsam und fein. Seit ihrem Debüt 2011 mit Das Leben ist schmutzig hat sie vier Romane veröffentlicht, und jeder ist eine sanfte, aber eindringliche Verstörung. Zwei von ihnen, Lichtschacht von 2014 und Triangel von 2012, standen auf der Krimibestenliste.
In Das größere Verbrechen verquickt sie das Schicksal mehrerer Frauen, die sich mehr oder minder erfolgreich aus den Traumata ihrer Vergangenheit befreit haben, stellt die Frage, ob das überhaupt möglich ist. Theres wurde von ihren Eltern – einem aufstrebenden nationalistischen Politikervater und einer immer fügsamen Mutter – als Siebzehnjährige gezwungen, ihr aus der Liebschaft mit einem Bosnier entstandenes Baby zur Adoption freizugeben. Ihr heutiger Ehemann, selbst als Pflegekind aufgewachsen, fragt nicht nur: „Wie kann man nur?“, sondern sieht in der Adoptionsfreigabe das größte Verbrechen. Als Theres‘ inzwischen achtzehnjähriger leiblicher Sohn – ein Trickster und Charmeur, der sich überall durchwindet und -dealt – sich meldet, geraten alle bisher mühsam stabilisierten Beziehungs-Systeme durcheinander. Ana, Kunststudentin, Putzhilfe und Altenbetreuerin verbindet als beinahe einzige weitgehend selbstbestimmte Person (Weil sie sich sexuell eher zu Frauen orientiert und daher weniger fixiert auf männliche Bedürfnisse und Dominanz ist?) die Figuren. Zu denen auch die ältere Selma Sudić gehört, die in den neunziger Jahren in einem Vergewaltigungscamp gefangen gehalten wurde..
Zugespitzt wird das kunstvoll in Satzfetzen vorangetriebene Schuld-Selbstvorwurf-Erinnerungs-Verzweiflungsgemenge durch den Todesfall des Adoptivvaters, den der Adoptivsohn Jan verursacht haben soll.
„Es sind vor allem die Charaktere, die diesen feingesponnenen Roman ausmachen.“ (Sonja Hartl, culturmag)
„Mit viel Finesse, Fingerspitzengefühl und vor allem Menschenkenntnis erzählt Goldmann diese Geschichte aus fein ineinander verschlungenen Erzählfäden, geht ganz nah ran, um die Beweggründe, aber auch die Zwänge, Zweifel, Unsicherheiten und Dilemmata zu beleuchten, in denen ihre Figuren feststecken.“ (Frank Rumpel)

Auf Platz 8: Blind Sight von Carol O’Connell
Carol O’Connell, geboren 1947, kann nicht nur als Erfinderin des Typs der soziopathischen Ermittlerin (wie etwa Saga Norén, Kripo Malmö, in der TV-Serie „Die Brücke“) gelten.
Die Autorin, die ursprünglich als Malerin gearbeitet hat, verfolgt in ihrer Reihe um Detective Kate Mallory ein Konzept, das ursprünglich mal von Léo Malet erfunden wurde, der seine Nestor-Burma-Krimis in jeweils einem anderen Pariser Arrondissement ansiedelte. O’Connell stellt, nicht ganz so systematisch, jeweils ein anderes Kleinod der urbanen Kultur Manhattans vor. Es geschah im Dunkeln von 2013, deutsch  2017, kreiste um den zur Entstehungszeit des Romans von Immobilienhaien bedrohten Theatre District; Kreidemädchen (2012/2015) umkreiste den Central Park. Im Jahr, als Blind Sight geschrieben wurde, veröffentlichte die Journalistin Ada Calhoun ein viel beachtetes Buch über die glamouröse und kriminelle Geschichte der Straße St. Mark’s Place im East Village, und auf dieser Straße mit ihren Häusern aus Brownstone-Sandstein verschwinden erst die Ordensschwester Sister Michael, dann ihr blinder Neffe Jonah. (Nero Wolfe wohnte etwa anderthalb Meilen nördlich in der 35. Straße, ebenfalls in einem Brownstone-Haus.)
Wie immer bei O’Connell ist der Fall so vertrackt, dass nur eine Detektivin mit der kriminellen Energie Mallorys ihn lösen kann. Auf dem Rasen, nicht im Keller des Bürgermeisters von New York liegen vier Leichen. Ihnen fehlt das Herz, eine direkte Anspielung auf die Gemütsverfassung des Bürgermeisters Polk selbst, dem in der merkwürdig verquasten Übersetzung Judith Schwaabs zum in Lebensgefahr schwebenden Jungen folgendes einfällt: „Ich habe nie ein Kind gekannt, das mehr wert ist als ein Teil meines Aktienpakets“ (original: „‘I’ve never met a child worth any part of my stock portfolio.“)
Jonah befindet sich in den Händen des Auftragskillers, der nicht nur eine merkwürdige Zuneigung zu dem Jungen entwickelt, sondern auch noch auf andere Weise emotional verwickelt ist…
„Wie Jonahs Geschichte mit der des reichlich undurchsichtigen Bürgermeisters Polk (…) zusammenhängt, das musste Carol O’Connell diesmal doch etwas – forcieren. Sie hat sich schon plausiblere Handlungen ausgedacht. (…) Die Ausflüge dieser Autorin ins Unglaubliche – vor allem, indem sie Mallory ein Stück größer als lebensgroß sein lässt – sind es, die einen guten Teil des Spaßes an dieser Krimi-Reihe ausmachen.“ (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)

Auf Platz 10: Grenzgänger von Mechtild Borrmann  
Das Schicksal der Kinder in der Nachkriegszeit scheint Mechtild Borrmann (*1960) nicht loszulassen.
Wie schon in ihrem vorherigen Roman Trümmerkind (2016) geht es in Grenzgänger um den Überlebenskampf  im Nachkriegswinter 1947, diesmal im deutsch-belgischen Grenzgebiet.
Nachdem der Vater arbeitsunfähig traumatisiert aus dem Krieg zurückgekommen und die Mutter an ein einer unbehandelten Eileiterschwangerschaft  gestorben ist, sorgt Henriette für den immer religiöser werdenden Vater und ihre drei jüngeren Geschwister, unter andern durch Kaffeeschmuggel für den Schwarzmarkt. Ihre Schwester wird, Hennys Schwur zum Trotz, immer für sie zu sorgen, auf einer Schmuggeltour im Hohen Venn erschossen, die jüngeren Brüder kommen ins Waisenhaus, sie selbst in eine Erziehungsanstalt. Die Höllen, die die Kinder durchgemacht haben, werden 1970 in einem Gerichtsverfahren aufgerollt. Henny ist angeklagt, ihren schwachen und priesterhörigen Vater per Brandstiftung getötet zu haben. Und schweigt, im Glauben, wenigsten dadurch die überlebenden Geschwister beschützen zu können.
„Toll geschrieben und klasse konstruiert, diese Geschichte, mit Blick auf die „kleinen Leute“, auf Frauen, auf Kinder und Jugendliche. Ein ganz großer kleiner Roman, der das Herz am rechten Fleck hat.“ (Ulrich Noller, WDR)

Unsere Dauerchampions: Zum dritten Mal stehen Mick Herron mit Slow Horses und Simone Buchholz mit Mexikoring auf der Krimibestenliste.

Die Krimibestenliste Dezember wurde am Sonntag, den 2.12.2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gedruckt veröffentlicht, und ist online wiederzufinden unterwww.faz.net/krimibestenliste
und www.deutschlandfunkkultur.de/krimibestenliste. Unter diesen Webadressen finden Sie immer die aktuelle Krimibestenliste.
Am Freitag, dem 30.11., um 8.20 Uhr  gab es wie immer einen Vorgeschmack auf die Krimibestenliste bei Deutschlandfunk Kultur.

Die aktuelle Krimibestenliste gibt es hier als PDF zum Ausdrucken.

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