Offener Brief von Gerhard Beckmann an Dr. Andreas Mundt, Präsident vom Bundeskartellamt, in Sachen Amazon und Buchpreisbindungsgesetz: „Drastische Wettbewerbsverzerrung“

Gerhard Beckmann

Es gibt schon wieder einen Amazon-Skandal. Und diesmal handelt es sich – klipp und klar – um einen elementaren politischen Skandal.

Der multinationale High Tech-Konzern aus Seattle verletzt nämlich die demokratischen Regeln unseres Rechtsstaates. Amazon bricht  – konkret, regulär, skrupellos und  systematisch – kodifiziertes deutsches Recht. Der US-Gigant verstößt dabei sowohl den genauen Wortlaut wie den Kern- und Sinngehalt eines klugen, kulturell und ökonomisch ausgewogenen  bundesrepublikanischen Gesetzes. Darum muss nun der Staat juristisch und politisch gegen Amazon tätig werden.

                                                                                                                                         Amazon demontiert das Gesetz,  das den Buchmarkt in Deutschland weltweit bis heute in seiner  wirtschaftlichen wie kulturellen Qualität einzigartig und als Bildungsfaktor für die Bevölkerung unersetzbar macht: Amazon macht dieses Gesetz  auf Dauer grundsätzlich unhaltbar.   

Der Skandal betrifft das das Buchpreisbindungsgesetz. Es ist im September 2002 vom deutschen Bundestag beschlossen worden. Es verpflichtet die Verlage, für den Verkauf von Neuerscheinungen  an Endabnehmer verbindliche Preise festzusetzen, so dass für gedruckte Bücher sowie (seit 2019) auch für  E-Books  überall derselbe Preis gilt, ganz gleich, ob der Kauf eines Buches über eine unabhängige kleine Sortimentsbuchhandlung, ein Buchkaufhaus oder über Internet läuft.

Das  ist der erste Kernpunkt des Buchpreisbindungsgesetzes: Er definiert über den festen Ladenpreis das  Verhältnis der Verlage nach außen hin, gegenüber der Öffentlichkeit. Dieser  erste Teil  (in  § 6) dient  insbesondere dem „Schutz des Kulturgutes Buch“. Er wird im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels von den Preisbindungstreuhändern – Rechtsanwalt Dieter Wallenfels  und Professor Dr. Christian Rust –  überwacht und ist offensichtlich flächendeckend  gewährleistet.  Diese  – erste –  gesetzliche Vorschrift  wird  auch von Amazon  respektiert. Ihre Befolgung liegt allerdings -notabene-  völlig im Rahmen eines rein geschäftlichen Eigeninteresses von Amazon.

Das Buchpreisbindungsgesetz enthält jedoch  –  der Öffentlichkeit  weithin unbekannt  – in § 6 ebenso  klare Vorschriften für (die jeweils vorausgegangenen ) Verkäufe  innerhalb der Buchbranche, d.h. zwischen den herstellenden  Verlagen  und den Handelsunternehmen. Die betreffenden Vorschriften besagen: (1) Die Verlage haben neben und unabhängig von Größe und Umsatzhöhe auch den buchhändlerischen Beitrag und Service kleinerer Sortimente zur flächendeckenden Versorgung  der Bevölkerung mit Büchern angemessen zu berücksichtigen. (2) Verlage dürfen branchenfremde Händler nicht zu niedrigeren Preisen oder Bedingungen als den Buchhandel  beliefern, und ( 3):  Für die Zwischenbuchhändler (inklusive der sogenannten Barsortimente ) dürfen Verlage keine höheren Preise oder schlechtere Konditionen festsetzen als für Letztverkäufer, die sie beliefern.

Es sind unabdingbare Vorschriften. Weil die  Zielsetzung des Buchpreisbindungsgesetzes  nämlich nur   realisierbar ist, insofern sie befolgt werden. Denn bei diesem Gesetz geht es um folgendes: Es „dient dem Schutz des Kulturgutes Buch, indem es “den Erhalt eines breiten Buchangebotes“ sichert. Es gewährleistet zugleich, dass dieses Angebot einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist, indem es die Existenz einer großen Zahl von Verkaufsstellen sichert.“ Möglich wird all das insbesondere dank der deutschen  Barsortimente mit ihrem global einmaligen Service. Er garantiert, dass Bürger auch in abgelegenen Kleinstädten jedes spontan gewünschte Buch zum (überall) gleichen Preis so prompt und schnell erhält wie beim hauptstädtischen Großfilialisten oder über Internet.  Zu diesem Zweck ist  gesetzlich verfügt worden, dass Verlage keine „Letztverkäufer“ zu höheren Preisen  und schlechteren Einkaufskonditionen bzw. Rabatten beliefern dürfen als Unternehmen dieses Zwischenbuchhandels – das gilt beispielsweise für Großfilialketten und die Rackjobber von Supermärkten.

Das letztgenannte Detail an gesetzlichen Vorschriften innerhalb der Branche gilt selbstverständlich auch  für Amazon. Es bedeutet –  zur Veranschaulichung – konkret: Amazon hätte sich – ausgehend von der Faustregel, dass die Verlage den Zwischenbuchhandel mit einem Rabatt von fünfzig (50) Prozent für Belletristik, Ratgeber und Sachbücher beliefern –  per  Gesetz mit einer Konditionen-Decke von maximal  50 (fünfzig) Prozent zu begnügen.    

Diese gesetzliche Vorschrift für den Binnenmarkt  der Branche  wird von Amazon aber grundsätzlich gebrochen und  systematisch hintergangen.  Und diese  – in der Buchbranche  und der Öffentlichkeit verborgen gebliebene Tatsache – ist  nun aufgedeckt  worden. Darum legt diese Aufdeckung einen  Skandal von besonderer,  fundamentaler Tragweite offen: Sie macht Zahlenhintergründe konkret  sichtbar, die  offiziell nicht mehr für tabu deklariert werden können.

Der  Skandal enthüllt nämlich, dass  Amazon für den von ihm selbst bestimmten, d. h. vorgegebenen, „vor-programmierten“  Leistungskatalog bei  vielen und mittleren Publikumsverlagen einen Grund- bzw. „Klar“-Rabatt von  55 (!) Prozent fordert und auch erhält – zuzüglich der portofreien  Lieferung an alle 25 Auslieferungsorte Amazons (darunter je eins  im fernen Ausland von Polen und  Tschechien (!!).  Die Zusatzkosten solch portofreier Lieferungen sind  für Verlage mit etwa drei  Prozent (!!!)  zu veranschlagen. Somit  summieren sich die von Amazon verlangten und von Verlagen gewährten Konditionen gesamthaft auf annähernd 60 (!!!!) Prozent – auf ein Konditionen-Aggregat also, das den Rabattsatz für den Zwischenbuchhandel  um rund zehn (!!!!!!) übersteigt.               

Ist es glaubwürdig, dass davon über – wie viele? – Jahre niemand gewusst hat? Oder könnte  es vielleicht eine Mauer des Schweigens gegeben haben, hinter der  Verlage  – wie lange schon?  – ihr Wissen vom Gesetzesbruch Amazons  bis heute verheimlichen?  Sollte selbst im Börsenverein des deutschen Buchhandels, der ja von Amts wegen über die Einhaltung des Buchpreisbindungsgesetzes zu wachen hat, keinerlei  Verdacht aufgekommen sein? Hat Amazon nicht nur deshalb  skrupellos  regulär und systematisch gegen das Buchpreisbindungsgesetz verstoßen können, weil  sich über die Großkonzerne hinaus eine Vielzahl von größeren und mittleren Verlagen auf solch illegale Praktiken   einließen und  Komplizen von Amazon geworden sind? Wäre es denkbar,  dass sie  ihr Komplizentum bis in die Gremien des Börsenvereins trugen, in denen Preisbindungs-Malpraktiken  offen  zur Sprache gebracht werden müssten? Hat der Börsenverein  gemerkt, dass er mit seinen Möglichkeiten und Kräften überfordert war? Hat der Börsenverein sich mit seinen Problemen offen und ehrlich an die  Politik gewandt? Angesichts seiner mangelnden Transparenz richte ich  diesen Offenen Brief an Sie, verehrter  Herr Präsident des Bundeskartellamts.  Denn Amazon hat die politisch gewollte Wirkung des Buchpreisbindungsgesetzes in ihr Gegenteil  verkehrt. Es hat es zu einer weiteren Stärkung und Profitabilität seine Marktmacht  missbraucht.

Der Offene Brief an Sie, lieber Herr Mundt,  ist zudem aus einer Not  entstanden, die  für Ihr Kartellamt von Belang sein dürfte – aus der Not einiger Branchenteilnehmer, die als  Angestellte in ihrer täglichen Berufsarbeit  die erwähnten Gesetzesübertretungen von Amazon in Komplizenschaft mit deutschen  Verlagen „durchziehen“ müssen  und dazu von Amazon und den verlegerischen Komplizen Amazons zu Stillschweigen verpflichtet und folglich dazu „mitverurtelit“  sind, selbst als Komplizen der laufenden Gesetzesbrüche zu fungieren, die –  nach ihrer festen – Überzeugung nur zu einem Ende der Buchpreisbindung führen können – mit gravierenden  Folgen für die Bevölkerung, für  Autorinnen und Autoren, Verlage, Buchhandlungen, für Kultur- und Bildung wie  für den Wirtschaftsstandort und den Rechtsstaat der  Bundesrepublik Deutschland überhaupt. Darum  haben sie sich aus Gewissensgründen  entschieden, „Whistleblower“ zu werden. 

Das Aufdecken von Missständen dank solcher Hinweise seitens demokratisch und rechtsstaatlich verankerter Bürger gehört heute zu den Standardaufgaben eines investigativen Journalismus, dem ich als zugehörig gelte. Ich habe die Hinweise  von Whistleblowern geprüft. Sie haben mich überzeugt.  Abbilden, dokumentieren darf und kann ich sie inweisernicht, weil Amazon und Komplizen in Verlagen diese Menschen sonst automatisch identifizieren könnte und höchstwahrscheinlich ihrer Existenzgrundlage berauben würde. Sir müssen also  mit Recht geschützt werden.  Und dass sie mit ihren Hinweisen augenscheinlich nur auf mich zugekommen sind, beruht darauf, dass ich – in der Branchenzeitschrift BuchMarkt und im Online-Magazin CrimeMag bzw. CulturMag  immer wieder dezidiert  für das selbständige Sortiments eingetreten bin, gerade in offiziellen Organen  der Branche marginalisiert wird. So  fehlt – was s ich, als einziger, im „BuchMarkt„ thematisiert habe, an einer korrekten statistischen Erfassung der Leistung unabhängiger Buchhändlerinnen  und Buchhändler, obwohl sie es waren, die die während der Corona-Pandemie die Versorgung der Bevölkerung  mit Büchern aufrecht  erhalten haben. Und die unabhängigen Verlage haben vor einem Jahr exklusiv informiert, um  den für sie ruinösen Missbrauch des traditionellen Remissionsrechts durch Amazon publik zu machen.

Eine desaströser Verzerrung des Wettbewerbsrechts.

Mit den geschilderten Verletzungen des Pr eisbindungsgesetzes hat Amazon aber auf dem deutschen Buchmarkt einen Schaden verursacht,  der ein direktes Einschreiten Ihres Amtes erfordert, lieber Herr Mundt: Damit hat  Amazon nämlich auch direkt eine drastische Wettbewerbsverzerrung  bewirkt, wie das Gesetz sie hätte verhindern sollen.        

Sie hat beispielsweise zu folgenden Resultaten geführt:

(1) Die Durchschnittsrabattierung für selbständige Sortiment liegt inzwischen   – konservativ betrachtet – zwanzig (!!!) Prozent  unter dem Konditionen-Niveau von Amazon.

(2) Es hat eine Höhe erreicht,  die schon für  mittlere Verlage mit einem Jahresumsatz von fünf Millionen Euro eigentlich unbezahlbar ist.

(3) Grössere Verlage und große Konzerngruppen  machen über Amazon  30 (!) Prozent ihrer Jahresumsätze mit Belletristik-, Ratgeber- und Sachbuchtiteln.

(4) Gerade für marktbeherrschenden Verlage ist Amazon damit zu einem  unersetzlichen Vertriebskanal geworden. Damit hat Amazon eine Macht errungen, auf Grund derer er Konditionen zu diktieren vermag.

(5) Verlage, die sich Amazons Diktat verweigern, sind zunehmen der  permanenten Gefahr ausgesetzt, interessante Autorinnnen und Autoren an Verlage zu verlieren, die mit Amazon kooperieren.               

Mit vorzüglicher Hochachtung

Gerhard Beckmann

 


Kommentare (2)
  1. Das Thema Rabattspreizung beschäftigt die Branche und uns als Verband schon seit einigen Jahren. Beobachtungen legen nahe, dass die Vorschriften aus Paragraf 6 des Buchpreisbindungsgesetzes zur Konditionengestaltung zwischen Verlagen und Buchhandlungen nicht überall im Markt eingehalten werden. Vor zwei Jahren sind wir daher das Thema aktiv angegangen. Wir luden Vertreter*innen aller drei Sparten zu einem Runden Tisch ein, schufen eine unabhängige Ombudsstelle und führten zur weiteren Beobachtung der Marktentwicklung eine zweistufige Umfrage durch. Die Ergebnisse haben wir jüngst veröffentlicht – wie auch der Buchmarkt berichtete: https://buchmarkt.de/meldungen/umfrage-zu-konditionen-auf-dem-buchmarkt-wachsendes-bewusstsein-fuer-die-rechtlichen-rahmenbedingungen/

    Die Studie belegt, dass sich das Konditionengefüge in die richtige Richtung bewegt. Viele Verlage haben ihre Konditionen im Sinne des Rechtsrahmens angepasst. Die Rabatte für die Barsortimente haben sich erhöht, während die für andere Letztverkäufer teilweise gesunken sind. Die Planungen der Verlage für die nächsten Jahre lassen vermuten, dass diese Entwicklung noch weiter gehen wird.

    Die Studie zeigt aber auch, dass wir das Thema Rabattspreizung weiter beobachten müssen. Hierfür werden wir u.a. die Ombudsstelle beibehalten. Darüber hinaus werden wir auf die Mitarbeitenden in den für die Buchpreisbindung zuständigen Bundesministerien zugehen, um diese über die Ergebnisse der Studie zu informieren.

    • @Börsenverein des Deutschen Buchhandels

      Bei allem guten Willen, das von Gerhard Beckmann investigativ-journalistisch Aufgedeckte wiegt so schwer, dass wir uns die Frage stellen sollten, ob brancheninterne Mechanismen überhaupt noch greifen können, um eine Buchpreisbindung erhalten zu können. Dreh- und Angelpunkt ist u.a. der besagte Paragraph 6 und wir wissen alle, wem wir die Vermeidung einer Neuregelung bzw. die Vermeidung einer dezidierten Neuauslegung zu verdanken haben.

      Die in der erhobenen Studie belegte „richtige“ Richtung des Konditionsgefüges wie auch der Hinweis darauf, die Rabattspreizung weiterhin zu beobachten und die Ombudsstelle beizubehalten, dies alles überzeugt mich nicht davon, dass wir das Problem intern in den Griff bekommen – von der nach wie vor gegebenen und aktuell kaum diskutierten Zahnlosigkeit der Preisbindungstreuhänder ganz zu schweigen.

      Besonders für alle unabhängigen Sortimenter und Verlage besteht das Missbehagen nicht unbedingt in zu geringen Rabatten, das ganz große Problem ist eindeutig die Rabattspreizung, die inzwischen zugunsten zumindest eines großen Marktbeteiligten Ausmaße angenommen hat, die dem Geist des Buchpreisbindungsgesetzes komplett zuwiderlaufen.

      Wenn wir hier selbst keine Lösung finden, dann muss eben das Bundeskartellamt ran!

      Jens Bartsch
      Buchhandlung Goltsteinstraße in Köln

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