Die zehn besten Krimis im Juni / Matti Rönkä mit Bruderland neue Nummer Eins

Die finnische Kriminalliteratur wird viel zu sehr und ganz zu Unrecht als Teil der nach wie vor mächtig rollenden Schwedenkrimi-Welle wahrgenommen. Dass dies schon aus geschichtlich-kulturellen Gründen falsch ist, muss nicht weiter erläutert werden.

Ein hervorragendes Beispiel für finnischen Eigensinn sind die Romane von Matti Rönkä, der nach dem berechtigten Erfolg seines ersten Krimis mit dem Russlandfinnen Viktor Kärppä „Der Grenzgänger“ (Finnischer Krimipreis 2006, Deutscher Krimipreis 2008, KrimiWelt-Bestenliste 2007) hierzulande kein Unbekannter mehr ist. Sein zweiter Roman „Bruderland“ enthält alle Elemente, die den ersten bereits so interessant machten: das Milieu des großen und kleinen kriminellen Grenzverkehrs zwischen Finnland und Russland, der moralische Pragmatismus des Helden, seine Überlebenskunst als Re-Immigrant zwischen den Nationen. Hinzu kommen in „Bruderland“ Genauigkeit der Alltagsschilderung „einfacher“ Leute und der kriminellen Milieus beider Länder, urtümliche Komik.

Mit der Auswahl von Magdalen Nabbs „Vita Nuova“ weisen wir nicht nur auf ein höchst lesenswertes Buch hin, sondern ehren auch die 2007 im Alter von nur 60 Jahren verstorbene große Autorin. Magdalen Nabb gelingt, was Donna Leon, die weitaus berühmtere, immer nur intendiert: einzutauchen in die Konflikte des italienischen Alltagslebens. Ihr letzter Fall – für ihren Protagnisten Maresciallo Guarnaccia ist es der vierzehnte – handelt vom Schicksal der clandestini, die als Dienstbotinnen und Prostituierte gehalten werden (übrigens ganz ähnlich Carlo Fruttero in „Frauen, die alles wissen“), und weiter vom alltäglichen Gewissenkonflikt aufrechter Polizisten in korrupten Gesellschaften: dürfen sie um der zweifelhaften Gerechtigkeit willen ihre Existenz und die ihrer Kollgen aufs Spiel setzen?

Es lohnt sich, Magdalen Nabb, die in ihren Anfängen sehr von Georges Simenon gefördert wurde, noch einmal ganz zu lesen. (Tobias Gohlis)

Hier die komplette Liste für Juni:

1. (–) Matti Rönkä: Bruderland. Grafit

Helsinki/St.Petersburg: Viktor Kärppä, Grenzgänger zwischen Suomi und Rossija, in der Zwickmühle. Den eigenen Leuten, den Russlandfinnen, will er helfen, gezwickt von Drogenfahndung und russischer Mafia. So wirre ist die Welt, dass selbst ein Elitesoldat und Leistungssportler kaum klarkommt.

2. (1) Robert Littell: Die Söhne Abrahams. Scherz
Heilige Stadt Jerusalem: Der fundamentalistische Rabbi Apfulbaum wird entführt vom islamistischen Doktor Al-Shaat. Im Wettlauf zwischen Geheimdiensten und Entführer siegt die Logik des Wahns. Warum gibt es keinen Frieden in Nahost? Faszinierendes Gedankenspiel von Robert Littell, dem Vater Jonathans.

3. (–)* Allan Guthrie: Abschied ohne Küsse. Hard Case Crime bei RotbuchEdinburgh/Orkneys: Erst hat er Literatur studiert, dann Geldeintreiben. Mit dem Baseballschläger ist Joe Hope perfekt. Bis seine Frau damit erschlagen wird. Da muss der Loser sich auf seinen Verstand und neue Freunde einlassen. Sonst landet er lebenslang im Knast.

4. (8) Matt Beynon Rees: Der Verräter von Bethlehem. C.H.Beck
Bethlehem: Als sein Ex-Schüler George unter der Anklage verhaftet wird, ein Spitzel der Israelis zu sein, rafft sich der alte Lehrer Omar Jussuf auf, ihn zu retten. Und legt sich, trotz Husten und Rückenschmerzen, mit den lokalen Polit-Gangstern an, den Märtyrerbrigaden. Gut und Böse unter Kriegsbedingung.

5. (5) David Peace: 1983. Liebeskind
Yorkshire: Wie schon 1969 und in den siebziger Jahren wird ein Schulmädchen vermisst. Maurice Jobson erfoltert Geständnisse wie je. Anwalt Pigott verteidigt, ermittelt, erstickt. Stricher AF nimmt Rache. Band Vier des Red Riding Quartets: Grandioser Abschluss. Thatchers Yorkshire als verlorenes Paradies.

6. (4) Lawrence Block: Verluste. Funny Crimes bei Shayol
New York: Reden nützt nichts, wenn einer einen umbringen will. Mick Ballou, Gangster, und Matt Scudder, Privatdetektiv, wollen nur ihren Angelegenheiten nachgehen. Aber irgendwer hat es auf sie abgesehen. Da fällt die Zivilisation von ihnen ab. Ohne Bedauern: Jeder stirbt. Altmeister Block redivivus.

7. (2) Lee Child: Sniper. Blanvalet
Nowhere in Indiana: Amerikanischer Alltag. Ein Scharfschütze nietet fünf Passanten um, der Täter ist bald gefasst. Jack Reacher kommt, um ihn sicher einzulochen. Doch ein Indiz ist zu viel in der lückenlosen Kette. Die Child-Formel mit Suchtpotenzial: Spannung + Intelligenz = Aktion.

8. (7) Marek Krajewski: Festung Breslau. dtv
Breslau 1945: Vor der Stadt die Russen, in der Festung tobt ein Geisterkrieg. Im Gerechtigkeitswahn verfolgt der suspendierte Kriminaldirektor „Bluthund“ Mock Gräfin und Diener, KZ-Kommandant und Antifaschistin. Innen Alb, außen Untergang. Grandios. Besessen. Polens kraftvolle Stimme im europäischen Krimi-Konzert.

9. (–) Magdalen Nabb: Vita Nuova. Diogenes
Florenz: Maresciallo Guarnaccia im Gewissenskonflikt, Schicksal italienischer Polizisten: Darf er seine und seiner Kollegen Existenz riskieren? Mordermittlungen unter Neureichen versickern im Sumpf der Oberen Zehntausend. Der letzte Roman der Engländerin entzückt durch Seelenkunde, Atmo, Tiefenschärfe.

10. (10) Stuart MacBride: Der erste Tropfen Blut. Goldmann
Aberdeen: Sex in a Scottish City. Ein Pornodarsteller wird zu Tode sodomisiert, der lokale Fußballstar ist ein Vergewaltiger. DS „Lazarus“ McRae trampelt durch Fettnäpfchen und wird von einem Achtjährigen verhauen. DI Steel flucht und DI Insch frisst. Grotesk, witzig, überscharf: Klasse Schotte. Zum Brüllen.

* im April auf Platz 10.

Die Juni-Ausgabe der KrimiWelt-Bestenliste wird auch im NordwestRadio (heute live mit Lore Kleinert, ca. 8:35 Uhr, und am Sonntag in der „Literaturzeit“ zwischen 15:00 und 16:00 Uhr) sowie in der Literarischen Welt vorgestellt.

Buchhändler können einen dreifarbigen Flyer mit der aktuellen KrimiWelt-Bestenliste bestellen. Kontakt: KrimiWelt, c/o asv vertriebs GmbH, Süderstraße 77, 20097 Hamburg, E-Mail: krimiwelt@axelspringer.de, Fax: 040/34 72 76 68.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert