KrimiBestenliste Hier gibt es die Krimibestenliste September 2018 zum Ausdrucken

Die aktuelle Krimi-Bestenliste (hier wieder zum Audrucken als Plakat):

Neu dabei auf Platz 1: Krumme Type, krumme Type von Tom Franklin
Der 1963 in Dickinson, Alabama, geborene Tom Franklin ist ein Star der Krimibestenliste. Alle drei Bücher, die bisher von ihm auf Deutsch erschienen sind, zählten zu den besten Kriminalromanen des Monats. Die Gefürchteten (2005) handelt von Gewalt in den Südstaaten, Stoff war der historische „Mitcham-War“ in Franklins Herkunfts-County um 1860. Smonk (2017) handelt von Gewalt in grotesker Klarzeichnung, und Krumme Type, krumme Type handelt von Gewalt im rassistischen Mississippi von 1982 bzw. 2007. Dort kennt jedes Schulkind die Formel Crooked Letter, denn mit dem Merkvers „M I crooked letter crooked letter I crooked letter crooked letter I humpback I“ lernen sie ihren Bundesstaat zu buchstabieren. Die Orte, an denen der Roman spielt – Amos, Chabot, Gerald County – sind alle fiktiv, aber in Mississippi gelegen.
Zu Inhalt und Bewertung dieses großartigen Romans können Sie sich an diesen Stellen informieren:
Thekla Dannenberg im Perlentaucher
Hanspeter Eggenberger in der Basler Zeitung
und meine Rezension in der ZEIT

Neu auf der Krimibestenliste September stehen insgesamt sechs Titel.
Diesmal sind es je 1 amerikanischer, 1 englischer, 1 deutscher, 1 norwegischer, 1 australischer und 1 Titel aus Uruguay. Mit zusammen 2416 Seiten. 2 weibliche, 4 männliche Autoren. Neu dabei sind:

Auf Platz 3: Krokodilstränen von Mercedes Rosende
Mercedes Rosende, 1958 in Montevideo geboren, ist meines Wissens die erste Kriminalschriftstellerin aus Uruguay, die ins Deutsche übersetzt wurde. (Nur noch ein anderer aus Uruguay stammender Autor, Daniel Chavarría, wurde bisher übersetzt. Er lebte und schrieb hauptsächlich in Kuba.)
Das Montevideo, in dessen Altstadt und Fußgängerzone Úrsula López, die Heldin der Krokodilstränen wohnt, gilt als eine der sichersten Städte Lateinamerikas.
Aber das Montevideo, das die Rechtsanwältin und Autorin Rosende uns in diesem wilden, multiperspektivischen und verwirrend konstruierten Roman vorführt, ist ein Ort heftigster Emotionen und weit ausschlagender Charaktere. Über die essgestörte Úrsula López sagt Rosende in einem Interview mit dem ihr eigenen feinen Humor: „Sie hat einige Schuld auf sich geladen, die sie auch bereut, aber nicht allzu sehr.“ Wozu diese Frau alles fähig ist, schält sich nach und nach heraus. Denn im Vordergrund operieren zunächst einige verwirrte Männer: Der angstgestörte Germán hat einen Industriellen entführt; Ricardo, genannt El Roto – Der Kaputte – soll eine ältere Frau ermordet haben und agiert auf Koks wie ein Berserker; Anwalt Antinucci führt ein Dreifachleben zwischen Frömmlertum, Mord und Verrat. Doch Úrsula López bringt nicht nur ihre Namensvetterin Úrsula López um, die wiederum mit der Industriellen-Entführung zu tun hat, sondern schwingt sich, mit rosa Handtasche, zur Brünhilde von Montevideo auf, deren Krokodilstränen in entscheidenden Augenblicken und ausweglosen Lagen garantiert versiegen.
„Rosende (…) legt mit Krokodilstränen eine vergnügliche Gaunerkomödie vor, die beherzt Uruguays Unterwelt mit der unter Ennui leidenden Upperclass kurzschließt. (…) Mit bösem Witz und Sinn fürs Skurrile erzählt Mercedes Rosende dieses Schurkenstück, auch wenn sie bestürzend leichtfertig mit dem Leben der beteiligten Personen umgeht.“ (Thekla Dannenberg, Perlentaucher)
„Rosende (…) hat eine angenehm lakonische Art, die gutgeölte Mechanik eines Plots ist ihr weniger wichtig als die Eigenart ihrer Figuren.“ ( Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Auf Platz 7: Millennium People von J.G. Ballard
Als J.G. Ballard (1930-2009) in den 90er Jahren die Wohnanlage Chelsea Harbour zum ersten Mal sah, war er fasziniert von  ihrer irren Künstlichkeit: „Dieser Platz wurde am Reißbrett entworfen und die Soziologie dazu ebenfalls, bevor ein einziger Eimer Beton ausgegossen wurde. Ich dachte, das ist die perfekte Community für wohlhabende Leute. Es fühlt sich an wie eine Bühnenraum. Was würde wohl passieren, wenn etwas davon zusammenkracht? Das war der Keim der Idee.“ Zusätzlich beeindruckt vom Crash des 11. Septembers führt Ballard in Millennium People Detektivgeschichte, Dystopie und Gesellschaftskritik zusammen. Erschüttert wurde Ballards Vertrauen in jedwede Stabilität sehr viel früher: Mit 12 erlebte er den Fall seiner Geburtsstadt Shanghai (*1930): Japanische Panzer rollten an seinem Schlafzimmerfenster vorbei. „The show was over.“ In Millennium People wird der Psychologe David Markham mit einer sinnlosen Tat konfrontiert: Seine Ehefrau wird von einer Kofferbombe am Flughafen Heathrow zerrissen und Markham macht sich auf die Suche nach dem Sinn dahinter, den er in bester Krimi-Manier zu finden hofft, wenn er den Täter schnappen kann. Aber irgendwie ist der nicht aufzutreiben, wohl aber ein Komplott sich wild radikalisierender Mittelschichtmenschen, die es satt haben, das „neue Proletariat“ zu sein. Keimzelle ihres Aufstands ist die Chelsea Marina, seine Seele ist eine libertäre Filmwissenschaftlerin und sein Dämon ist ein wild gewordener Kinderarzt. Der Roman als soziales und surreales und futurologisches Experiment über einen Detektivkamm gezogen.
„Trotz aller ausschweifenden Theorie, die manchmal dem Lesefluss entgegensteht, und trotz des sich gelegentlich einschleichenden Gefühls, eine Art „Best of Ballard“ zu lesen: Millennium People fügt dem Werk des Autors, der einmal gesagt hat, Schriftsteller sollten wie Wissenschaftler sein, die einen Kadaver sezieren, eine bis dahin fast unbekannte Dimension hinzu: Humor. Der Roman – für Ballard-Neulinge ein idealer Einstieg – ist eine böse und streckenweise rasend komische Satire auf den Selbsthass und die Abstiegsängste der Mittelschicht, auf eine seelenlose Konsumgesellschaft, in der sich alle Träume erfüllt haben, aber niemand dadurch Erfüllung erfährt. Eine Welt, in der Frauen und Männer in Hermès und Prada gekleidet, Molotowcocktails aus Burgunderflaschen bauen, ihre feinen Vorhänge zu Protesttransparenten umfunktionieren, ihre eigenen Häuser und Autos zerstören und sich als neues Proletariat gerieren. Sinnlose Akte planloser Gewalt und treffende Bilder für eine Welt, in der sich Zeichen und Bezeichnetes unwiderruflich voneinander entfernt haben. Sehr, sehr ballardesk.“ (Marcus Müntfering, Spiegel online)

Auf Platz 8: Falken jagen von D.B. Blettenberg

D.B. Blettenberg, Jahrgang 1949, war der erste deutsche Krimi-Autor der Nachkriegszeit, der es verstand, in seinen Kriminalromanen ziemlich ungeschönt die brutale Welt außerhalb Europas zu beschreiben. Die Liste seiner Titel, für die er vier Mal mit dem Deutschen Krimipeis ausgezeichnet wurde, ist auch eine Liste seiner Auslandsaufenthalte als Entwicklungshelfer. Ein Magnetpol von Blettenbergs Arbeit lag immer in Thailand, und hier auf der Figur des Surasak Meier, dessen Vater ein Deutscher und dessen Mutter eine Thai war, weshalb ihn seine Landsleute mit dem Spitznamen für Europäer (der er nicht sein will) Farang nennen. Farang steht in einem nur Thais völlig einleuchtenden Abhängigkeits- und Dankbarkeitsverhältnis zu seinem Mentor General Watana, dem er lange Zeit als Killer zu Diensten war. Als eine Serie von Morden an Deutschen und einem Griechen den unfähigen Sohn des Generals sein Polizistengesicht zu kosten droht, beauftragt seine Schwester den Farang mit der Lösung des Problems.
Farangs Suche nach dem „Falken“, der seine seelische Verwandtschaft mit einem griechischen Abenteurer aus dem 17. Jahrhundert in neben seinen Opfern niedergelegten Briefen ausdrückt, führt durch die Geschichte der Kriegsverbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts. In Falken jagen führt D.B. Blettenberg noch einmal eindringlich vor, wie fast alles mit allem und fast überall zusammenhängt, sei es durch eine alte Abenteurerbiographie, sei es durch alte Schuld.

Auf Platz 9: Macbeth von Jo Nesbø

Jo Nesbø hat sich in den bisher elf Romanen um den Osloer Kommissar Harry Hole als subtiler Schilderer menschlicher Dunkelzustände, besonders derer von Suchtkranken, erwiesen. Das prädestinierte ihn dazu, als einziger nicht-angelsächsischer Autor an dem Shakespeare-Projekt der Hogarth Press, die zum amerikanischen Weltkonzern Penguin-Randomhouse gehört, teilzunehmen. Das Projekt wurde 2016 zum 400. Todestag von William Shakespeare gestartet mit dem Ziel, seine Werke „by acclaimed and bestselling novelists of today“ neu zu erzählen. Nesbøs Macbeth spielt in einer ungenannten schottischen Stadt an der Westküste (also etwa Glasgow)  wahrscheinlich Mitte der siebziger Jahre. Arbeitslosigkeit und Deindustrialisierung grundieren die Stimmung, es regnet ständig, ein Regentropfen wird zwischen den düsteren Schauplätzen hin und her geweht. Die Stadt wird regiert von einem unfähigen Bürgermeister, der ehemalige Chief Commissioner Kenneth hat ein Gewaltregime mit diktatorischen Gesetzen hinterlassen, unter denen das Geschäft der Gangster blüht. Hecate, geheimnisvoll, graue Eminenz des Verbrechens, beherrscht den Markt der Designerdrogen, mit ihm konkurrieren die Norse-Biker, die eher für traditionelle Gewalt und traditionellen Rausch stehen. Nesbø gelingt es, den Shakespeare-Stoff als Verstärker für eine Story zu nutzen, die eine Stadt in der Gewalt von Cops/Gangstern zeigt (Erinnerungen an Hammetts Pissville..). Er aktualisiert die Bezüge zu Rechtspopulismus und Widerstand dagegen. Die mystisch/abergläubische Dimension (Hexen, Prophezeiungen) passt er sanft an die Gegenwart an, ohne sie platt zu machen. Das Tempo des Shakespeare-Stücks, das rund elf historische Jahre in wenige Wochen presst, behält er in der auf einen noch kürzeren Zeitraum kondensierten Handlung bei. Und er baut sanft in den bekannten Plot eine Kriminalgeschichte ein, die es in sich hat. Kurzum: gelungen als Nacherzählung wie als Kriminalroman.
Die Übersetzung beruht nach Absprache mit dem Autor auf der von ihm überprüften englischen Fassung, die als authentisch anzusehen ist. In Norwegen wurde eine Rückübersetzung in die Muttersprache des Autors veröffentlicht. Deren Credits „William Shakespeare, Jo Nesbø“ sind mir sehr viel sympathischer als der sensationsheischende Untertitel, den Penguin Deutschland dem Buch verpasst hat: „Blut wird mit Blut bezahlt“. Na ja, vielleicht führt das Sprüchlein den einen oder anderen Leser mehr an Macbeth heran.

Auf Platz 10: Ins Dunkel von Jane Harper

Jane Harper, 1980 in Manchester geboren, aber nach Australien übersiedelt, hat es mit den Naturgewalten. Nach ihrem Bestseller Hitze schickt sie jetzt fünf Frauen – Businesskostüm aus, Trekkinghose an – in den dunklen, kalten Regenwald der fiktiven Giralang Montains. Vermutlich wird ihr nächster Thriller „Berg“, „Kälte“ oder „Sturm“ heißen. Ermittlungen über illegale Finanztransaktionen lassen sich dank der auf challenges programmierten Finanzhaie, die wiederum Harpers Serienermittler Aaron Falk und seine Partnerin Carmen Cooper jagen, überall durchführen. Während die Ermittler ihre Chefs im Nacken haben, die Ergebnisse wollen (hat je jemand von Chefs gehört, die das nicht wollen?) zerlegt die Frauengruppe sich selbst, Gewalt schwärt unter der mühsam durchgesetzten Büro-Hierarchie, Alice, dominant, eigensinnig und Spitzel der Ermittler, verschwindet. Was ist geschehen im kalten, dunklen Wald?
„Vieles bleibt vage, aber der Sound überzeugt, die Spannung auch. Sehr schnell kommt der Abschied von Umgangsformen, innerhalb kürzester Zeit erfahren die Frauen, wie dünn die Decke der Zivilisation ist. (…) Jane Harper hat vielleicht nicht den ganz großen Punch in Sachen Stil, aber Extravaganzen irritieren ein breites Lesepublikum ohnehin nur und stören auf dem Weg zum internationalen Markennamen. Der dürfte jetzt geebnet sein.“ (Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Unsere Dauerchampions: Zum dritten Mal steht Lisa McInerney mit Glorreiche Ketzereien auf der Krimibestenliste.

Die Krimibestenliste September wurde am Sonntag, den 2.9.2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gedruckt veröffentlicht.

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