Auf Platz 3: Federball von John le Carré (original 2019: Agent Running in the Field)
Kaum zu glauben: John le Carré, gerade 88 geworden, vermag immer noch zu fesseln.
Und zwar bei Beachtung folgender Richtigstellungen:
Federball ist kein Roman über das deutsche Straßen-, Wiesen- und Familienspiel, sondern eine Agentengeschichte in 15 Badminton-Partien.
Federball ist kein Roman über den Brexit.
„Ach, der Brexit-Roman“ ist eine Party-Speech-Fehlleistung, die auf der allerschlichtesten Ineinssetzung von Autoren- und Figuren-Meinung beruht. Einer der Protagonisten ist ein sehr liebenswürdiger Idealist, der ununterbrochen auf Trump und Johnson und den Brexit schimpft. Aber die heiße Story des Romans zeigt, wie man jugendliche Idealisten wunderbar für alle möglichen widerlichen (geheimdienstlichen, d.h. Täuschungs- und Manipulations-) Zwecke missbrauchen kann.
Federball ist hingegen ein wunderbarer Enthüllungsroman, dessen Enthüllungen so leicht und leise daherkommen, dass man schon sehr genau lesen muss.
Federball ist hoffentlich nicht der letzte Roman John le Carrés, der eingestandenermaßen ohne Schreiben nicht leben kann. “I have no real leisure activity,” vertraute er Tobias Grey in der New York Times an.
Federball ist eine Liebeserklärung an das alte Europa und damit auch an Deutschland.
„Federball ist ein hochaktueller Spionageroman auf der Höhe der Kunst, brillant geplottet, voller Energie – und kein bisschen „altersweise“ oder nostalgisch.“ (Ulrich Noller, Deutschlandfunk Kultur)
Auf Platz 6: Hotel Cartagena von Simone Buchholz
„Junge, komm bald wieder“ war der Schlager im Musical „Heimweh nach Sankt Pauli“; Freddy Quinn sang so 1962 bis heute.
Henning, Junge aus Sankt Pauli, hat kein Heimweh. 1984 ist er abgehauen nach Cartagena, Kolumbien, nicht Spanien, weil ihm Hamburg auf den Keks ging. „Henning wollte kein Seemann werden. Er wollte einfach nur etwas anderes werden als das, was er war.“
In Cartagena fand er sein Glück, seine große Liebe, hier war alles easy. Er wurde zum Mittler zwischen dem Kartell dort und den Koksern in Hamburg, das ging nicht ohne Verluste. So weit ohne zu spoilern, dieser Teil der Geschichte.
Der andere handelt von einem 65. Geburtstag, einem an einer Ananas geritzten Daumen, einer Geiselnahme in einer berühmten Hotelbar am Hamburger Hafen. Und von einer Chastity Riley, die in Fieberwahn verfällt und sonst kaum etwas zur Lösung einer verfahrenen Lage (Euphemismus!) beitragen kann, sondern selbst weggetragen werden muss.
Chapeau! Simone Buchholz schreibt immer wilder, ohne den Krimiboden unter den Füßen zu verlieren. Man glaubt es nicht: Auch in ihrem neunten Roman mit Staatsanwältin Chastity Riley weht eine mächtig frische Brise. Bis zum Blow out.
Im Interview mit Andrea Gerk verrät sie, was sie mit Chastity verbindet.
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Auf Platz 8: Bitterer Zorn von Norbert Horst
In den vierten Kriminalroman um den Dortmunder Kommissar Thomas Adam, genannt Steiger, sind Erfahrungen eingegangen, die Norbert Horst als Kriminalkommissar gesammelt hat. Allerdings in Bielefeld, wo er im Schwerpunkt Ausländerkriminalität Dienst tut.
Horst ist 1956 geboren, seit 45 Jahren bei der Polizei und der einzige deutsche Polizist, der wirklich gut literarisch schreiben kann. Gelernt hat er das Schreiben u.a. in seiner Schreibgruppe in Bünden/Westfalen, ihr ist Bitterer Zorn gewidmet.
Entführungen sind das Bindeglied zwischen den Fällen, mit denen die Dortmunder Kripoleute um Steiger zu tun haben: ein Mädchen, das in einem Trotzanfall ihrer Mutter weggelaufen ist, wird nach und nach deutlicher erkennbar als Tochter eines Clan-Patriarchen, der im Krieg mit einem andern Patriarchen liegt, eine Blutfehde, ausgetragen im Dortmunder Raum. Huryes Schicksal liegt jedoch in den Händen von Frauen, von Müttern, die sich gegen die von Männerehre bestimmten Gesetze ihrer Clans entscheiden. Verschwunden ist auch ein jugendlicher Einbrecher, ein Roma. Und eine andere Frau, die aber nur am Rande eine Rolle spielt.
Horst zeigt, dass fast alles, was man so zu wissen glaubt über Ausländer, Polizei, Hass und Liebe, nüchtern verdichtet im Romanalltag anders funktioniert und verwickelter. Die Wahrheit wird hier natürlich auch nicht erzählt, weil es die Wahrheit nicht gibt, wohl aber Verhalten jenseits der Klischees.
Wenn erzählende Literatur aufklären kann, dann diese.
2018 habe ich Norbert Horst in Bielefeld getroffen, hier meine Reportage.
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Auf Platz 9: Blutwunder von Lisa McInerney (original 2017: The Blood Miracles)
Vier Monate lang stand Lisa McInerneys Glorreiche Ketzereien 2018 auf der Krimibestenliste. Blutwunder folgt den Spuren einer der Hauptfiguren dieses hoch gelobten Erstlings: Ryan Cusack, als Pianist eine Begabung, als Mensch eher schwach steht hier im Zentrum. Um ihn herum ein Set widerwillig hilfsbereiter Frauen, denen der 20-jährige Naivling und Drogendealer einen Strich durch die freundschaftliche Rechnung macht. Unter ihnen Maureen, Protagonistin von Glorreiche Ketzereien, die hier eine betreuende und verwirrende Mutterrolle spielt. Allerdings kostet ihre unter Jahren patriarchaler Herrschaft erlernte Verschwiegenheit Ryan beinahe das Leben. An die tote Mutter schreibt er Briefe voller bekenntnishafter Verlogenheit, seine geliebte Freundin und bald auch Mutter seines Kindes Karine betrügt er mit einer aparten Betrügerin. Natürlich ist an allem nur das Kokain schuld, das er zusammen mit etlichen anderen Substanzen konsumiert, um den Irrsinn eines Lebens zu ertragen, das unter seinen Zielkonflikten stetig dem Zusammenbruch entgegenschwankt.
Hier die höchst erfreute Rezension von Frank Rumpel.
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Auf Platz 10: Die Alte von Hannelore Cayre (original 2017: La daronne)
Beinahe schon vergessen sind die beiden einzigartigen Romane um Anwalt Leibowitz, die von Hannelore Cayre seinerzeit in der Metro-Reihe im Unionsverlag erschienen sind: Der Lumpenadvokat (2007) und Das Meisterstück (2008). Darin schlägt sich ein Pflichtverteidiger – der allerunterste in der justiziellen Nahrungskette – durch die Dschungel zwischen Selbsterhaltung und Betrug.
Noch tiefer stehen nur Übersetzer wie Patience Portefeux. Jüdisch-betrügerischer Abstammung (böses Spiel mit antisemitischem Klischee) hat sie es dank der Verschwendungssucht ihres Alten und des Wohlstands ihres verstorbenen Mannes zu nichts anderem gebracht als „einer Expertise in Betrug aller Art und einem Doktortitel in arabischen Sprachen“. Da sie zwei Töchter großzuziehen und eine anspruchsvolle Mutter in einem teuren Altenheim zu versorgen hat, schuftet sie als Übersetzerin für Justiz, schwarz natürlich.
Dominique Manotti erinnert daran, dass unter Sarkozy und Hollande alle professionellen Übersetzer aus dem Polizeiapparat entfernt wurden, mit dem Ergebnis, dass bei der Terroristen- und Drogenjagd Freiberufler angeheuert werden, die der Kontrolle der Justiz entzogen sind.
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