Festliche Schlüsselübergabe an Dea Loher

Angelika Klüssendorf, Dea Loher, Uwe Becker
und Renate Müller-Friese bei der
Übergabe des Schlüssels

Gestern Abend kamen Hunderte ins Festzelt auf dem Markt von Bergen zum traditionellen Stadtschreiberfest. Amtsinhaberin Angelika Klüssendorf übergab den Schlüssel des Dichterhauses An der Oberpforte 4 an ihre Nachfolgerin Dea Loher [mehr…]

Die Ortsvorsteherin des Frankfurter Stadtteils Bergen-Enkheim, Renate Müller-Friese, begrüßte die Gäste. Erstmals konnten diese vor Veranstaltungsbeginn auf großen Monitoren mehr über die 41-jährige Geschichte vorangegangener Stadtschreiber erfahren.

Müller-Friese plädierte in ihrer Rede für Toleranz, die allerdings nicht unbegrenzt sein dürfe, sonst gehe sie verloren. „Angriffe auf die Toleranz dürfen nicht geduldet werden“, unterstrich die Politikerin und erklärte für ihren Ortsteil: „In Bergen-Enkheim funktioniert das interkulturelle, weltoffene Leben.“

Die Grüße der Stadt Frankfurt überbrachte Kämmerer Uwe Becker; er nannte Bergen-Enkheim den „literarischsten Stadtteil Frankfurts“ und lobte das große kulturelle Engagement der Bürger.
Zwar habe der 1974 von Franz Joseph Schneider initiierte Stadtschreiberpreis keinerlei Pflichten, aber die Bergener erwarteten schon etwas vom jeweiligen Amtsinhaber. „Das Haus An der Oberpforte 4 und das Preisgeld in Höhe von 20.000 Euro bieten den entsprechenden Rahmen dafür“, sagte Becker. „Dea Loher wird das Juwel Bergen-Enkheim in den nächsten zwölf Monaten erkunden“, hoffte der Kämmerer abschließend.

Die Festrede hielt Willi Winkler, Autor, Übersetzer und Literaturkritiker der Süddeutschen Zeitung. In einem Parforceritt zeigte er auf, wie die Bild-Zeitung ihre mediale Macht nutzt, um die Öffentlichkeit zu manipulieren. Winkler nannte beispielhaft dafür die Berichterstattung über Heinrich Albertz, evangelischer Pastor und 1966 bis 1967 Regierenden Bürgermeister in Berlin – er übernahm die Verantwortung für den Mord an Benno Ohnesorg und trat 1967 zurück. Auch die Ex-Bundepräsidenten Roman Herzog und Christian Wulff spielten eine große Rolle in der Boulevard-Zeitung, die längst nicht mehr nur von Arbeitern gelesen werde. „Schauen Sie mal, was in der Business-Klasse der Flieger und in der Ersten Klasse der Bahn gelesen wird – Sie werden staunen“, konstatierte der Redner.
Abschließend spannte Winkler den Bogen zu Niccolò Machiavelli – auch er war zunächst Stadtschreiber in Florenz.

In Angelika Klüssendorfs Abschiedsrede spielte die schillernde Figur ihres Vaters eine große Rolle. Der gewiefte Geschäftemacher – sein größter Coup sei der Verkauf des Eifelturms an einen Schrotthändler gewesen – habe sich viel in Bergen herumgetrieben und seine Tochter auf mitunter skurrile, aber auch charmante Weise vertreten. „Ich bin mir allerdings nicht sicher, wer in diesem Augenblick vor Ihnen steht – mein Vater oder ich“, schloss Klüssendorf und erhielt viel Beifall für ihre humorvollen und hintergründigen Worte.

Anschließend wurde der Schlüssel zum Stadtschreiberhaus an Dea Loher übergeben. In ihrer Antrittsrede ging sie auf ihre Reise ins englische Sussex im Frühjahr dieses Jahres ein. Dort besuchte sie Monk’s House, ein „Landschreiberhaus“, in dem die Dichterin Virginia Woolf lebte. Sechs Meilen entfernt wohnte deren Schwester Vanessa Bell im Charleston Farmhouse, auch diesem Domizil stattete Loher einen Besuch ab. Virginia Woolf erkannte früh, dass es soziale und ökonomische Unabhängigkeit braucht, um schreiben zu können. Diese Unabhängigkeit ermögliche ihr, Dea Loher, nun der Stadtschreiberpreis von Bergen. Während sich der Besuch der Dichterinnen-Häuser in England aufgrund eigenwilliger Öffnungszeiten und inkompatibler Busverbindungen schwierig gestaltete, sei das in Bergen-Enkheim ganz anders. Dea Loher hatte herausgefunden, dass eine Haushälterin von Vanessa Bell wohl irgendwann nach Bergen gezogen sein müsste. Möglicherweise sei diese Molly Baumann eine Urahnin des hiesigen Stadtschreiberhauses. „Sachdienliche Hinweise nehme ich gerne beim nächsten Besuch in der ‚Alten Post’ entgegen“, verkündete die neue Amtsinhaberin fröhlich.

Wie gewohnt hatte die Berger Bücherstube ihren Stand im Zelt aufgeschlagen, so dass sich Besucher mit ausreichend Stadtschreiberliteratur eindecken konnten. Im Anschluss an den offiziellen Teil des Festes konnten sich die Gäste ihre Bücher von Angelika Klüssendorf und Dea Loher signieren lassen.

JF

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