Jochen Mende: Wie viel Mut braucht man, um heute noch in die Buchauslieferung zu investieren?

Freitags um fünf: Was bewegt jetzt die Branche? Michael Lemsters Frage der Woche an Prolit-Geschäftsführer und -Gesellschafter Jochen Mende.

Jochen Mende, 1947 in Bielefeld geboren und ausgebildeter Diplomökonom, gründete mit anderen gemeinsam noch während des wirtschaftswissenschaftlichen Studiums einen Verlag und die Prolit-Verlagsauslieferung. Er ist einer der geschäftsführenden Gesellschafter der Verlagsauslieferung Prolit, die im Ranking der deutschen Verlagsauslieferungen auf Position acht steht. Einer seiner großen Kunden, der Berlin Verlag, hat gestern bekanntgegeben, dass er im Zuge des Verkaufs des Verlages an die Bonnier Medien Holding zur KNO-VA wechseln wird.

Jochen Mende – wer auf die Prolit Top Ten vom März auf Ihrer Website schaut, wird feststellen, dass Sie ab August drei dieser Titel nicht mehr ausliefern werden. Fühlt sich so Marginalisierung an?

Jochen Mende

Jochen Mende: Ganz sicher nicht. Die Bloomsbury Gruppe ist zwar einer der großen Verlage, die bei uns ausliefern, aber nicht der größte. Natürlich ist er ein für uns wichtiger Verlag. In Kürze muss ich leider sagen: gewesen.

Sie verlieren auch die englischen Harry Potters – tut das noch weh?

Jochen Mende: Das nicht mehr. Die große Zeit des englischen Harry Potter ist im wesentlichen vorüber. Er verkauft sich immer noch gut, aber, wenn man auf die Ökonomie abstellt, nicht in einer für uns relevanten Größenordnung.

Entscheidungen wie die des Berlin Verlags sind ja meist völlig unabhängig von konkreten Erfahrungen oder Leistungen, sondern vom Wunsch nach Skalen-Vorteilen motiviert. Womit punkten Sie Ihrerseits im Wettbewerb mit den Platzhirschen?

Jochen Mende: Im Fall von Bloomsbury handelt es sich um eine Entscheidung im Zuge einer Unternehmensübernahme, letztlich um eine strategische Entscheidung. Den Vergleich mit den beiden Auslieferungs-Riesen VVA und KNO-VA scheuen wir in keiner Weise. Unsere Kunden auf Verlagsseite schätzen an uns Leistungsfähigkeit, Verlässlichkeit und Flexibilität und die Möglichkeit, auf Augenhöhe mit uns umzugehen. Sie schätzen an uns auch die Tatsache, dass nicht zuletzt die Buchhandels-Umfragen des BuchMarkt in den letzten acht Jahren immer wieder bestätigen, dass Prolit aus Handelssicht der beste Auslieferer ist.

Der beste in welchem Sinn?

Jochen Mende: Der Buchhandel hat Auslieferungen nach unterschiedlichsten Kriterien bewertet, der BuchMarkt hat aus diesen Bewertungen Noten gebildet, und wir erhalten regelmäßig die Bestnote. Diese Bewertung ist nicht zuletzt Ergebnis einer Vielzahl innovativer Elemente, mit denen wir in der Branche regelmäßig Maßstäbe setzen. Wir waren zum Beispiel die ersten, die eine verlagsübergreifende Fakturierung und Lieferung hinsichtlich aller Auslieferungsverlage praktizierten. Eine Benchmark haben wir auch mit unserem Prolit Partner Programm (PPP) gesetzt. Mit PPP unterstützen wir die Zusammenarbeit von über 140 bei uns ausliefernden Verlagen und deren Verlagsvertretungen mit weit mehr als 1200 Partnerbuchhandlungen. Im Rahmen von PPP können diese die kompletten Verlagsprogramme zu Festkonditionen beziehen. Zu PPP gehört auch eine gebührenfreie Kulanz-Remission, auch Spitzenleistungen auf dem Gebiet der EDV, z.B. eine komplett papierfreie Purchase-to-pay-Prozesskette mit elektronischer Bestellannahme, elektronischem Lieferschein und elektronischer Rechnung. Hinzu kommt die meines Wissens einzigartige Leistung tagesaktueller Onlineinformationen für unsere Buchhandels-Kunden wie auch deren regelmäßige Information (via Newsletter) über Auszeichnungen, Besten- und Bestsellerlisten und wichtige Rezensionen hinsichtlich aller bei uns ausgelieferten Titel. Aktuell in der Umsetzung ist der Einsatz der Mehrwegwannen der Bücherwagendienste für unsere Beischlüsse. Unsere Positionierung lässt sich so zusammenfassen: wir erbringen vertriebliche Leistungen für kleinere, mittlere und größere Verlage, die gleichzeitig die logistischen Abläufe im Handel so rationell wie möglich machen. Wir arbeiten dabei auch intensiv zusammen mit buchhändlerischen Verbünden wie z.B. der EK Servicegroup oder der LG Buch.

Wo sehen Sie Ihre größten Potenziale im Neukunden-Markt?

Jochen Mende: Wir haben, da unsere Kapazitäten fast ausgeschöpft waren, drei Jahre lang so gut wie keine Neukunden annehmen können. Derzeit haben wir einen nicht geringen Betrag in die Hand genommen, um unsere Abläufe weiter zu verbessern und die Kapazitäten zu erweitern. Diese Investitionsentscheidung war übrigens keine Frage des Mutes, sondern eine Frage der Kosten-Nutzen-Analyse und der Chancen-Risiko-Abschätzung. Jetzt sind wir so aufgestellt, dass wir wieder neue Interessenten bedienen können. Aktuell – schon mit Wirkung ab 1. April – übernehmen wir z.B. die Buchhandelsauslieferung für Franklin Electronic Publishing.

Und die bisherigen Selbstauslieferer?

Jochen Mende: Auch da gibt es immer wieder Verlage, die auf uns zukommen, weil sich die Frage stellt, ob Fremdauslieferung durch einen qualifizierten Dienstleister nicht sinnvoller ist. Dies meist dann, wenn besondere Entscheidungspunkte anstehen, z.B. auslaufende Mietverträge oder Investitionsbedarf in neue EDV-Systeme).

Vermutlich geht es in Ihren Geschäftsbeziehungen sehr stark auch darum, bestehende Kundenbeziehungen auszubauen, um den Umsatz mit ihnen zu entwickeln. Wie kann Ihnen das gelingen?

Jochen Mende: Das betrifft derzeit im Wesentlichen einen Bereich: die digitalen Bücher. In Kooperation mit Bookwire haben wir hierzu für die Verlage ein Angebot entwickelt, das ähnlich wie bei den gedruckten Büchern den Verlagen auch Unterstützung beim Vertrieb bietet. Unser Part dabei ist es, digitale Bücher in einer für den Verlag und den Handel möglichst guten Weise in ein Handling aus einer Hand einzubinden. Es einzubinden in Fakturierung, Abrechnung und Berichtswesen, auch um zum Beispiel Schritte wie die Honorar-Abrechnung möglichst weitgehend zu erleichtern.

Was sind konkret Ihre vertrieblichen Leistungen für E-Books?

Jochen Mende: Dafür zu sorgen, dass sie bei den einzelnen Anbietern möglichst gut und möglichst auffindbar platziert werden. Dies ist eine Leistung vor allem von Bookwire. Unsere Rolle ist es, den Prozess von der Konvertierung bis zu Inkasso und Reporting zu organisieren und zu optimieren.

Sehen Sie relevante Geschäftsfelder außerhalb der Auslieferung von Büchern für sich?

Jochen Mende: Wir liefern selbstverständlich eine Vielzahl von buchnahen Produkten aus, soweit sie von den Verlagen eingebracht werden. Das können Medienprodukte sein wie CDs, Videos oder Software, aber auch medienferne Produkte aus dem Haushalts- oder Einrichtungsbereich oder Merchandising-Themenwelten. Völlig neue Geschäftsfelder aufzutun, haben wir im Augenblick kein Interesse.

Mit seiner Firma alVoloConsult berät Michael Lemster, als langjähriger Programmleiter von buecher.de ein „Urgestein“ des elektronischen Buchhandels, Verlage, Buchhändler, Dienstleister und E-Commerce-Unternehmen bei Geschäftsentwicklung, Programm und Datenprozessen. Katalogdaten sind sein Spezialgebiet. Daneben veröffentlicht er Reportagen und Interviews.

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