SALES AWARD 2018 - Das vollständige Interview mit GfK-Account Director Sonia López Sánchez „Gegengewicht zur hektischen Welt“

Im aktuellen Dezember-BuchMarkt findet sich auch der Aufruf zum SALES AWARD 2018, für den die Nominierungsrunde noch bis zum 16. Dezember läuft. Gesucht werden wieder würdige Preisträger in den Kategorien „Hauptpreis“, „Newcomer-Preis“, „Innovationspreis“ und „Preis für E-Commerce“. Nominierungen bitte an kandidaten@salesaward.de schicken – jeder kann mitmachen (und auch gerne sich selbst vorschlagen).

Die GfK wird die Jury des SALES AWARD 2018 zum ersten Mal mit Kennzahlen für die Qualifizierung von Verkaufserfolgen unterstützen – hier lesen Sie das vollständige Interview mit Sonia López Sánchez, GfK-Account Director.

Frau López Sánchez, was fällt Ihnen beim Buchhandel oder bei Verlagen in Sachen Verkauf auf, was es so in anderen Branchen nicht gibt?

Sonia López Sánchez: „Das Image des Buches und des Lesens ist ausgesprochen gut“

Mir fallen spezifische Stärken ein, die die Buchbranche selbst oft nicht mehr wahrnimmt. Allen voran das Thema Preisbindung, denn das Preismarketing hat im Vergleich zu anderen Branchen einen vergleichsweise niedrigeren Stellenwert. Gleichzeitig besitzen andere Stellhebel wie beispielsweise Platzierung, Einkaufsatmosphäre oder Orientierung eine deutlich höhere Bedeutung.

Wenn man von den Käufern her denkt: Mit welchem Markt ist der Buchmarkt von seiner Charakteristik am ehesten zu vergleichen?
Das ist eine Frage der Motive. Wir sehen bei unseren Studien immer wieder Aspekte wie Unterhaltung, Entspannung, Kultur, Wissen, Kennerschaft oder Identifikation, die beim Buchkauf bzw. dem Lesen wichtig sind. Ähnliche Branchen, die diese Aspekte auch aufgreifen, sind zum Beispiel „Wein und Spirituosen“, „Städte- und Kulturreisen“ oder auch die Gastronomie, spannend vor allem dann, wenn Sie an die Trendgastronomie denken.

Ein Preis wie der SALESAWARD dreht sich immer um die Frage „Wer macht’s am besten“, also um Benchmarks und Zukunftsorientierung. Welche Branche machte es aus Ihrer Sicht am besten?
In meinen Augen der Lebensmitteleinzelhandel, der in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen ist. Der LEH hat es geschafft, ein echtes Trading Up zu betreiben, also die Wertschöpfung deutlich zu erhöhen. Nach unseren Erkenntnissen werden die Kundenbedürfnisse dort immer besser erfüllt, u.a. durch das Schaffen neuer Einkaufserlebnisse, durch verbesserte Aufenthaltsqualität oder durch den zunehmenden Einsatz von digitalen Lösungen am POS.

Was sind z.B. im LEH die wichtigsten Tools, was sind die Parameter und Messgrößen des Erfolgs?
Wichtig sind, kurz aufgezählt,

  • die kontinuierliche Marktbeobachtung auf Kunden- und Sortimentsebene
  • die Optimierung der Käufer- und Umsatzpotentialausschöpfung mittels
    Category Management
  • das Wissen um die eigenen oder um interessante potentielle Konsumenten
  • das Wissen um die Customer Journey: Wo kann ich den Kunden mit welchen Medien erreichen, umgarnen und positiv stimmen?

Wie kommt man zu solchen Erkenntnissen?
Unser Anspruch, also der Anspruch der GfK, hat sich verändert. Unser Ziel ist es heute, ein 360-Grad-Bild des Konsumentens aufzuzeigen. Besonders unsere Konsumentenpanels bieten hier die Möglichkeit, den Buchkäufer umfassend zu beschreiben. Dies beginnt mit dem konkreten Einkaufsverhalten, sprich, WAS kauft der Kunde WO und WIE. Das Konsumentenbild umfasst aber auch die Einstellungen und Freizeitinteressen, die aufzeigen, wie bestimmte Zielgruppen „ticken“ und reicht bis hin zum Medien-Steckbrief, der wertvolle Insights dahingehend liefert, über welche Medien und Kanäle Konsumenten bzw. spezifische Zielgruppen zu erreichen sind.

Die Buchindustrie unterliegt wie andere Branchen seit Jahrzehnten einem mal mehr mal weniger ausgeprägten Strukturwandel. Wie beobachten Sie die Entwicklung der kleinen bzw. mittleren im Vergleich zu den großen Verlagen? Bei den ganz Großen läuft es nicht automatisch gut wie die Abgänge bei Random House gerade zeigen …
Diese Entwicklung sehen wir durchaus auch in anderen Märkten. Wenn wir innerhalb des Non Book Entertainment-Marktes bleiben, sehen wir aktuell eine sehr dynamische Entwicklung auf Handelsseite: Etablierte Entertainment-Händler wie bspw. die Elektromärkte verlieren an Bedeutung, neue Player wie Steam im Gamesbereich, Spotify bei Musik oder Netflix bei Film erobern Marktanteile. Analoge Entwicklungen sehen wir selbst im FMCG-Markt (dem Handel von Fast Mover Consumer Goods) von Lebensmitteln über Reinigungsmittel bis Körperpflege, wo etablierte Player teilweise „erstarren“ und neue kleinere Player sehr wendig und flexibel Anteile gewinnen.
Im Buchbereich gibt es mit dem neu entstandenen Selfpublishing-Markt einen zusätzlichen Wettbewerb, der früher einfach nicht existierte und der für den Konsumenten allein aufgrund seiner Preisstellung attraktiv ist. Und es gibt im Zweifel einen deutlich stärkeren Wettbewerb mit neuen Entertainmentformen. Das betrifft große und kleine Verlage in gleichem Maße – und wie immer bei einem solchen dramatischen Wandel ergeben sich daraus auch eines: viele Chancen.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass nur ganz wenige kleinere Verlage den Sprung über die 10 Mio.-Umsatzgrenze schaffen?
Geschützt durch die Preisbindung gibt es eine Vielzahl an kleinen Verlagen, insbesondere im Bereich der Non-Belletristik mit teilweise sehr kleinen Zielgruppen, gerade wenn wir an bestimmte Ratgeber-Teilbereiche denken. Die Zielgruppen sind hier von ihrer Größe oft der limitierende Faktor, die der Ausweitung eines Verlagsprogramms natürliche Grenzen setzen.
Gleichzeitig ist die Situation für kleinere Verlage deutlich schwieriger, da die Anzahl der gekauften Bücher über die letzten Jahre zweistellig zurückgegangen ist. In diesem Zusammenhang tendiert der Handel zunehmend dazu, weniger Vielfalt anzubieten und sein Angebot zu konzentrieren, hierdurch wird es für kleinere Verlage nicht einfacher, ihre Titel erfolgreich zu platzieren.
Und noch ein anderer Aspekt, der gerne vergessen wird: es geht schlicht und ergreifend auch um das Thema Marketing-Budget. Insbesondere kleineren Verlagen stehen häufig nur begrenzte Mittel für die Vermarktung zur Verfügung.

Im Buchhandel haben wir zwei ungewöhnliche Phänomene. Nachdem vor etwa zehn Jahren die großen mittleren Händler von den Ketten geschluckt wurden, wachsen heute kleinere Filialisten vor allem in Süddeutschland wie Osiander oder Rupprecht rasant. Gibt es solche Phänomene auch in anderen Branchen?
Wir sehen den generellen Trend der Lokalisierung und Regionalisierung. Konsumenten sind auf der Suche nach Authentizität und dies wird durch „einheimische“ Geschäfte – auch wenn es Ketten sind – gut bedient. Inhabergeführte Filialisten wachsen auch im LEH schneller, denn das Thema „gefühlte Vertrautheit“ ist eben nicht zu unterschätzen. Interessant in diesem Zusammenhang: Die Zielgruppe der LOHAS ist im Süden viel stärker vertreten. Gerade dieser Zielgruppe, die im Buchmarkt als potente Kundengruppe gilt, ist der regionale Bezug besonders wichtig.

Der Independent Buchhandel wird speziell von den großen Verlagsgruppen hinter vorgehaltener Hand gerne als nicht überlebensfähig bezeichnet. Die neuesten Zahlen zeigen jetzt: die Independents schlagen sich besser als die Filialisten. Stimmt da was an den Zahlen nicht oder beobachten Sie Ähnliches auch woanders?
In Bezug auf den Buchmarkt muss man zwei Phasen unterscheiden. Zum einen die Zeit in den Jahren 2014 bis 2016, als der unabhängige Buchhandel aufgrund des Rückbaus der großen Filialisten deutlich besser performt hat. Aktuell sehen wir, dass Filialisten genauso wie der unabhängige Buchhandel ihre Stellung am Buchmarkt von zusammen etwas über 50% gut verteidigen. Der Blick über den Teich in die USA zeigt, dass es die Independents dort richtig gut machen und stärker wachsen als der Gesamtmarkt, was teilweise auch mit dem rückläufigen Trend im digitalen Buchbereich zu tun hat.
Auch hier wieder eine Analogie zum Lebensmittelhandel: Innerhalb der großen Filialisten wie bspw. Rewe und Edeka sehen wir seit längerer Zeit die Entwicklung, dass sich inhabergeführte Geschäfte überdurchschnittlich positiv entwickeln.
Aus unserer Sicht hat dies u.a. mit dem persönlichen Involvement und Engagement aber auch mit dem Fokus auf die lokalen Gegebenheiten zu tun.

Thema E-Commerce: der Buchhandel war zuerst mit Amazon konfrontiert. Wie sehen Sie da die weitere Entwicklung?
Die Tendenz geht in die Richtung, dass Buchhändler eigene Online-Angebote schaffen und ausbauen. Das ist keine leichte Aufgabe 20 Jahre nach dem Amazon-Start in Deutschland. Auf der anderen Seite wird mehr als jeder zweite Euro nach wie vor im stationären Buchhandel ausgegeben.
E-Commerce wird sicherlich nicht an Bedeutung verlieren, aber es wird zukünftig noch stärker darum gehen, stationär und online intelligent zu verbinden, zum Beispiel durch die Koppelung von Online Bestellung und der Abholung im Geschäft. Auch E-Commerce ist mittlerweile kein Wachstumsgarant mehr, und abhängig von Konjunktur und Bestseller-Stärke. Spannend ist in diesem Zusammenhang natürlich die Entwicklung, dass Amazon in die stationäre Fläche geht und nach eigenen Geschäfte in den USA jetzt einen ersten Pop-up-Store in Berlin eröffnet.

Noch einmal zu den Parametern des Erfolgs: was brauchen Verkaufs-Profis, um in Zukunft signifikant erfolgreicher ihre Märkte weiterzuentwickeln? Welche Mess- und Analyse-Werkzeuge?
Wissen um den Kunden, Wissen um die Käufer sowie die Customer Journey, Trenderkennung sowohl im Produkt als auch bei den Konsumenten.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Buchindustrie ein?
Der Buchmarkt ist nach wie vor der größte Entertainment-Markt, auch wenn die Zukunft sicherlich herausfordernd ist, insbesondere vor dem Hintergrund geringerer Zeitbudgets und der Digitalisierung, die völlig neue Freizeit- und Unterhaltungsformen hervorbringt.
Dennoch gibt es aus unserer Sicht genügend Ansatzpunkte, dass auch zukünftig die Buchbranche beim Endverbraucher punkten wird. Aus unseren Studien sehen wir allerdings, dass Verlage und Händler zum einen Orientierung bieten und zum anderen Konsumenten helfen müssen, wieder verstärkt mit dem Thema Buch in Berührung zu kommen.

Aber hat die Buchbranche nicht ein Problem mit jüngeren Lesern?
Richtig, gerade bei Jüngeren sehen wir eine ziemliche Orientierungslosigkeit und wenig Wissen über aktuelle Neuerscheinungen.
Wenn die Buchindustrie vermitteln kann, wie sehr das Lesen fit macht für diese hochdigitale, beschleunigte Welt, weil ich hier die spezifische Kompetenz erlange, mich mal zurückzulehnen, zu reflektieren, zu träumen, zu phantasieren – dann haben Bücher durchaus große Chancen, für jüngere Generationen attraktiv zu bleiben. Wobei wir mit »fit machen für die beschleunigte Welt« nicht blindes Funktionieren meinen, sondern im Gegenteil die Befähigung, seinem Leben einen eigenen Rhythmus zu geben.
Neue Konzepte für die sogenannten Millennials (Jahrgänge 1982 bis 1996) – die ältesten in dieser Gruppe sind heute fast 40 – halten wir für entscheidend. Für sie ist typisch, dass sie früher viel gelesen haben, aufgrund von Beruf und Familie dies jedoch immer seltener tun.
Das Buch hat einen Doppelcharakter: einerseits müsste es lauter und frecher auftreten, sonst wird es schwierig mit Netflix und Co zu konkurrieren. Andererseits stellt das Buch in unserer zunehmend hektischeren Welt ein – häufig ersehntes – Gegengewicht zu dieser hektischen Welt der ständigen Verfügbarkeit von Möglichkeiten, des Multitasking und der Parallelnutzung von Medien. Man kann sich aus „dem Digitalen“ rausziehen und seinen Ruhepol finden.
Wir stellen außerdem fest, dass die Grundparameter und Rahmenbedingungen für das Buch nach wie vor positiv sind: es hat ein ausgesprochen gutes Image, jeder möchte lesen und dies viel öfter tun.

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