Klaus Kluge und Christiane Munsberg zum 3. Digitaltag der LIT:potsdam: „Den Blick über den Tellerrand der eigenen Befindlichkeit zu werfen, ist Ziel des Digitaltags“

Am 27. Juni 2023 findet – mittlerweile bereits zum dritten Mal – der Digitaltag der LIT:potsdam statt. Im Park der Villa Schöningen treffen sich Autor:innen, Vertreter:innen der Presse- und Buchbranche sowie alle, die sich für die digitale Zukunft der Buch- und Medienbranche in Europa interessieren. Wir sprachen dazu mit Klaus Kluge und Christiane Munsberg:

Sie beide haben sich gemeinsam das Format ausgedacht. Welche generelle Idee steht dahinter?

Christiane Munsberg

Christiane Munsberg: Das Format wurde erstmals vor zwei Jahren von der damaligen Kuratorin der LIT:potsdam, Karin Graf, ins Leben gerufen. 2020 beauftragte sie Klaus Kluge und mich, einen Konferenztag für die Buch- und Medienbranche innerhalb des Literatur-festivals zu konzipieren. Seitdem dient dieser „Digitaltag“ dazu, Persönlichkeiten aus Presse und Verlagen mit unterschiedlichen Spezialist:innen und interessierten Buch- und Medien-menschen zusammenzubringen. Hier wird nicht nur zugehört. Nein, die Gäste sollen vielmehr ihre Erfahrungen einbringen und viele Fragen stellen – im Plenum und im direkten Austausch mit den Mitwirkenden und natürlich auch untereinander. Auf diese Weise wollten wir einen Ort für Begegnungen und Austausch innerhalb der Literatur- und Medienbranche etablieren und damit ein Netzwerk schaffen.

Der Digitaltag 2023 beschäftigt sich mit dem nächsten Schritt der Digitalisierung in der Medien- und Buchbranche. Deren Unternehmen haben eine besondere Verantwortung: Sie müssen den digitalen Ausbau ihrer Geschäfte nachhaltig forcieren, Wohlstand auch für künftige Generationen erwirtschaften und zu Demokratie und Teilhabe beitragen. In diesem Jahr steht der Konferenztag unter der Überschrift „Provokation als Geschäftsmodell?“ Diese Frage wird in verschiedenen Vorträgen und Podien diskutiert, Informationen und Denkanstöße werden konzentriert vermittelt und es gibt viele Gelegenheiten, darüber mit Gleichgesinnten zu diskutieren.

Was genau versteht man unter dem Motto „Provokation als Geschäftsmodell?“ Um welche Provokationen geht es hier? Und wie verändern sie die Arbeit in der Buchverlags-, aber auch in der Medienbranche?

Klaus Kluge

Klaus Kluge: Wir erleben tagtäglich, dass Desinformation, Hass und Shitstorms um sich greifen; nur wer laut ist, wird wahrgenommen. Die digitalen Plattformen bieten jedem die Möglichkeit, seine Botschaft, und sei sie noch so krude, ungefiltert zu verbreiten. Gleichzeitig aber steigt in einer zunehmend als unsicher empfundenen Welt der Bedarf nach gründlich recherchierten, sauber analysierten Informationen. Wenn wir verhindern wollen, dass unsere Demokratie dauerhaft Schaden nimmt, dass Moral und Gemeinsinn zu den Verlierern disruptiver Geschäftsmodelle werden, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen. Dabei den Blick über den Tellerrand der eigenen Befindlichkeit zu werfen, ist Ziel des Digitaltags. Und die Persönlichkeiten, die wir für diesen Tag gewinnen konnten, stehen für einen weiten, unverstellten Blick.

Der Digitaltag bietet einige hochkarätig besetzte Podiumsveranstaltungen und Vorträge. Geben Sie uns einen konkreten Einblick in das Programm?

Christiane Munsberg: Sehr gerne. Das Programm beginnt mit einer Keynote über Cancel Culture und Meinungsfreiheit von Andrian Kreye. Er arbeitete einige Zeit in den USA, kennt die Protagonist:innen im Silicon Valley und die führenden Köpfe des digitalen Wandels aus nächster Nähe, außerdem war er Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung. In letzter Zeit schreibt er und fast täglich darüber, was die generativen KIs der Large Language Models mit uns, der Kultur und der Gesellschaft machen.

Das zweite Impulsreferat hält der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Peter Kraus vom Cleff spricht über den Status quo des deutschen Buchhandels. Als Präsident des europäischen Verlegerverbandes FEP kennt er aber auch die Sorgen und Nöte der europäischen Verlage, er kann darüber berichten, von welchen Medienfirmen in Europa wir alle lernen können.

Die beiden Panels bilden die „Herzkammern“ des Digitaltages. Die Politikjournalistin Livia Gerster (FAZ), der Hörfunk-Literaturkritiker Knut Cordsen (Bayerischer Rundfunk) und der Reporter Daniel Schulz (taz) verhandeln die Frage „Glaubwürdigkeit als neue Währung – was, wenn die Wahrheit auf der Strecke bleibt?“ Mit dem Siegeszug der sozialen Medien kann jedermann seine Meinung öffentlich machen. Plattformen, die sich durch Traffic monetarisieren, verstärken dabei die Lautesten. Auf diese Weise dominieren Partikularinteressen zunehmend den gesellschaftlichen Diskurs. Wir wollen darüber diskutieren, wie Journalist:innen mit Verschwörungsmythen, Filterblasen, Querdenkern umgehen. Was ist heute „Qualitätsjournalismus“? Beim Buchhandelspanel sprechen die Verlegerin Annette Michael, die Buchhändlerin Lilly Jakob und der Kolumnist und Autor Harald Martenstein darüber, wie gesellschaftliche Interessengruppen unsere Branche verändern und darüber, mit welcher Berechtigung man literarische Werke nachträglich verändern darf. Stichworte zur Überschrift „Lauter, diverser, provokanter. Was darf Literatur oder was soll man canceln?“ sind z. B. Cancel Culture, Sensitivity Reading und #frauenzählen. Durch den Tag führt Torsten Casimir, der ehemalige Chefredakteur des Börsenblattes und jetzige Sprecher der Frankfurter Buchmesse.

Die von Ihnen konzipierte Veranstaltung richtet sich ganz explizit an Vertreter:innen der Buchbranche. Aus Ihrer Sicht: Warum lohnt es sich für Verlagsleute, aber auch für Buchhändler:innen und Autor:innen, am Digitaltag teilzunehmen?

Klaus Kluge: Es sind nicht nur die Themen, die uns unmittelbar berühren sollten –  es ist auch die Mischung der Diskutant:innen, mit denen wir in den beiden Panels aufwarten können. Wann erlebt man schon mal einen gestandenen Kolumnisten und Buchautor wie Harald Martenstein im Wortgefecht mit einer Vertreterin der jüngsten Buchhändlergeneration, Lilly Ludwig von der Nürnberger Buchhandlung Jakob. Und als Dritte auf dem Podium Annette Michael, Verlegerin des Orlanda Verlags, der sich politischer Literatur und der Frauenbewegung verschrieben hat. Torsten Casimir wird, so ist zu vermuten, ordnend eingreifen müssen.

Und auch die drei Pressekolleg:innen vom Bayerischen Rundfunk, der FAZ und der taz, Knud Cordsen, Livia Gerster und Daniel Schulz, dürften nicht in allem einer Meinung sein und sind doch dem großen Ganzen verpflichtet. Im Tagesjournalismus. Wie auch, alle drei, als Buchautor:innen. Wer dann noch tiefer einsteigen mag: Die Buchhandlung Wist ist mit einem Büchertisch vor Ort. Und bei aller möglichen und ja auch gewünschten Kontroverse: Der zauberhafte Park der Villa Schöningen, an dem der Kongress zum nunmehr zweiten Mal stattfinden kann, wird die Gemüter besänftigen. Christiane Munsberg und ich freuen uns auf zahlreichen Besuch und versprechen neben manch Erkenntnisgewinn aus den Diskussionsbeiträgen viele spannende Begegnungen.

Welche Rolle spielt Europa an diesem Digitaltag?

Christiane Munsberg: Unter den Mitwirkenden sind vier Akteur:innen mit einem explizit europäischen Hintergrund. Das ist zunächst der Gastgeber Christian Ehler, der einen kurzen Überblick darüber geben wird, wie und mit welchen aktuellen Themen heute in Straßburg und Brüssel Medienpolitik für Europa gemacht wird. Denise Quistorp ist Direktorin des Österreichischen Kulturforums und gleichzeitig Präsidentin von EUNIC Berlin, dem Netzwerk der Europäischen Kulturinstitute. Sie hat zum Erfolg des gelungenen österreichischen Gastland-Auftritts „meaoiswiamia“ bei der Leipziger Buchmesse 2023 beigetragen, und sie weiß, wie  Kulturveranstaltungen die Politik ihrer Regierung „framen“ und erlebbar machen. Über die EUNIC haben wir auch Mitarbeiter:innen der europäischen Kulturinstitute in Berlin eingeladen. Verlage und Buchhandlungen können hier Kontakte knüpfen und beispielsweise konkret erfahren, wie die europäischen Kulturinstitute in Berlin Veranstaltungen mit Autor:innen aus ihren Ländern unterstützen.

Zum Abschluss gibt es einen Ausblick auf zwei europäische Projekte: Der KI-Experte Matthias Pfeffer stellt den neu gegründeten „Council for European Public Space“ der European Cultural Foundation vor. Bei diesem Projekt will die EU-Kommission Inhalte von europäischen Medien durch KI-gestützte Übersetzungen in ganz Europa zugänglich machen. Anschließend diskutiert Matthias Pfeffer mit Svetla Canova-Encke. Sie koordiniert in Brüssel das „European Science-Media Hub“, ein Institut, das Wissenschaft und Medien in Europa vernetzt und auf diese Weise die Verbreitung von wissenschaftsbasierten Informationen fördert.

 

 

 

 

 

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