BuchMarkt: Das Comeback der Leipziger Buchmesse scheint die Branche zuletzt ein wenig revitalisiert zu haben – die Stimmung schien während der Messe und in den Tagen danach durchaus gut. Was ist aus Ihrer Sicht davon übrig geblieben?
Thomas Montasser: Dass die Leipziger Buchmesse zurück ist, ist ganz ohne
Frage ein wichtiges Signal – und es ist ein sehr wertvoller Beitrag zur Eventisierung der Literatur. Damit meine ich gar nicht etwas grundlegend Neues, eher eine Rückkehr zu etwas, das wir als Buchbranche früher hatten, inzwischen aber anderen überlassen: die Botschaft, dass Literatur ein Ereignis ist, eines, das alle angeht, von allen wahrgenommen wird und alle interessieren muss! Früher gab es noch öfter Phänomene wie Der geschenkte Gaul von Hildegard Knef, über den die ganze Republik sprach, es gab regelmäßig Debatten über „den neuen Grass“ und auch auf den „neuen Eco“ wurde mal gewartet. Selbst der letzte Harry Potter ist lange her …
Was hat sich also geändert?
Die Leserschaft nimmt all unsere unglaublich aufregenden, großartigen neuen
Bücher nur noch mit einem Achselzucken wahr. Die Ereignisse, über die man heute spricht, sind Netflix-Serien oder neue Alben von Adele und Taylor Swift. Dagegen, dass sich dafür Millionen interessieren, ist nichts zu sagen. Ich finde nur, das sollten wir auch können. Denn es zieht den ganzen Buchmarkt mit sich, und zwar ins Bewusstsein der Leserschaft, es besagt: Hey, Lesen ist großartig, Lesen ist ein Ereignis, Lesen ist auch was für mich! Und sei es nur, damit ich mitreden kann. So gesehen, war vielleicht die etwas fragwürdige Kampagne für Stuckrad-Barre ein Segen.
Inwiefern?
Das Phänomen setzt ja schon im Kleineren an: Wie oft erleben Sie heute noch eine
Buchpremiere, also eine Veranstaltung, zu der mit Stolz eingeladen wird, wo sich
Medienvertreter treffen, um beim Flying Buffet die neueste Veröffentlichung oder
vielleicht sogar den Erstling einer Autorin zu feiern? Das spart man sich heute
in der Regel – und setzt damit gleich den Ton: Dieses Buch ist eben kein Ereignis,
sondern einfach bloß ein weiteres Buch in unserem Programm. Dabei sind Events vor allem Signale an den Rest der Welt: Schaut mal, was wir tolles haben! In diesem Sinne sind Veranstaltungen ein unglaublich wertvolles Mittel, um das Buch wieder stärker ins Bewusstsein der Leute zu bringen.
Wie beurteilen Sie aus der Perspektive des Agenten heraus die aktuelle Lage der Branche?
Aus Agentursicht bin ich mit der Situation des Buchmarktes nicht glücklich: Wir
haben einen Markt, in dem einzelne Werke einen unfassbaren Run erleben, da überbieten sich die Verlage in einer Weise, dass man sich die Augen reiben muss – und dann wiederum macht keiner den ersten Schritt und selbst die schönsten und tollsten Projekte finden keinen Abnehmer oder man geizt auf eine geradezu erniedrigende Weise mit den Honoraren herum.
Wie gehen Sie damit um?
Mir als Agent liegen alle Autoren am Herzen, auch diejenigen, die sich nicht
„lohnen“. Umso schwerer tue ich mich damit, denen zu erklären, dass ihr Werk
bloß aus Gründen, die nichts mit der Qualität, dem Inhalt oder dem Absender zu tun haben, verschmäht wurde. Kürzlich hat es mit einem großartigen Roman eines
jüdischen Autors nicht geklappt, dessen Werk einfach in keine Schublade gepasst
hat. Es hätte dennoch auch anders kommen können. Ist es aber nicht, obwohl alle
wussten, dass es ein sehr starker Roman war. Die Folge war, dass er dachte, er sei
ein Opfer antisemitischer Ressentiments in den Verlagen geworden. Aber das war
natürlich nicht der Fall: Unsere Branche ist weltoffen und tolerant. Nur manchmal
halt wirklich unverständlich und nicht zu erklären.
Wie beeinflussen die Herausforderungen, mit denen die Verlage zu kämpfen haben, Ihre Arbeit?
Ein Kernproblem ist geworden, dass Verlage ihr Engagement in PR und vor allem
Marketing zunehmend auf ganz wenige, oft nur einzelne Titel je Programm konzentrieren. Das macht das Marketing für diese Titel schlagkräftiger, führt aber dazu, dass die anderen meistens chancenlos sind. Sie werden zur programmlichen Dekoration für die wenigen Spitzentitel. Das führt natürlich dazu, dass man immer stärker darauf drängt, einem besonderen Projekt auf Teufel komm raus eine Spitzentitelplatzierung zu verschaffen. Natürlich mit der Folge, dass alles, was sonst unterwegs ist, auf praktisch aussichtslose Positionen rutscht.
Was aber ja auch am Einkaufsverhalten des Handels liegt, oder?
Klar, der Handel ist an der Entwicklung nicht unschuldig: Geordert wird, was ordentlich Marketing bekommt. Sprich: Die Titel sind nicht nur in der öffentlichen
Wahrnehmung bevorzugt, sondern auch am Point of Sale. Verschärft wird dieser
Trend durch die Erwartungshaltung der großen Filialisten und natürlich erst recht
der Onliner, dass jede noch so kleine Maßnahme, die man für ein Buch unternimmt, sei es der Verkaufstisch, sei es das Zusatzinterview mit der Autorin auf der Website, nur gegen bare Münze erfolgt. Da ist unsere Branche wirklich armselig: Woanders werben auch mal die Händler für die Produkte, die sie im Sortiment führen – bei uns muss immer der Produzent alles zahlen, also der Verlag.
Das gilt aber wirklich nur für die großen Filialisten …
Ja, deshalb ist das auch ein so großes Problem, weil es innerhalb des Buchhandels
den Wettbewerb unerträglich verzerrt: Die kleinen Sortimenter dürfen nämlich
von Werbekostenzuschüssen nur träumen. Da muss das Dekoplakat ausreichen. Geld bekommen nur die Großen.
Was sind denn ganz allgemein derzeit die größten Herausforderungen für Sie als Literaturvermittler?
Die größte Herausforderung ist die Tatsache, dass niemand mehr bereit ist, Autoren aufzubauen. Früher gab es noch die Haltung in Verlagen und Buchhandel, dass sich Gutes mit der Zeit schon durchsetzen wird, man muss es den Leuten nur lange und deutlich genug vor Augen führen. Da konnte es dann auch mal der vierte oder fünfte Roman sein, mit dem endlich der Durchbruch gelang.
Und heute …?
Das ist heute undenkbar! Wenn ein Buch floppt, gibt es von Verlagsseite mit Glück
noch eine zweite Chance, allerdings nur eine Minichance, denn nach einem Flop
gibt es für die Autorin keinen Spitzentitelplatz mehr im Programm. Das – und die
schlechten Zahlen des Erstlings – führt allerdings dazu, dass der Buchhandel das
Nachfolgebuch kaum noch vorbestellt – mit entsprechend miserabler Präsenz. Wer aber nicht gesehen wird, wird auch nicht gekauft.
Woran liegt das aber konkret, dass es quasi keine zweite Chance mehr gibt?
Der Algorithmus, der überhaupt nur noch aus Vergangenem auf Zukünftiges schließt, ignoriert die Eigenständigkeit und Qualität von Buch zwei vollständig und verweigert praktisch kategorisch jede Unterstützung.
Mit anderen Worten: Autorinnen und Autoren werden zu Wegwerfmarken. Was
nicht gleich funktioniert, interessiert den Markt nicht mehr. Der Mensch hinter dem Werk ist für den Buchhandel in dem Zusammenhang völlig uninteressant – und die Verlage sind meist ratlos. Denn da kennt man die Urheber:innen zwar persönlich und fühlt sich vielleicht sogar ein wenig verpflichtet, weiß aber meist auch keine Antworten auf die Problematik. Das ist die große Herausforderung, vor der wir als Agenturen immer wieder stehen – Autorinnen und Autoren neu zu erfinden, Mittel und Wege zu kreieren, wie es eben doch noch eine Chance gibt, obwohl man ja keine mehr hat.
Lieber Thomas Montasser,
als Autor, der kurz vor seinem Debüt steht (Frühjahr 2024, Aufbau atb), sich gut beraten fühlt durch seinen Agenten (Dirk Meynecke) und für sein Genre brennt (Klima- und Science-Faction-Thriller), teile ich Ihre illusionslose Situationsbeschreibung des Buchmarktes; ich bin mir des Risikos bewusst, als „Wegwerfmarke“ zu enden, bevor ich überhaupt die Chance hatte, zur Marke zu werden.
Als ehemaliger Kreativdirektor mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der klassischen Werbung verstehe ich die Budgetzwänge, denen Verlage unterliegen, sogar große Publikumsverlage. Markenaufbau kostet Geld, viel Geld und benötigt mehr als alles andere Konsistenz und Durchhaltevermögen. All das sind in der Verlagsbranche knappe Güter, gelinde gesagt. Sich bei der Chancenbewertung den Algorithmen einer KI auszuliefern und den eigenen verlegerischen Instinkt abzuschalten, generiert eine Endschlosschleife immer selbstähnlicherer Produkte, aber ganz sicher keine langlebigen Autor*innenmarken.
Als Fachjournalist, der seit 2007 im eigenen Blog online von der Frankfurter Buchmesse berichtet, bewundere ich gleichwohl die Vitalität und Anpassungsfähigkeit einer Branche, die sich immer wieder neu erfinden muss, um das Kulturgut Buch am Leben zu halten; ein Kulturgut, das das vielleicht letzte ist, das Menschen noch innehalten, durchatmen und sich einen Lesemoment lang aus dem Tremor der digitalen Beschleunigung der Welt befreien lässt.
Und dafür, denke ich, lohnt es sich zu kämpfen. Gemeinsam. Nach wie vor.
LG aus dem Taunus
Ihr Roland Mueller
Ich glaube, dass in den Verlagen selbst schon nicht mehr gelesen wird, die Kriterien der Auswahl sind mir völlig zweifelhaft. Wenn ich ein mutiges, gut recherchierten und professionell geschriebenes Werk lesen will, sehe ich mich unter amerikanischen Neuerscheinungen um. Deutsche Verlage haben keinen Mut – oder, ebenso schlimm, keine Ahnung