"Er genoss es, andere zu unterstützen, ihnen zu helfen, die richtigen Entscheidungen für ihr Leben zu fällen" Matthias Wegner – ein Nachruf

Verleger, Autor und Journalist Matthias Wegner  ist am 7. Dezember im Kreise seiner Familie verstorben. Europa-Verleger Christian Strasser erinnert an den ehemaligen Rowohlt-Geschäftsführer:

Matthias Wegner

Im Rückblick hatte ich es gut. Und trotz aller Gebresten: Ich bin schmerzfrei. Aber dass mit mir auch mein sozialdemokratisches Weltbild national und international zusammenkrachen würde und es überall wieder gegen die Juden geht, hätte ich nicht erwartet. Es donnern die Schläge und Juden müssen wieder zittern. Dass und wie ich an ihrer Seite stehe, kann ihnen nichts helfen. Immerhin haben sie heute mehr Kräfte und Strategien als vor 1933. Aber ob das ausreichen wird? Wenn sie untergehen, komme ich mit.“ Diese Worte sind aus einer Mail, die mein Bruder Matthias Wegner mir am 26. November 2023 schrieb. Im Sommer noch hatte er als eine seiner letzten Reisen Ausschwitz besucht. Am 7. Dezember starb er. Es zählt zu den glücklichsten Momenten meines Lebens, dass ich zusammen mit seinem Sohn Konstantin und zwei engen Verwandten bei ihm sein durfte. Er wurde 86 Jahr alt.

Geboren in Hamburg wuchs er in Gräfelfing bei München auf, besuchte in Schondorf am Ammersee das Internat. Einer seiner Mitschüler war Heinrich Hugendubel. Es folgten Studienjahre der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Hamburg, Basel, Berlin und Göttingen. Seine Leidenschaft aber war schon damals das Theater, er wollte zunächst Schauspieler werden.

Der frühe Tod unseres Vaters im Januar 1965 wollte es anders. Matthias war bestimmt dazu, den Christian Wegner Verlag zu übernehmen, der nach dem Krieg hohes Ansehen durch die Herausgabe der 14-bändigen „Hamburger Goethe-Ausgabe“ erlangte und ähnliche Ausgaben für Büchner, Hölderlin und Kleist vorbereitete. Doch der Beruf des Verlegers entfachte Matthias` Leidenschaften nur zum Teil, denn das permanente Eingehen existentieller Risiken war seine Sache nicht. Entsprechend erleichtert war er, als Heinrich Maria Ledig-Rowohlt ihm 1969 anbot, als

Co-Verleger in den Rowohlt Verlag einzutreten, in dem der Christian Wegner Verlag aufgehen konnte.

Bei Rowohlt stürzte er sich auf die Weiterentwicklung des Taschenbuchs und startete – sehr im Geiste von `68 – neue Reihen wie NEUE FRAU, rororo PANTHER und rororo ROTFUCHS. Sein spektakulärster Coup, obwohl offiziell verboten, war die Veröffentlichung von Klaus Manns MEPHISTO. Nebenbei leitete er mehrere Jahre den „Norddeutschen Buch- und Verlegerverband“ und engagierte sich im Verlegerausschuss des Börsenvereins des deutschen Buchhandels.

Diese 70er Jahre waren die Anfänge der Konzernbildung zusammen mit dem Auftreten von Agenten, ein Prozess, den Matthias Wegner in einem Artikel in der ZEIT unter dem Titel „Die Zeit der Individualisten ist vorbei“ zusammenfasste. Diese Individualisten hatten sich als Nachfahren der einstigen Gründerverleger Mitte der 60er Jahre im „Oehringer Kreis“ zusammengeschlossen und versuchten tapfer, die Fahne des privaten Verlegers hochzuhalten, ein hoffnungsloses Unterfangen, wie wir heute wissen.

Rowohlt wurde Teil des Holtzbrinck Konzerns, der große Ledig-Rowohlt starb kurz darauf in Neu Delhi, ausgerechnet bei einer Verlegerkonferenz.

Matthias wurde verlegerischer Geschäftsführer des Bertelsmann Clubs, obwohl die Manager in Gütersloh große Sorge hatten, dass er für diese Aufgabe zu intellektuell sei und zwar literarische, aber unverkäufliche Bücher verlegen würde. Doch Matthias strafte sie Lügen. Er zeigte, dass man in einem Buchclub sehr wohl Qualität verlegen konnte, ohne die gewohnt lukrative Rendite zu beeinträchtigen. Stellvertretend für zahlreiche Einzelbücher steht die „Jahrhundert-Edition“, in der die wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts in einer edlen und kommentierten Ausgabe zu erschwinglichen Preisen veröffentlicht wurden. Diese 100 Bände umfassende Bibliothek wurde ein großer Erfolg, besonders auch in den Wohnzimmern der Manager des Konzerns.

Als sich Anfang der 90er Jahre die Strategie des Bertelsmann Konzerns änderte und dieser sich primär international erweiterte, begann für Matthias ein neuer Lebensabschnitt. Er arbeitete fortan als Autor und freier Publizist, schrieb Bücher über große historische Frauenpersönlichkeiten wie Isa Vermehren und Ida Dehmel (ich hatte die Ehre, beide im Claassen Verlag veröffentlichen zu dürfen), aber auch DIE HANSEATEN, und einen von ihnen, den manche für den größten hielten: Hans Albers. Matthias wurde Gastautor der Neuen Zürcher Zeitung und Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und begleitete fortan das kulturelle Leben der Republik durch eine klare Haltung, kritische Analyse und das unerbittliche Hochhalten eines Qualitätsanspruchs, der langsam zu versiegen drohte.

Er engagierte sich stark beim Hamburger Literaturhaus, vor allem aber beim Theater, seiner großen Leidenschaft: Fast 20 Jahre lang erfreute er mit faszinierenden Matineen die bürgerliche Gesellschaft Hamburgs im Ernst Deutsch Theater, indem er ihnen die Literatur unseres Landes, gelesen von bekannten Schauspielern, verständlich nahebrachte. Theater! Theater!, so der Name der von ihm moderierten Veranstaltungsreihe.

Naturgemäß fühlte sich Matthias vielen Dichtern nahe, am meisten wohl Franz Kafka, Thomas Mann und Goethe. Dessen „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ war zeitlebens auch Matthias` Credo. Die wunderbare Michele Troy, eine perfekt Deutsch sprechende amerikanische Literaturprofessorin, Autorin der rasanten Verlagsgeschichte „Die Albatros Connection“, in der sie die spektakuläre Entstehung des ersten modernen und von unserem Vater mitgegründeten Paperback-Verlags der Welt erzählt, sagte es mir kürzlich noch einmal: „Ja, Matthias ist ein wahrhaft edler Mensch“. Kaum jemand kann dies besser bestätigen als ich, der ich ohne seine brüderliche Liebe, die von der ersten Begegnung vor 60 Jahren bis heute ungebrochen war, es niemals geschafft hätte, dem Schicksal eines Kaspar Hausers zu entrinnen. Alles an diesem Mann war nicht nur edel, sondern schön, seine Erscheinung, seine Bibliothek, seine Frau Christiane, die Schauspielerin war und mit der er demnächst diamantene Hochzeit gefeiert hätte, seine Wohnungen. Er genoss es, andere zu unterstützen, ihnen zu helfen, die richtigen Entscheidungen für ihr Leben zu fällen. Sein letztes großes Erfolgserlebnis war, dass sein Enkel Benjamin, dem er – wie auch dem jüngeren Enkel Sebastian – in den letzten Jahren Fernunterricht in Latein erteilt hatte, kürzlich das Abitur mit einer 1,0-Note in diesem Fach machte.

Tiefes Glück empfand er beim Anblick der Familie seines Sohnes Konstantin (einem der führenden Medienanwälte des Landes), der es mit seiner famosen Ehefrau Ulrike, ihrerseits langjährige Pressesprecherin des Verlags C.H.Beck, geschafft hat, etwas zu erreichen, was weder Matthias noch mir zuteilwurde: das natürliche Zusammenleben von Eltern mit ihren Kindern. Das unstete Leben unsers Vaters ließ dies nicht zu.

Als ich ihn am 29. September, seinem Geburtstag, besuchte, war die Krankheit bereits sichtbar, sein Geist jedoch klar wie immer. „Man hat ja heute schon Glück, jemanden zu finden, mit dem man sich vernünftig unterhalten kann“, sagte er in einer Mischung aus Melancholie, und Ohnmacht. „Mir scheint, wir gehen in eine Trallala-Welt“.

Es klang so, als wünschte er sich tatsächlich, bald in einer anderen Welt zu sein. Jetzt ist er dort.

Christian Strasser

 

 

 

Kommentare (3)
  1. Danke, Christian Strasser, für diesen ausführlichen Nachruf auf Matthias Wegner! Ich hatte das Glück, meinen ersten Roman „Sonnenflecke“ 1965 im Wegner Verlag Hamburg veröffentlichen zu können, jenem Verlag, der die große Hamburger Goethe-Ausgabe herausgab. Auch bei Rowohlt begegneten wir uns wieder, beide als Bewunderer des großen Rainer Maria Ledig-Rowohlt, konkret dann in der Rotfuchs- und Panther-Reihe, wo ich ein paar Titel veröffentlichte.
    Ich werde ihn als einen kenntnisreichen, höflichen, zurückhaltenden und dennoch sehr aktiven Verleger in Erinnerung behalten. Als einen im besten Sinne konservativen Menschen, wie wir ihm heute im Publikationsbereich kaum noch begegnen.

  2. Gute Reise, Matthias Wegner!
    Ich habe Sie nie kennengelernt – aber ich freue mich darauf (inzwischen auch schon bald 71), dies irgendwann in Bälde nachholen zu können.

  3. Lieber Christian, Dein Artikel hat mich tief berührt. Du hast Matthias, der in meinem frühen Leben als mein privater „Deutschlehrer“ eine große Rolle spielte,
    mir noch einmal in all seinen großen Facetten vor Augen geführt . Dafür danke ich Dir sehr ! Herzlich Annette

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