Das Sonntagsgespräch Friedrich Forssman: „Es klebt Schweiß dran und Liebe zu den Sachen“

Friedrich Forssman ist einer der führenden Buchgestalter und Typographen Deutschlands. Mit Hans Peter Willberg verfasste er Standardwerke wie Lesetypographie oder Erste Hilfe in Typographie, mit Ralf de Jong Detailtypografie. Vom ersten Buch an (seit 1995) arbeitete er als „Haustypograph“ für Weidle.

Im Oktober 2010 erschien seine bislang spektakulärste Arbeit: Die in jahrelanger Arbeit gesetzte (erste Druck-)Version von Zettel’s Traum im Suhrkamp Verlag (Bargfelder Ausgabe). Ab 2008 entwickelte Forssman mit Cornelia Feyll das Reihenkonzept der Reclam Bibliothek, ab 2009 das Reihenkonzept für Reclam Sachbuch, 2012 gestaltete er die Universal-Bibliothek. Ulrich Faure sprach mit ihm über Typographie in den Zeiten fortschreitender Digitalisierung.

BuchMarkt: Ganz ehrlich: Wie oft haben Sie sich in den letzten Jahren als Fossil gefühlt, wenn Sie sehen mussten, dass mit dem Aufkommen von DTP-Programmen jeder, der einen Computer bedienen kann, als Hersteller dilettierte?

Friedrich Forssman
© Peter Kolling

Friedrich Forssman: Wie ein Fossil gefühlt habe ich mich, ganz ehrlich, nie. Wenn jemals, dann hätte ich zu Beginn meiner Beschäftigung mit Typographie Grund dazu gehabt. Damals war ich so 17, 18 Jahre alt, das war also Anfang der 80er Jahre. Das damalige Typographiedämmerungs-Szenario war: Der Bleisatz verschwindet, und was nachkommt, nämlich der „Lichtsatz“, taugt nichts mehr. Die Typographie wird verdorren. Diese pessimistische Sicht stimmte ja auch, nämlich eben für die 80er Jahre, aber als junger Bursch fühlt sich ja niemand als Fossil. Als dann Anfang der 90er Jahre Programme herauskamen, mit denen man Satz und Layout selber auf dem PC machen konnte, also das „Desktop Publishing“, das war herrlich und belebend: Plötzlich war Typographie ein großes Thema; plötzlich waren Schriften billig und zahlreich. Am Anfang gab es grauenvolle DTP-Basteleien, klar, aber es war ebenso klar, dass das Kinderkrankheiten sein würden. Eine Zugangsbeschränkung über teure Technik tut keinem Fach gut.

Die Namensreihe großer Buchgestalter und Typographen war schon mal deutlich länger. Sind Sie in Ihrem Beruf nicht doch eine aussterbende Spezies?

Die Liste lebender großer Buchgestalter und Typographen war nie länger als jetzt; sie war übrigens nie besonders lang. Buchgestaltung und Typographie sind reichlich geheimnislose Handwerke – nur ganz gelegentlich sieht man Arbeiten, bei denen man überhaupt von großer Buchgestaltung sprechen kann. Da jene geheimnisvolle Sache namens „Haltung“ dazugehört und die einzelne Arbeit – die ja meist sehr bescheiden auftritt – allein wenig aussagt, kann man erst beim Sichabzeichnen eines Lebenswerkes das (immer heikle) Größen-Prädikat mit einiger Berechtigung erteilen. Aussterben? I wo!: Das Interesse an Buchgestaltung und Typographie war nie größer als jetzt.

Schaut man sich an, wie die meisten E-Books auf den Readern aussehen, hat man den Eindruck: Typographie muss erst noch erfunden werden. Liegt alle Betonung heute nicht auf dem nackten Content, egal, wie hässlich er sich darbietet?

Nun, womöglich – und wahrscheinlich – ist die lächerliche Hässlichkeit von Typographie auf E-Readern auch nur eine Kinderkrankheit. Fehlende Trenn-Algorithmen, frei wählbare Schriften: so etwas muss ja nicht sein. Die Typographie für diese Lesegeräte wird gewiss bald besser werden. Nackter Content: Was ist das schon? Judith Schalansky hat sehr richtig gesagt: „Ich habe noch nie einen Inhalt ohne Form gesehen.“ Man möchte durch die Form doch auch zum Lesen verführt werden, und dann zum Weiterlesen. Und zum Verschenken. Es gibt derzeit eine Content-Seligkeit, ja. Aber niemand (zumindest in Europa) leidet an einem Mangel an „Content“, und jeder leidet an einem Mangel an Kontemplation. Genau diese Kostbarkeit aber wird durch das gedruckte Buch viel besser geboten als durch E-Reader, bei deren meisten unter der Oberfläche immer die Zeitverschwendungsmaschine „Internet“ lauert. Und dass man nun nicht mehr zwei Bücher auf die Reise mitnimmt (und sie dann auch liest), sondern 17.000 Bücher (und in ihnen rumblättert), ist nur in Ausnahmefällen ein Vorteil.

Sagen wir es platt: Typographie kostet Zeit und Geld. Will man nicht beides gerade mit dem Medium E-Book einsparen?

Ich fürchte, Verlage bringen E-Books raus, weil andere Verlage auch E-Books rausbringen, und man möchte ja nichts verpassen. Wo das hinführt, hat die Musikindustrie vorgeführt; viele Verlage schicken sich an, diese Fehler zu wiederholen. Typographie ist Dienst am Leser, Ausweis von Sorgfalt und Liebe zur Sache, Bewahrung von Bewährtem. Unwahrscheinlich, dass das eingespart wird, ohne dass man gleich sein ganzes Geschäftsmodell mit einspart.

Haben Sie eigentlich schon einen E-Reader?

Nein. Natürlich habe ich verschiedene in der Hand gehabt, aber da diese Produkte kein Problem lösen würden, das ich habe, aber ein paar neue schaffen, will ich auch keinen haben: wieder so ein Ding mit Akku und Netzteil; wieder etwas, was technisch veraltet; die Gefahr, größere Mengen Bücher auf einmal in der Eisenbahn liegenzulassen bzw. in die Badewanne fallenzulassen (oder aber hinzunehmen, dass ich die Bücher nicht einmal mehr als Datei besitze, sondern nur noch als Zugriffsrecht); Ablenkung statt Kontemplation.

Schaut man sich auf dem Markt um, findet man jede Menge Grusel-Typographie, Klebebindung, zu deren Bewältigung Besuche im Fitness-Studio anzuraten sind, Einbände, die das Buch nach dem ersten Aufschlagen schon als sehr benutzt aussehen lassen – wird da Sparmentalität der Verlage nicht zur Leserabschreckung?

Das ist keine neue Entwicklung, sondern eine, die mindestens 40 Jahre alt ist. Zu dem, was ich als „Buch“ liebe, gehört auch das Versprechen der Haltbarkeit. Da ist der Sündenfall die Klebebindung: Praktisch alle fest eingebundenen Bücher („Hardcover“) sind inzwischen klebegebunden. Das merkt nur der kundige Leser; jeder andere muss denken, ein „Buch“ zu kaufen, wo er doch nur Talmi kauft. Der Mehrpreis für Fadenheftung ist ca. 1 Cent pro 16seitigem Bogen, also 20 Cent für ein 320-Seiten-Buch. Diese Lächerlichkeit einzusparen ist unverzeihlich, wie ich finde. Wenn dann noch Heißkleber („Hotmelt“) hinzukommt, das Buch sich von Anfang an schlecht aufschlägt und nach wenigen Jahren am Rücken bricht, ist das Elend komplett. Dennoch wird ein solches Ding als wertiger empfunden als eine fadengeheftete, mit Kaltleim („Dispersionsleim“) verarbeitete Broschur. Ich sehe in der Konkurrenz der E-Books die Chance, dass gute und ehrliche Herstellung erstmals ein Thema wird.

Sie haben Reclams Universal-Bibliothek neu gestaltet, und der Verlag hat dazu ein Büchlein über die Geschichte der ältesten Taschenbuchreihe sowie über den Relaunch gemacht. Sie sind in diesem Buch mit einem Beitrag zur Neugestaltung vertreten. Können Sie in drei/vier Sätzen zusammenfassen, worum es Ihnen bei dem Relaunch hauptsächlich ging?

Es gibt Reihen, an denen man kaum etwas ändern sollte, etwa die Insel-Bücherei. Und es gibt Reihen, die regelmäßig aufgefrischt werden, etwa die UB. Seit 100 Jahren gibt es einen gestalterischen Erneuerungs-Zyklus in zwanzig-Jahres-Schritten (vielleicht ist das ein Hinweis darauf, daß Graphik-Design in solchen Schritten veraltet?). Die Vorgänger-Gestaltung (zufällig von meinem sehr verehrten Lehrer Hans Peter Willberg) fing an, alt zu werden, und da ich die Reihe schon immer sehr liebe, wollte ich sie gerne frisch halten. Das Büchlein „Die Welt in Gelb“ kriegt man übrigens vom Verlag geschenkt.

Reclam-Relaunch und die erste Druckfassung von Arno Schmidts „Zettels Traum“ – ist ein größerer Spagat denkbar?

Ich empfinde diese beiden Aufträge nicht als gegensätzlich. In beiden Fällen ging es darum, für Bücher die richtige Form zu finden, nämlich die richtige Zuordnung zum jeweiligen Buchtypus (hier Belletristik im Großformat, dort Texte aller Art im Kleinformat), gute Detailtypographie und adäquate Herstellung. In beiden Fällen konnte ich mich ganz von der Liebe zur Sache leiten lassen, in beiden Fällen gab es keine herablassenden „Zielgruppen“-Überlegungen: Alle Beteiligten – Verleger, Herausgeber, Werbeleiter, Gestalter – haben sich die Leser als sich selbst ähnlich vorgestellt. Zu beiden Ergebnissen kann ich sehr gut stehen.

Typographie als „Schmiermittel“ für den Leser: Die Hauptaufgabe ist dabei ja eine dienende – nämlich einen Text so aufzubereiten, dass der Leser ihn ohne Mühe erfassen kann. Wieviel Kunst ist dabei, wieviel Handwerk?

Vorab: Ich stimme weder denjenigen zu, die Gestaltung für Kunst, noch denen, die sie gar für Forschung halten (und auch die gibt es). Ich stimme der Fragestellung zu: Die Hauptaufgabe ist eine dienende. Wenn man das aber zu banal auffasst, dann spräche nichts dagegen, für die zehn, zwölf Buchtypen, die es so gibt (Literatur, Nachschlagewerk, Sachbuch, Reiseführer, Lyrik etc.) jeweils eine maximal mühelos erfassbare Normform zu entwickeln und sich anderen Aufgaben zuzuwenden. Buchgestaltung ist aber, nach Finden der vernünftigen und eigentlich unausweichlichen Formen für das jeweilige Buchprojekt auch ein – oft subtiles – Mehr: die Individualisierung der Gestaltung. Es kann durchaus passieren (oder ist es gar der Normalfall?), dass damit wiederum das Lesen ein bisschen schwieriger wird, als es in jener optimierten Normform wäre, dass sich Gestalter, Auftraggeber und Leser aber einig sind, dass das ein Gewinn ist. Immerhin interessieren sich kluge Leute seit Jahrhunderten für diese subtilen Differenzen – und nicht nur Leute, die sich „bibliophil“ nennen. Zum Ausloten dieser Differenzen braucht man ästhetisches Gespür (also doch bisschen was Künstlerisches?) und historische Kenntnis (also doch bisschen Forschung?), es bleibt aber ein Handwerk; Buchgestaltung ist ein Erfahrungsfach, und niemand, der mir zwei Wochen lang über die Schulter blickte, würde Kunst oder Forschung sehen.

Gemeinsam mit Hans Peter Willberg haben Sie die Typografen-Bibel „Lesetypografie“ erarbeitet. Wie oft wird dagegen gesündigt? Und: Was sind für Sie die schlimmsten Sünden?

Ich freue mich, wie gut sich die Buchgestaltung in den Jahrzehnten entwickelt hat, in denen ich dabei bin. Der Beitrag, den „Lesetypografie“ oder auch „Detailtypografie“ (mit Ralf de Jong) dazu geleistet hat, ist unmöglich zu dimensionieren. Herstellung ist das viel größere Problem: Die beste Typographie ist, wenn sich das Buch gut aufschlägt (ohne kaputtzugehen).

Als ich den jüngsten Band „Die schönsten deutschen Bücher 2012“ von der Stiftung Buchkunst erhielt, war ich, gelinde gesagt, erstaunt: Die Einleitung in zartgrüner Winzschrift auf einem Dünndruckpapier mit höchster Opazität: Ohne Brille ist man da verloren…

Erstens lieben junge Gestalter kleine Schrift (seit ich mir voriges Jahr, mit 46, eine Lesebrille anmessen lassen musste, bin ich aus diesem Wettbewerb ausgestiegen). Zweitens sind diese Bücher, auch in der fröhlichen internationalen Kompetition – denn den Wettbewerb gibt es ja weltweit in vielen Ländern – eine Spielwiese für Experimente und Extreme. Es muss auch Ecken geben, in denen weit außerhalb des Vernüftigen agiert werden darf. Dann setzt man die Brille halt auf?

Sie sind Haus-Typograph des Weidle-Verlags und haben für zahlreiche Weidle-Bücher auch internationale Auszeichnungen bekommen. Lassen inzwischen kleine Verlage den Buchkünstlern mehr freie Hand als die großen?

Bei Weidle, dem kleinen Verlag, ist meine Hand nicht freier als bei der Arbeit für den großen Reclam Verlag. Es kommt weiterhin darauf an, wie das Selbstverständnis der verantwortlichen Leute aussieht und wieviel Freude dieselben an Buchgestaltung haben. Die Korrelierung von Buchgestaltung und Verkaufserfolgen ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, schwierig bis unmöglich – so liegt es oft nahe, sich den Aufwand zu sparen. Andererseits ist gute Buchgestaltung immer auch für unsere Branche gut: für eine Branche, die doch nach wie vor viel eher von der Liebe zur Sache getrieben wird als von der Gier nach dem schnöden Mammon.

Oft ist zu beobachten: Steigt ein großer Verlag in Zeiten grellbunter Cover auf eine verhaltene Schriftlösung um, gibt es im nächsten Halbjahr sofort Nachahmer. Herrscht in der Branche mehr Ideenklau als Kreativität?

(Wir sagen nicht „Ideenklau“, wir sagen „Hommage“.) Natürlich gibt es Moden, und es ist immer schwer zu sagen, wer oder was sie eigentlich ausgelöst hat. Das Einzel-Genie? Kaum. Der einzelne Gestalter bringt höchstens eine vorhandene Stimmung präzise auf den Punkt. Auch für schöne und hochauratische Gestaltungen wie etwa die der „Bibliothek Suhrkamp“ des großen Willy Fleckhaus gibt es Vorgänger, in diesem Falle die „kleine russische Bibliothek im Verlag Heinrich Ellermann“ des großen Richard von Sichowsky. Odo Marquards Wort „wir alle knüpfen nur an“ gilt besonders für Buchgestalter. – Wenn „verhaltene Schriftlösungen“ viele Nachahmer finden, freut mich das übrigens immer.

Ich glaube trotz allem daran, dass ein Bedürfnis nach schön gemachten Büchern besteht. Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Markt entwickeln: Hier graphisch bedürfnislose Content-Freaks, da sensible Buch-Gourmets?

Einige sehen das als Hoffnung: Dass das gedruckte Buch nicht stirbt, sondern in, wie Sie richtig schreiben, „Gourmet“-Ecken überlebt. Ich hoffe sehr, dass es dazu nicht kommt. Ich habe mir, wie gesagt, die Leser der Bücher, die ich gestalte, immer als mir ähnlich gedacht. Ich gestalte jedes Buch und jede Reihe so, wie ich es oder sie am allerschönsten und besitzwunscherweckendsten finde, ob es nun ein Aufwands-Gigant wie „Zettel’s Traum“ ist, die herrlich-bescheidene „Universal-Bibliothek“ oder „Rocking Horse Road“ (Weidle), ob es die historisch-kritische Walter-Benjamin-Ausgabe (Suhrkamp) ist oder die erste Kassette der Beneke-Tagebücher (Wallstein): All diese Bücher bringen, weil sie echte Bücher sind, das Versprechen der Dauerhaftigkeit mit (versus Vernichtbarkeit durch technische Veraltung, Gleichgültigkeit oder Diktaturen in jedem Gewand), sie bringen die Möglichkeit zur Kontemplation mit (versus Zappen und Scrollen), sie bringen die Möglichkeit des anonymen Lesens, Besitzens und Verschenkens mit (versus Schulterblick und Auf-dem-Content-Hocken durch Datenkraken wie Amazon, Apple & Co.) und sie sind schönste Wandzier des Bildungsbürgers (und beides möchte ich sein: gebildet und Bürger). Ich kann und will mir eine Welt, in der echte Bücher nur noch Pralinenschachteln sind, nicht vorstellen. Der Markt, das sind wir: Kaufen wir also echte, gut gemachte Bücher und keinen Content-Schwindel, und nicht bei Amazon, sondern in Buchhandlungen.

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