Jasmin Taylor über Frauen im Iran: „Es ist Zeit für eine Kehrtwende!“

„Vernetzung ist so wichtig“: Jasmin Taylor sucht Verbündete im Kultur-, Medien- und öffentlichen
Bereich, die sie bei der Aufklärung in
Deutschland unterstützen können. Der Europa-Verlag ist hier ein sehr guter
Bündnispartner, aber auch engagierte
Buchhändlerinnen wie Carolin Schönle (links),
Filialleiterin der Berliner Buchhandlung
Der Divan

Jasmin Taylor beleuchtet in ihrem Buch Im Namen Gottes (Europa Verlag)  in Form von Memoiren zutiefst erschütternde Einzelschicksale von sieben Frauen, die stellvertretend für über 40 Millionen Iranerinnen stehen. Auch die Autorin selbst berichtet als eine der Protagonistinnen von ihren eigenen verstörenden Erfahrungen. Das Besondere und zugleich die schockierende Erkenntnis dieses Buches ist, wie sie dabei Bezug auf die Grundlagen des islamischiranischen Rechts nimmt. Darüber, wie ein gemeinsames Engagement
für Gerechtigkeit von Autorin, Verlag und
Buchhandel aussieht, berichten wir im kommenden Oktober-BuchMarkt.

BuchMarkt: Wo liegen Ihre lebensgeschichtlichen Wurzeln? Was hat sie mit 17 Jahren dazu gezwungen, Heimat und Familie zu verlassen und in ein fremdes Land zu flüchten? Wo lebt Ihre Familie heute?

Jasmin Taylor: Ich bin gebürtige Iranerin. Schon früh wusste ich, dass ich ein selbstbestimmtes Leben führen wollte, obwohl mir dieser Ausdruck als Kind nicht bekannt war. Im Iran hatte ich damals drei Möglichkeiten: 1. Bleiben und ein fremdgesteuertes, unterdrücktes Leben führen. 2. Widerstand leisten und eine Inhaftierung oder sogar eine Hinrichtung riskieren. Oder 3.: Das Land verlassen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich entschied mich zu gehen, und wenn ich heute auf mein Leben zurückblicke, kann ich mit Stolz sagen, dass ich es geschafft habe, ein unabhängiges, freies und selbstbestimmtes Leben zu führen, und ich tue es immer noch. Dennoch: Mein Leben war nie perfekt oder fehlerfrei, aber es ist und bleibt mein eigenes!

Meine Familie lebt heute verstreut in der ganzen Welt.

Gab es für Sie schon damals und gibt es bis heute Frauen, die für Sie Vorbilder waren und auch heutigen Frauen zum Vorbild werden können?

Meine Mutter steht hierbei an erster Stelle. Sie war – allein durch uns sieben Geschwister – stets vielen Herausforderungen ausgesetzt und trägt bis heute eine unglaubliche Güte in sich. Alles, was sie tut, ist mit sehr viel Liebe den Menschen gegenüber erfüllt. Jeder in ihrer Umgebung bekommt es zu spüren, und das ist absolut bewundernswert.

Kaiserin Schahbanu Farah Pahlavi, welcher ich auch mein Buch „IM NAMEN GOTTES – Die Unterdrückung der Frauen im Iran” widme, ist für mich ein großes Vorbild. Sie gilt bis heute als Inspiration für Millionen von Frauen. An der Seite des Königs hat sie sich während ihrer Regentschaft (1967–1979) insbesondere für die Förderung und Unterstützung iranischer Frauen und Kinder engagiert und den Menschen in Sachen Bildung, Kultur, Familienrecht, Arbeitsrecht und Gesundheit viele Wege geebnet.

Ich bin überzeugt, dass die iranischen Frauen von heute nicht so viel Mut und Kampfgeist besitzen würden, gäbe es nicht die persische Dichterin Táhirih. Sie lebte Anfang 19. Jahrhunderts im Iran und gilt als Vorkämpferin für Frauenrechte. Das Tuch, das sie damals bei einer ihrer wichtigsten öffentlichen Reden ablegte, wurde später zur Waffe, die ihr den Tod brachte. Sie wurde damit grausam erdrosselt und in einen Brunnen geworfen. Doch ihre Aufopferung und ihr unbeirrbarer Glaube an die Gleichberechtigung der iranischen Frau schenkt diesen Frauen heute Mut und Hoffnung im Zuge der „Frau, Leben, Freiheit”-Revolution.

Ihr kämpferisches Zitat „Ihr könnt mich töten, aber ihr könnt den Fortschritt der Frauen nicht aufhalten”, tönt heute lauter denn je.

Wie schätzen Sie die Lage von Frauen weltweit ein? Gibt es Länder, wo der Umgang miteinander und die Gesetzeslage gerecht und angemessen ist?

Die Stellung der Frauen und deren Rechte überall auf der Welt sind sehr unterschiedlich. Eine Vereinheitlichung gibt es an dieser Stelle nicht, denn in jeder Ecke unseres Planeten sind Frauen mit anderen Problemen, Herausforderungen, religiösen Dogmen und Gesetzen konfrontiert. Allein in Deutschland gibt es noch viel in Sachen gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen zu tun. Vereinbarkeit von Job und Familie, Gender Pay Gap oder Unterrepräsentation in Führungspositionen sind nur einige wenige Punkte, in denen selbst ein derart freies und fortschrittliches Land wie Deutschland noch viel aufzuholen hat.

Die Skandinavier dagegen sind da schon weiter. Die Gleichberechtigung fängt hier schon beim Bildungssystem an, gestärkt durch eine umfassende Gesetzesgrundlage, die Frauen u. a. durch flexible Arbeitszeiten, umfassende, bezahlte Betreuungsmöglichkeiten für Kinder sowie Quotenregelungen für Führungspositionen unterstützt.

All dem kann man Iran als negatives Beispiel entgegensetzen. Von jeglicher Gleichberechtigung in allen erdenklichen Lebensbereichen sind iranische Frauen noch Lichtjahre entfernt.

Was ist das Besondere an der Unterdrückung von Frauen im Iran? Wo liegt die große Kluft zwischen der iranischen Gesetzgebung und dem internationalen Recht?

Die staatlich verordnete Abwertung der iranischen Frau gegenüber dem Mann ist in der Scharia, auf der das islamische Recht basiert, gesetzlich verankert. Es ist doch so, dass die breite Masse nicht weiß, dass eine Frau im Iran von Geburt an einen männlichen Vormund braucht. Mädchen gelten ab einem Alter von neun Jahren als strafmündig und können infolgedessen zum Tode verurteilt werden, wogegen ein Mann erst ab 15 Jahren als strafmündig gilt. Mädchen sind nach islamisch-iranischem Recht mit 13 Jahren heiratsfähig. Lässt der gesetzliche Vertreter die Geschlechtsreife eines Mädchens vor Gericht feststellen, so sind Eheschließungen auch mit Mädchen ab 9 Jahren möglich. Generell bedarf es zur Ehe die Zustimmung des männlichen Vormundes. Innerhalb einer Ehe darf der Mann Gewalt gegen seine Frau anwenden und sie gesetzlich legitimiert vergewaltigen. Es bedarf grundsätzlich der Zustimmung des Mannes, wenn es um das Wohn- sowie Reiserecht oder die Ausstellung eines Reisepasses geht. Das Scheidungsrecht im Iran liegt grundsätzlich beim Mann und kann ohne Angaben von Gründen erfolgen. Eine Frau hingegen muss bei einem Scheidungswunsch auf alles verzichten und ist auf die Zustimmung ihres Mannes angewiesen. Das Sorgerecht bekommt im Iran der Mann, welcher gesetzlich legitimiert ist, der Frau das Kind ab dem neunten Lebensjahr zu entreißen.

Wo liegt der Schwerpunkt, was ist das Besondere Ihres Buches?

Mein Buch „IM NAMEN GOTTES – Die Unterdrückung der Frauen im Iran” beleuchtet zutiefst aufwühlende Einzelschicksale von sieben iranischen Frauen, die stellvertretend für über 40 Millionen von Iranerinnen stehen. Jeder Leidensweg wird in Form eines Memoirs erzählt. Auch ich berichte darin als eine der Protagonistinnen von meinen verstörenden Erfahrungen. Neu und schockierend darin ist, dass auf Grundlagen des islamisch-iranischen Rechts Bezug genommen und erläutert wird, dass Frauenhass und Gräueltaten durch gezielte Gesetzgebung legitimiert sind. Zudem wird ein Vergleich zwischen der iranischen Gesetzgebung und internationalem Recht gezogen. Durch diese sachliche Ebene wird verdeutlicht, dass systematische Diskriminierung gegen Mädchen und Frauen im Rahmen des Gesetzes erlaubt ist und auch geschieht.

Was kann die deutsche Öffentlichkeit, was können deutsche Medien, Bildungsveranstalter, aber auch Verlage und Buchhändler tun, um iranischen Frauen beizustehen?

Ich wünsche mir, dass die Öffentlichkeit hierzulande mehr Bewusstsein für die Problematik der Unterdrückung iranischer Mädchen und Frauen schafft.

So wird in meinem Buch die brutale Realität eines Landes aufgedeckt, in der Mädchen und Frauen willkürlich inhaftiert, gefoltert, vergewaltigt und hingerichtet werden. Und dies, obwohl die Islamische Republik Iran nach wie vor Mitglied der UN-Konvention ist, denn die fortlaufenden und schwerwiegenden Vertragsbrüche – insbesondere in Bezug auf Kinderrechte – bleiben ungeahndet. Ein unfassbares Zeugnis von frauenverachtender Unterdrückung – und die Welt schaut tatenlos zu.

Die deutsche Öffentlichkeit, deutsche Medien, Bildungsveranstalter, aber auch Verlage und Buchhändler können iranischen Frauen beistehen, indem sie Bewusstsein schaffen und Veränderungen anstoßen, um die Rechte der Frauen weltweit zu stärken und diese insbesondere im Iran zu erlangen.

Tatsache ist: »Die Regierung der Islamischen Republik Iran behält sich das Recht vor, Bestimmungen oder Artikel der Konvention nicht anzuwenden, die mit den islamischen Gesetzen und der geltenden nationalen Gesetzgebung unvereinbar sind.«

(Aus der UN-Kinderrechtskonvention)

Jeder Schritt hin zur Gleichberechtigung und Freiheit für Frauen im Iran ist ein Schritt in Richtung einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft für alle. Die Iran-Politik muss neu gedacht werden! Die Welt muss geschlossen und mit lauter Stimme gegen das Mullah-Regime sprechen! Es ist Zeit für eine Kehrtwende!

Bieten Sie auch Lesungen in Buchhandlungen, Gemeinden, Lesekreisen und politischen Veranstaltungen an?

Ja. Ich werde alle mir verfügbaren Plattformen nutzen, um über das Buch und die Unterdrückung iranischer Frauen zu sprechen. Denn JEDE Stimme zählt.

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