An dieser Stelle schreibt Literaturagent und Autor Thomas Montasser regelmäßig über die Absonderlichkeiten des Literaturbetriebs – heute über den Click als Einkaufsfaktor und das Geheimnis von GNU.
GNU. Was klingt, wie die etwas unglückliche Bezeichnung einer Nichtregierungsorganisation ist in Wirklichkeit die etwas unglückliche Bezeichnung einer Autorin, die als solche einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist durch ihr Werk „Du schaffst das nicht“. Der Verfasser dieser Kolumne gibt unumwunden zu, dass er die Autorin angesichts des Namens zunächst für einen Autor hielt. Aber solche Details spielen ja ohnehin nicht mehr die ganz große Rolle.
GNU also. Und ihr Buch. Der erste Satz klärt gleich alles: „Dieses Buch ist eine Art Let’s Play meines Lebens.“ Will ich das lesen? Also ich nicht. Aber wahnsinnig viele andere Menschen. Die Frage ist: Warum? Denn GNU hat mit ihrem Buch über „Kontrollverlust“ einen erstaunlichen Bestseller gelandet, in dem übrigens auch „die Content Creator HandOfBlood, Alicia Joe, und Lara Loft sowie die Co-Autorin … Lisa Ludwig“ zu Wort kommen.
Wer?
Spielt es eine Rolle? – Nein.
Spielt es eine Rolle, was sie sagen? – Nein!
Entscheidend ist, dass es genügend Menschen zur Kenntnis nehmen. Und das Buch kaufen. Was sie übrigens auch tun. Denn sie folgen GNU und HandOfBlood und Lara und Lisa, sie sind Follower. Fans sozusagen. Und Fans kaufen. Gadgets, Make-ups, Mode – und neuerdings auch Bücher. Sie retten sozusagen den Buchmarkt. Also: zumindest die Verlage und die großen Onliner. Denn dass die Leserschaft von GNU & Co. in Scharen kleine Sortimentsbuchhandlungen stürmt, darf eher bezweifelt werden. Da kauft man per Click.
Der Click ist übrigens auch der Einkaufsindikator vieler Verlage geworden. Inzwischen geht man scheinbar oft weniger vom Inhalt eines angebotenen Buchs aus, als von der Followerzahl der Autorin oder des Autors. Ja, man sucht sich die reichweitenstärksten Influencer und quatscht ihnen dann ein Buch auf. „Ein Buch? Ich? Ich hatte in Deutsch immer eine Fünf.“ – „Kein Problem. Dafür haben wir die Lisa (wahlweise: die Lotta oder die Leonie). Die macht dir ein Buch draus.“ – „Aus was denn überhaupt?“ – „Ach, mach dir mal keinen Kopf. Dafür haben wir die HandOfPulp (alternativ: das LegOfTerror oder den ShitOfStorm).“
Bücher aus der Retorte. Naja, der Autor dieser Kolumne singt ja gerne mal das Hohelied der Teamwork bei der Erschaffung literarischer Werke. Warum also nicht gleich alles erfinden: Inhalt und Urheber?
Bei den Followerzahlen, die manch Influencer hat, sind die Bestseller vorprogrammiert. Klar verstopfen diese Nullnummern die Verlagsprogramme und verdrängen Autor*innen, die was zu sagen gehabt hätten und möglicherweise sogar schreiben können! Klar lautet die Frage bei der Entscheidung, ob ein bestimmtes Buch gemacht werden soll, immer öfter: Ist die Autorin auf Social Media präsent? Hat der Autor wirklich genügend Klicks auf YouTube? Aber hey, wollen wir das Abendland retten oder wollen wir Bücher verkaufen?
Außerdem lesen sich die Bestsellerlisten viel vergnüglicher, seit darauf Namen auftauchen wie $ick, Knossi, Pati Valpati oder Paluten. Nicht selten sind immerhin die Titel literarische Meisterwerke! Um keinen Stress mit den Jugendschutzbehörden zu bekommen, verzichten wir hier auf Zitate. Eine Jenny Erpenbeck oder ein Martin Walser jedenfalls können davon nur träumen. Von den Followerzahlen natürlich auch. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Retortenbestseller oft nur Eintagsfliegen sind. Denn die Fans wollen bekanntlich ständig mit etwas Neuem gefüttert werden. Ein Buch von vorletzter Woche ist für sie so alt wie für andere eine Samstagabendshow mit Rudi Carrell. Deshalb schießen ihre „Werke“ auf den Listen kometenhaft nach oben, um ruckzuck wieder zu verglühen. Ein Quantum Trost für Jenny und Martin. Jetzt schnell auf die Liste, ehe der nächste YouTuber an den Start geht!
Wider- oder Zuspruch:
An thmontasser(at)montassermedia.de.
Zuletzt schrieb Thomas Montasser über Ghostwriter
Tja, lieber Meister Montasser,
vor Urzeiten begann mein Lesen mit Peterchens Mondfahrt, es kamen Akim und Sigurd, später der nun so verruchte Karl May und viele Hefte Jerry Cotton. Lesen wurde zur Leidenschaft – und es waren (neben dem Kleinen Arschloch und den Manuskripten für die Andere Bibliothek) sogar Hera Lind und Charlotte Link darunter.
So what?
Das Lästern über diese neuen Leser erinnert mich doch sehr an meine über jede Kitschheftchenlektüre empörten, Franz Werfel liebenden Tanten …
Lieber Vito von Eichborn,
wie schön, dass Sie meine kleine Lästerei zur Kenntnis genommen haben. Wenn Sie Empörung darin gelesen haben, dann haben Sie aber den Mangel an Ernstlichkeit verkannt;-)
Aber mich quasi im selten Atemzug mit Ihren Tanten und Franz Werfel zu wähnen, dafür nehme ich jede Kritik mit Freuden in Kauf (von Akim und Sigurd ganz zu schweigen).