"Was sie aber eigentlich wollte, ist, für das Überleben des Buches zu kämpfen" Inge Feltrinelli

Inge Feltrinelli „war – auch das nicht selbstverständlich für eine Frau – eine rastlose Frauenförderin: Sie hat Frauen ermutigt, ihre Intelligenz zu nutzen und sich zu trauen, etwas zu wollen“

Inge Feltrinelli, die „Grande Dame des europäischen Verlagswesens“ (so  das Süddeutsche Zeitung Magazin) ist heute im Alter von 87 Jahren gestorben. Wagenbach-Verlegerin Susanne Schüssler erinnert hier an ihre Freundin: 

Für Inge

Vor beinahe 30 Jahren, wir haben uns kaum gekannt, hat mir Inge Feltrinelli von einer jungen Frau erzählt, über die sie sich geärgert hatte. Sie sagte: Eine Frau muss intelligent sein. Und sie muss etwas wollen. Und wenn sie schon nicht intelligent ist, dann muss sie wenigstens hübsch sein.

Mich hat dieser Satz, dieses Credo, nachhaltig beeindruckt – nicht nur wegen der Wahl der drei Eigenschaften, sondern vor allem wegen der Reihenfolge, die sie gewählt hatte.

Klar, sie selbst war eine schöne junge Frau gewesen mit einem sehr eigenen Ausdruck, einem gewinnenden Lächeln und wachen Katzenaugen. Bis ins hohe Alter blieb sie charmant, exzentrisch, elegant, sprühte vor Energie und Lebenslust, war unkonventionell, und das Leben schien für sie ein einziger Kindergeburtstag zu sein.

Aber es war nicht immer Kindergeburtstag. Ihre Biographie ist geprägt von schwierigen Zeiten. Aufgewachsen in Göttingen mit jüdischem Vater, machte Inge Schönthal sich mit dem Fahrrad nach Hamburg auf, wurde im Nachkriegsdeutschland Fotoreporterin, die viele bedeutende Personen porträtierte (berühmt ist ihr Foto mit Hemingway) und die so den Verleger Giangiacomo Feltrinelli kennenlernte.

Als Feltrinelli in den Untergrund ging und 1972 bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben kam, unternahm sie den unglaublich mutigen Schritt, ihre ganze Kraft für den Verlag und die Feltrinelli-Buchhandlungen einzusetzen. Trotz vieler Rückschläge ist daraus eine große Erfolgsgeschichte geworden: Das Verlagsprogramm ist aus der italienischen intellektuellen Landschaft nicht wegzudenken, und die Versorgung mit Büchern würde ohne die inzwischen über 120 Läden – auch an schwierigen Orten – zusammenbrechen.

Das hat sie mit Intelligenz und unendlich viel Zähigkeit und Leidenschaft zustande gebracht. Was sie aber eigentlich wollte, ist, für das Überleben des Buches zu kämpfen. Auch darin war sie geschickt und klug, nicht zuletzt als Mitinitiatorin der Venezianischen Buchhändlerschule (so etwas gab es in Italien nicht). Oder als begnadete Menschen- und Gleichgesinnte-Zusammenbringerin.

Und sie war – auch das nicht selbstverständlich für eine Frau – eine rastlose Frauenförderin: Sie hat Frauen ermutigt, ihre Intelligenz zu nutzen und sich zu trauen, etwas zu wollen. Als enge Freundin von Klaus Wagenbach, mit dem sie mehr als 50 Jahre Leidenschaft für Literatur, aber auch ein gemeinsamer politischer Weg verband, hat sie mich schnell „adoptiert“ und mich auf der Turiner Buchmesse einfach ins Schlepptau genommen.

Ich habe von Inge Feltrinelli mehr gelernt, als sie vielleicht geahnt hat. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Sie ist mir ein großes Vorbild.

 

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