Yasmin Polat über ihr Buch "Im Prinzip ist alles okay" (Goya) „Hier kommen Fragen für dich auf, die dich auch nach Beenden des Buches beschäftigen werden“

Yasmin Polat  (c) Karim Taha

Miryam ist dreißig Jahre alt und vor einigen Monaten Mutter geworden. Auf der Party einer alten Bekannten strahlt sie mit ihrem weißen T-Shirt um die Wette. Aber ist wirklich alles gut? In ihrem Roman Im Prinzip ist alles okay (Goya Verlag) zeichnet die junge Autorin Yasmin Polat das Porträt einer jungen Mutter, die Elternrollen und ihre eigene Kindheit hinterfragt. Anlass für Fragen:

BuchMarkt: Worum geht es in dem Buch

In dem Buch geht es um Miryam Topal, eine 30-jährige Frau, die vor ein paar Monaten Mutter geworden ist. Auf der Selbstliebe-Hochzeit ihrer Freundin wirkt es erstmal so, als habe Miryam alles im Leben erreicht, was ihr wichtig war: Sie hat eine glückliche, kleine Familie, sie hat einen Job, im Prinzip ist alles okay. Aber schnell wird klar: Nichts ist okay. Miryam leidet unter postnatalen Depressionen und Wut, ihr Partner Robert lässt ihr Badewannen ein und sie links liegen. Miryam muss sich wieder mit Schuldgefühlen und Traumata auseinandersetzen, die sie dachte, längst verarbeitet zu haben. Ihr gewalttätiger Vater, ihre emotional abwesende und traumatisierte Mutter, sowie ihr Bruder sind ihr keine Hilfe. Und doch will sie auf Biegen und Brechen erreichen, allen zu verzeihen, die perfekte Mutter und gänzlich frei von Traumata für ihr Kind zu sein. Es ist für sie überlebensnotwendig, ihre eigene Kindheit nicht zu wiederholen. Miryam weiß: Sie muss alles anders machen als ihre Eltern, um ihr Kind zu retten. Aber sie droht, an ihren eigenen Ansprüchen zu scheitern. Und auch die Beziehung zu Robert bröckelt. Am Ende muss Miryam eine Entscheidung treffen: Will sie weiter versuchen, allen zu verzeihen und die vermeintlich perfekte Mutter zu sein, die sich selbst und alle anderen liebt? Oder gibt es eine Möglichkeit für sie, jenseits ihrer eigenen Parameter zu leben?

Wie entstand die Idee zum Thema?

Ich habe viel recherchiert, online Content zum Thema „Cycle Breaker“ und transgenerationale Traumata gesehen und mich gefragt: Wie werden die Menschen, die jetzt Eltern werden, erziehen? Menschen, die Kinder der Boomer-Generation sind, die vielleicht Zugang zu Therapie(n) hatten, die wissen, was in der Kindheit schiefgelaufen ist und Verhaltensweisen benennen können. Ich fand es spannend zu schauen, mit welchen Themen diese Menschen sich herumschlagen. Natürlich ist Elternschaft da eine existenzielle Erfahrung, die vieles katalysiert. Aber auch ohne die Erfahrung der Elternschaft stellt sich die Frage: Wie geht es den Kindern in uns heute? Und den inneren Kindern unserer Eltern? Jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen – und eines der vielen wollte ich mal öffnen. Ich habe aber auch viele eigene Erfahrungen einfließen lassen.

Im Prinzip ist alles okay für die Protagonistin Miryam, aber eigentlich ist gar nicht alles okay. Warum ist es auch heute noch so schwer, über Depressionen und psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit zu sprechen?

Es ist ja schon schwer, mit sich selbst darüber zu sprechen. Ich denke, das ist nicht verwunderlich und an sich ist die letzten Jahre wirklich viel passiert. Es gibt so viele Menschen, die daran arbeiten, dass die Tabus gebrochen werden. Trotzdem bleiben psychische Erkrankungen eben Themen, die unschön sind. Damit will niemand etwas zu tun haben. Erst recht nicht, wenn man ein Kind bekommen hat. Da hat man eben Verantwortung für jemand anderen, man hat nonstop glücklich und gesund zu sein – und da wird’s dann nochmal schwierig in der Beurteilung. In sich selbst und von außen.

Das Leben der Protagonistin Miryam fügt sich durch den achronistischen Schreibstil erst nach und nach zu einem Gesamtbild zusammen. Hast du dich aus einem bestimmten Grund gegen eine chronologische Erzählweise entschieden?

Ja, ich fand es wichtig, die Protagonistin als Leser*in selbst mit jeder Seite mehr kennenzulernen. Wir sehen jeden Tag Menschen auf der Straße, auf Social Media, im Supermarkt, wo auch immer – und wir wissen nicht, was diese Menschen erlebt haben, was sie ausmacht. Und ich fand den Gedanken spannend, Miryam Seite für Seite kennenzulernen, sodass ihre Handlungen, Gedanken und Worte sich erst nach und nach wie ein Puzzle zusammenzufügen. Ähnlich, wie wir im echten Leben einen Menschen Stück für Stück kennenlernen. Außerdem gibt es so viele emotionale Überlappungen, die einen beim Lesen manchmal zurücklassen sollen mit der Frage: „Moment, sind wir gerade in der Vergangenheit oder in der Gegenwart?“ Denn genau so fühlen sich Traumata an: Man weiß oft nicht, was aus der Vergangenheit und was aus dem Jetzt ist. Heilung (sofern man sie als solche bezeichnen kann) ist auch nicht linear. Unter anderem deswegen sind die Rückblenden durch das Buch hinweg zeitlich immer enger an der Gegenwart dran, wie eine Spirale. Für das Schreiben an sich war das übrigens gar nicht mal so unkompliziert. Aber am Ende hat es hingehauen, mit viel an den Fingern abzählen.

 Welche drei Wörter beschreiben es perfekt?

Nur drei sind schwer! Aber: Gewalt, Generationentraumata, Wachstum.

An welche Leserschaft richtet es sich?

An jeden Menschen mit einer Kindheit. Und an Menschen, die damit hadern, sich selbst so zu lieben, wie es von der Gesellschaft oft gefordert wird.

Mit welchem Argument kann der Buchhandel das Buch im Laden gut verkaufen?

Möchtest du eine Geschichte lesen, die in sich zwar individuell, aber doch für alle Menschen gültig ist? Hier werden du und dein inneres Kind angesprochen, obwohl die Rede von jemand anderem ist. Hier fühlst du mit fast allen Protagonist*innen mit, auch wenn du andere Erfahrungen gemacht hast. Und hier kommen Fragen für dich auf, die dich auch nach Beenden des Buches beschäftigen werden. Begriffe wie „Selbstliebe“ werden hinterfragt und vielleicht einen neuen Platz in dir finden. Konzepte wie Generationentraumata werden dir deutlich gemacht. Familiensysteme, Ansprüche an sich selbst, das Leben mit Depressionen, Gewalterfahrungen werden in dem Buch dargestellt. Und dennoch wirst du dich beim Lesen amüsieren können. Weil: Werden tut weh, aber auf dem Weg dahin muss man trotzdem lachen.

Wie sähe ein Schaufenster dazu schön gestaltet aus?

Lilafarbene Blumen und Tagebücher, Stofftiere und ein Vorschlaghammer.

 

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