Runde Geburtstage Gerd Haffmans (80)

Heute wird Gerd Haffmans 80 Jahre alt. Schon vor dem Start in seine Selbständigkeit im September 1982 hatte er als blutjunger Verlagsdirektor bei Diogenes in Zürich (s)ein erstes großes Stück turbulenter Branchen und Verlagsgeschichte(n) mitgeschrieben. Und seither ist er immer wieder „gerühmt worden für sein Gespür für literarische Qualität, die hohe Unterhaltsamkeit nicht ausschloss. Und nicht zuletzt: Als großer Vorleser mit Witz und Esprit ist er auf vielen Bühnen zu Gast. Ihm zuzuhören ist ein Genuss“. Joachim Lottmann gratuliert zum runden Geburtstag:

Gerd Haffmans

Er ist ein Mensch, der die Literatur so gut versteht wie kaum ein anderer, und daher auch die Menschen gleich mit. Er kennt sich wirklich aus. Als ich ihn zum ersten Mal besuchen durfte, noch in der Schweiz in bürgerlich-nobler Umgebung, auf der Höhe seines Ruhms und auch meines eigenen, kümmerte er sich zwar um mich – schließlich hatten wir gerade einen Romanvertrag unterschrieben -, aber viel interessanter fand er in dem Moment meine Frau, mit der er gleich in die hinteren Räume verschwand, um ihr begeistert die Innenarchitektur und die Gemälde zu zeigen. Er begriff intuitiv, daß diese spezielle Frau die Erklärung für das Phänomen Joachim Lottmann war.

Daran mußte ich dieser Tage denken, als ich in der Süddeutschen Zeitung las, er werde am 28. Februar achtzig Jahre alt. Denn an diesem 28. Februar 2024 hat noch eine weitere Person einen runden Geburtstag, den ich gerade fieberhaft partymäßig vorbereite, nämlich diese meine für Gerd Haffmans so interessante Frau, die fünfzig wird.

Für mich war dieser Verleger immer ein Geschenk, eine Waffe gegen die Zumutungen der Gegenwart, der Bürokratie, zuletzt der Digitalisierung. Nie mußte ich ein Exposee anfertigen, Anträge stellen, mich selbst vermarkten mit Hilfe der üblichen Reizworte aus Politik und Moral. Ich mußte nicht Haltung zeigen und nicht netzwerken. Ich mußte vor allem nicht meinen Humor erklären oder gar rechtfertigen. Und so kam es, daß ich in meinem gesamten literarischen Leben immer wieder zu ihm zurückflüchtete, wenn die Zeiten moralisch wurden. Meine erste Veröffentlichung erfolgte 1986 in seiner Zeitschrift ‚Der Rabe‘, meine jüngste war der Roman ‚Der Mann ohne Meinungen‘, den ‚Haffmans bei Zweitausendeins‘ letztes Jahr veröffentlichte.

Nicht nur alte oder mittelalte weiße Männer, die unter anderem Witze über Sex und politische Floskeln machen, sind heute, wahrscheinlich zu Recht, in großen Publikumsverlagen ein Unding, aber auch junge weiße Männer, die dies täten, wären es, und selbst wenn sie es nicht täten, und stattdessen ihre eigenen, persönlichen, bürgerlich geprägten Geschichten erzählten, egal ob tragisch, komisch, visionär, genial oder daneben, fänden kein Ohr. Die Zeiten dafür sind vorbei.

Das muß nicht schlimm sein. Aber ein neuer Gerd Haffmans wird nicht kommen, und das ist wirklich schlimm. Ein Verleger, der weiß Gott nicht nur die Pop-Literatur verwöhnter Mittelschichts-Knaben goutierte, im Gegenteil, das war nur ein Tropfen im Ozean der Haffman’schen Ambitionen. Literarisch war sein Schaffen grenzenlos. Er legte eine zehnbändige Erstausgabe der Tagebücher von Samuel Pepys und eine noch umfangreichere der Tagebücher der Gebrüder Goncourt vor, Werke, die das reale Leben vor vier oder zwei Jahrhunderten in einzigartiger Unmittelbarkeit aufscheinen ließen. Um nur zwei Beispiele der unzähligen Großtaten zu nennen, die, zusammen mit den niveauvollen Verlagsprogrammen von vier Jahrzehnten, alle der Aufklärung, der Neugierde und untergründig auch dem Humor verpflichtet, Gerd Haffmans zum ersten Universalisten der literarischen Welt und des Landes machten.

Die gute Nachricht dabei: Gerd Haffmans lebt noch, und wie! Heute hat er Geburtstag. Es ist ihm wirklich nur das Gute, ja das Beste zu wünschen.

Joachim Lottmann

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