Gestorben Juergen Seuss

Juergen Seuss, Typograph und Hersteller, Verleger und Autor, wurde mit über 100 nationalen und internationalen Auszeichnungen und Preisen für seine Buchgestaltungen gewürdigt. Am 21. April ist der große Büchermacher gestorben.

Den meisten Büchern, denen Juergen Seuss einen Buchkörper gegeben hat, ist die Begeisterung des Gestalters anzumerken. Es ist nicht nur die einfallsreiche und inhaltsgebundene Typographie, die das Auge des Betrachters erfreut, auch die Materialien verraten Formfreude und Intensität. Ein farbiger Heftfaden, die außergewöhnlich platzierte Seitenzahl oder zwischengeheftete Papiere von strahlender Farbigkeit lassen den sinnenfrohen Genussmenschen erkennen. Betont werden muss zudem, dass die Materialien, die Buchbindearbeiten und der Druck seiner Bücher nach wie vor durch hochwertige Qualität erkennbar sind. Auch legte Juergen Seuss neben seiner grenzenlosen Begeisterungsfähigkeit für das Buch Wert darauf, bezahlbare Bücher von guter Qualität – hier wird sein gesellschaftliches Engagement sichtbar – herzustellen.

Juergen Seuss hat die Buchgestaltung der Büchergilde Gutenberg jahrzehntelang geprägt und zudem, rastlos wie er war, für andere Verlage, wie den C.H. Beck Verlag, Faber & Faber, den Aufbau Verlag u.v.a. gestaltet. Im Laufe vieler Arbeitsprojekte für illustrierte Bücher hat er intensive Kontakte mit Buchillustratoren und Künstlern wie Georg Eisler, Christoph Meckel, Sascha Juritz, Hans Ticha, Klaus Waschk, Erhard Göttlicher, Gunter Böhmer, Gertrude Degenhardt, Kurt Löb, A.Paul Weber u.a. gehabt. In seinem eigenen kleinen Verlag, den BrennGlas Verlag, hat er ambitionierte Veröffentlichungen wie Das Tagebuch eines Laien (von Wieland Herzfelde) oder Vom Ornament zur Linie, ein Buch über den frühen Insel-Verlag verwirklicht. Außerdem – man wird bereits beim Wahrnehmen dieser Vielfalt atemlos – hat er Gedichte geschrieben, Texte über Buchästhetik verfasst, er hat fotografiert (London Scene, 1969, Beat in Liverpool, 1965) und selbst auch gezeichnet. Wer den Steppenwolf von Hermann Hesse in der 1972 bei der Büchergilde Gutenberg veröffentlichten Ausgabe besitzt, darf vermuten, dass das gezeichnete Männerporträt mit Wildnishut auf dem Schutzumschlag ein Selbstporträt des Buchgestalters war. Dies zeigt einmal mehr, wie intensiv sich Juergen Seuss mit dem zu gestaltenden Text auseinandergesetzt hat.

So gibt es zahlreiche Briefwechsel mit den Autoren, wie Hans Joachim Schädlich, Peter Rühmkorf, Peter Härtling, Jochen Gelberg, Werner Mittenzwei u.a. 1985 wurde er Professor für Buchgestaltung an der Fachhochschule in Hamburg, wo ich ihn als besonders engagierten und begeisterungsentfachenden Lehrer kennengelernt habe. Es gibt eine Veröffentlichung von Faber & Faber über seine gestalterischen Arbeiten und sein Leben Eine Milchstraße von Einfällen. Juergen Seuss und die Deutsche Buchkunst der zweiten Jahrhunderthälfte, in der er sich über seine Arbeit, die gesellschaftlichen Zustände immer kritisch beachtend, äußert und in der auch Schriftsteller und Künstler über ihn schreiben.

Als er 1964 einen, wie er empfand, denunzierenden Bericht über die englische Jugend in Liverpool im Deutschen Fernsehen angeschaut hatte, entwickelte er spontan die Idee, „man müsse mit einer auf Authentizität berufenden Buchveröffentlichung darauf reagieren und den Unsinn des Fernsehens klarstellen, sprach ich Gerold Dommermuth an und fragte, ob er nicht Lust hätte, als Co-Autor an dem Projekt mitzuarbeiten. Er, wie auch Hennes Maier, den ich gleichfalls ansprach, sagte zu und es entstand relativ schnell das Buch ‚Beat in Liverpool‘, das 1965 bei der Europäischen Verlagsanstalt in Frankfurt am Main erschien und parallel dazu, als Lizenzausgabe, in der Büchergilde Gutenberg. Es war die erste deutsche Veröffentlichung in Buchform über das Phänomen einer neuen Jugendkultur, es wurde schnell populär und erlangte einen Grad von Berühmtheit, der uns überraschte, der aber auch die Erkenntnis vermittelte, dass das Phänomen nicht allein ein insulares war. Der Mersey-Beat, der neue Sound der Liverpooler Kellerkinder und der Kinder aus den maroden Lagerhallen der Werften, gab weltweit Kunde von unverträglichen sozialen Verhältnissen in den sich ‚modern und fortschrittlich‘ nennenden Gesellschaften. Das Buch wurde 1965 auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt, die Protagonisten des Bandes, die Mitglieder der Gruppe der ‚Claxton Squares‘ hatten wir nach Frankfurt eingeladen und ließen sie in der Messehalle spielen, in der Stadt, auf Plätzen und in städtischen Sälen: der Erfolg war sensationell, der Mersey-Sound der originalen Liverpooler Jungens verzauberte Frankfurt und darüberhinaus die Rundfunkanstalten. Sie waren eine der Nachfolge-Bands der Beatles aus dem ‚Cavern‘, dem Keller in Liverpool 2, Mathew Street 8-12 – ein Ort, den es nicht mehr gibt, der berühmt war und der nur noch in der Erinnerung lebt. Aber er war da und hat Geschichte gemacht und ist zur Ikone einer ganzen Generation geworden. […] Das Buch bekam aber auch in anderer Hinsicht eine für mich wichtige Bedeutung: es war der ästhetische und damit buchästhetische Aspekt. Wie bei keinem anderen Buch zuvor gewann ich die feste Überzeugung, dass es mir gelungen war, dem Inhalt eine adäquate Form gegeben zu haben. …“

Form war für Juergen Seuss nicht nur eine Hülle, sondern auch ein reizvolles Mittel, um Inhalt darzustellen. Leere oder sinnlose Formen waren ihm ein Gräuel. Juergen Seuss war zudem manischer Büchersammler, jedoch kein Bücherwurm, sondern eher ein Bücherwolf voller Temperament, Kampfgeist und Leidenschaft. Sicherlich hat er Anteil an der Gestalt der bundesdeutschen Buchkultur in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts. (Nanna Seuss, 24.April 2023)

 

Prof.Dipl.-Ing. Juergen Seuss

Geboren am 21.12.1935 in Leipzig

Lehre als Kunstbuchdrucker und als Setzer (Schweizer Degen)

Studium zum Ingenieur für Polygraphie

Hersteller im Wilhelm Knapp Verlag Halle a.d. Saale

April 1959 über Berlin-West nach Frankfurt a.M.

ab Juli Hersteller im S.Fischer Verlag

ab Oktober Hersteller in der Büchergilde Gutenberg

1974 Herstellungsleiter und Künstlerischer Leiter für den Buchbereich

1985-2000 Professur für Buchkunst an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

1981 Gründung des BrennGlas Verlages, Assenheim

1992 Gutenbergpreis der Stadt Leipzig
Gestorben am 21.4.2023 in Assenheim

 

Mehrere Texte über Typografie, Ästhetik sowohl über Illustratoren und Künstler: Christian Egenolff, Walter Tiemann, Gunther Böhmer, Volker Sammet oder über den Verleger des Reclam Verlages Hans Marquardt u.a.

 

Sehr kleine Auswahlbibliographie gestalteter Bücher

Büchergilde Gutenberg

-Beat in Liverpool, Juergen Seuss, Gerold Dommermuth, Hans Maier, Frankfurt am Main, 1965

-Fußballweltmeisterschaft 1966, Wilfried Gerhardt, Frankfurt am Main

-Der zweite Weltkrieg, Raymond Cartier, Frankfurt am Main, 1968

-Das große Testament, François Villon, mit Zeichnungen von Gertrude Degenhardt, Frankfurt am Main, 1970

-Die neuen Leiden des jungen W., Ulrich Plenzdorf, Frankfurt am Main, 1974

-An der Bucht, Das Gartenfest, Katherine Mansfield, Frankfurt am Main, 1988

Faber & Faber

-Die Graphischen Bücher, Leipzig, ab 1993

-Die DDR-Bibliothek, Reihengestaltung, Leipzig, 1995

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