Für seinen Debütroman "Der Tunnel" (Benevento) kann er auf große Eisenbahn-Expertise zurückgreifen Hans Leister: „Es geht auch darum, wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten“

Hans Leister: „Wie sich Menschen in einer derartigen Extremsituation verhalten, wissen wir alle aus eigener Erfahrung nicht. Ich halte Apathie und Schicksalsergebenheit aber für die größte Gefahr“

Immer freitags hier ein Autorengespräch: Heute mit Hans Leister, der für seinen Debütroman Der Tunnel (Benevento) auf große Eisenbahn-Expertise zurückgreifen kann: Der Diplom-Wirtschaftsingenieur war lange Jahre im Management von privaten Bahnunternehmen tätig, aber auch sieben Jahre bei der Deutschen Bahn, mit Verantwortung für den Regionalverkehr Berlin-Brandenburg. Seit 2014 arbeitet er als Berater in der Eisenbahn- und Verkehrsbranche und ist ein gefragter Experte zu Themen wie Mobilität, Eisenbahnwesen und -logistik. Hans Leister lebt an der Stadtgrenze zwischen Berlin und Potsdam, ist aber meistens auf den Schienen Europas unterwegs. Anlass für Fragen an den Autor:

BuchMarkt: Worum geht es in dem Buch?

Durch Klick aufs Cover geht’s zum Buch

Hans Leister: Ein Intercity-Zug fährt in den Gotthard-Basistunnel, den längsten Tunnel der Welt, als Strom und Kommunikation ausfällt. Eine Berliner Lehrerin, die mit ihrer Schulklasse aus dem Problembezirk Wedding unterwegs ist nach Lugano, übernimmt die Führung der 300 Passagiere. Es gelingt, wenigstens Kontakt zu einer Armeeeinheit aus einem der Gotthard-Bunker herzustellen. Die Offiziere vermuten eine Katastrophe globalen Ausmaßes. Ausgerechnet eine der Schülerinnen hat nach einem Klassenausflug ins Klima-Institut in Potsdam mehr Wissen darüber, was wahrscheinlich passiert ist – und wie der weitere Verlauf der globalen Katastrophe aussehen könnte.

Die Erkundung der zerstörten Umgebung jenseits des Tunnels führt nicht weiter; die Offiziere, in deren Bunker die Zug-Insassen inzwischen untergebracht sind, schwanken zwischen sinnlosem Aktionismus und Apathie. Nur langsam gewinnt strukturiertes Krisenmanagement die Oberhand, gegen die Hierarchie vorangetrieben von der Lehrerin und einer Offizierin mit wissenschaftlicher Ausbildung.

Wie entstand die Buch-Idee?

In meiner Schulzeit kamen Supervulkane im Geographie-Unterricht nicht vor; erst vor etwa 30 Jahren wurden sie entdeckt: Gewaltige Vulkane mit dem Potential, unsere Kultur zu beenden. Vor 74.000 Jahren wäre die Menschheit wohl um ein Haar ausgestorben, nach dem Ausbruch des Toba-Supervulkans mit jahrelanger Finsternis und Kälte auf der ganzen Erde. Erst mit der Klimaforschung und den Bohrkernen des ewigen Eises sind die Zusammenhänge klar geworden.

Als Eisenbahner fand ich den Bau des Gotthard-Basistunnels natürlich faszinierend. Die Idee, was passiert eigentlich mit einem Zug und dessen Passagieren, wenn so etwas wie vor 74.000 Jahren wieder passiert, war geboren.

Welche Leserschaft soll angesprochen werden?

Alle, die spannende Bücher schätzen, aber auch alle, die an Eisenbahn interessiert sind, und beileibe nicht nur Männer. Spannung soll durch das Handeln oder Nicht-Handeln der Persönlichkeiten und Charaktere in einer Extrem-Situation entstehen, nicht einfach nur durch „Action“.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler das Buch am besten verkaufen?

Mit einem großen Warnhinweis:

„Vorsicht: Dieses Buch kann fesseln und dazu führen, dass es in kurzer Zeit zu Ende gelesen wird, unter Vernachlässigung anderer Obliegenheiten.“

Einige Leser haben mir über diesen Effekt berichtet. Ich hätte ihnen zwei Tage gestohlen, das war eine typische „Beschwerde“: So lange hätte es gedauert, bis sie an der letzten Seite angelangt waren.

Welche 3 Wörter beschreiben das Buch perfekt?

Eisenbahntunnel, Eingesperrtsein, Weltuntergang.

Was lesen Sie privat gerne/aktuell?

Franz Hohlers Das Päckchen habe ich gerade an einem einzigen langen Abend ausgelesen. Yuval Noah Harari und andere, die die großen Fragen der Menschheit behandeln, gehören ebenfalls zu meinen bevorzugten Autoren.

Welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie dennoch gerne beantwortet? Hier können Sie dies nun tun:

Da habe ich gleich mehrere: Ist es denn realistisch, dass Menschen sich so verhalten in einer Extremsituation?

Hier können Sie dies nun tun: Ich bin Optimist und hoffe, dass es rational handelnde Gruppe geben wird, denn: nicht rational handelnde und nicht kooperative Gruppen werden jedenfalls eine geringe Überlebenschance haben.

Wie sich Menschen in einer derartigen Extremsituation verhalten, wissen wir alle aus eigener Erfahrung nicht. Ich halte Apathie und Schicksalsergebenheit aber für die größere Gefahr als Panik und Kurzschlusshandlungen, darauf lassen auch die Erzählungen unserer Eltern und Großeltern aus den Bunkern im Bombenkrieg schließen.

Ist es nicht so, dass der Mensch der einzige Feind des Menschen ist? Können uns nicht menschengemachte Katastrophen wirklich gefährlich werden?

Typisch menschliche Hybris: Natürlich hat der Mensch inzwischen die Fähigkeit zum kollektiven Selbstmord entwickelt, aber dass der Menschheit nichts anderes mehr gefährlich werden kann als der Mensch selbst, das ist eine totale Selbstüberschätzung. Wir leben auf einer dünnen Kruste von festem Material, auf einem Planeten aus flüssigem Gestein. Durchschnittlich alle 100.000 Jahre bricht ein Supervulkan mit katastrophalen Folgen für die ganze Erde aus. Seltener, aber auch immer wieder mal schlägt ein Himmelskörper auf der Erde ein. Es war sehr lange ruhig, nur biblische Geschichten erinnern vage an Weltuntergang und globale Katastrophen, die jederzeit auftreten können und mit Sicherheit auch irgendwann wieder auftreten werden.

Was halten Sie von den sog. „Preppern“, die sich auf Katastrophen und den Zusammenbruch der Zivilisation vorbereiten?

Das Bevorraten von Trinkwasser ist sicher sinnvoll, auch ein Notfall-Rucksack ist nützlich, falls uns ein Stromausfall von ein, zwei Wochen heimsucht. Die Aufrüstung mit Waffen halte ich für abwegig, da im Katastrophenfall die Zusammenarbeit und nicht der Kampf entscheidend sein werden.

Der Staat sollte sich mehr als bisher mit Katastrophen-Vorsorge beschäftigen. Die „Prepper“ füllen ein Defizit an staatlichem Handeln, das offenbar besteht. Wer sich wenigstens ein bisschen auf die ganz große Katastrophe vorbereitet, ist auch bei „normalen Katastrophen“ wie Erdbeben, Überschwemmung und so weiter besser gewappnet.

 

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert