Das Sonntagsgespräch Jochen Schimmang: Wie wir so durch die Jahre schlidderten und was uns dabei zustieß

Jochen Schimmang
Foto: Teja Sauer

60 Jahre Bundesrepublik Deutschland – und gerade eben ist bei der Edition Nautilus ein Roman erschienen, der sich genau mit diesem Thema beschäftigt: Das Beste, was wir hatten von Jochen Schimmang. Ulrich Faure sprach mit dem Autor über sein neuestes Werk.

Ulrich Faure: Jetzt so ein Buch über die Bundesrepublik, sind Sie da nicht ein wenig auf die zu erwartende Erinnerungs- und Abfeierwelle aufgesprungen?

Jochen Schimmang: Könnte man schon denken, ja, stimmt aber trotzdem nicht. Ich habe mit dem Roman im Januar 2005 begonnen, und er sollte eigentlich auch schon – in einem anderen Verlag – im Herbst 2008 erscheinen. Das wäre dann ein Jahr zu früh gewesen, denn 2008 war ja „40 Jahre 68“ dran. Dass es nun so gut hinkommt, ist reiner Zufall und hängt mit den üblichen Turbulenzen und Verzögerungen zusammen, die es im Verlagswesen so gibt. Das kennen Sie ja.

Ulrich Faure: Wie ist Ihr Buch dann entstanden? Aus welchen Anlässen, Inspirationen heraus? War es ein Anschreiben gegen bestimmte Entwicklungen?

Jochen Schimmang: Ich glaube ja, dass Literatur unter anderem die Aufgabe hat, Untergehendes, Untergegangenes, Verschwindendes und Verschwundenes zu retten, aufzubewahren. Als Leser haben wir das ja auch gern, und ich meine damit nicht den klassischen „historischen Roman“. Denken Sie etwa an Musils wunderbaren Nachruf auf „Kakanien“, „Mann ohne Eigenschaften“, erster Teil, Kapitel 8. Literatur braucht Abstand, zeitgleich wird sie meistens zu einem Journalismus, der immer schlechter ist als der professionelle Journalismus. In den 1970er Jahren gab es einmal in der Reihe rororo aktuell einen Titel – keine Belletristik – von Peter Mosler,“ Was wir wollten, was wir wurden“. Das war so ein bisschen mein Ansatz. Ich könnte es auch weniger zupackend formulieren: „Wie wir so durch die Jahre schlidderten und was uns dabei zustieß.“

Ulrich Faure: Ein Roman über die achtziger Jahre und ihr Ende – spielt da nicht auch ein bisschen Nostalgie mit hinein?

Jochen Schimmang: Siehe eben: die Sache mit dem Abstand. Darüber hinaus aber ist das insofern spannend, weil eben in diesen 80er Jahren – etwa ab der 2. Hälfte, ab Boris Beckers Wimbledonsieg – die Bundesrepublik glaubte, endlich bei sich selbst angekommen zu sein. Natürlich war das ein Irrtum, weil man nie ankommt. Angekommen ist man, wenn man tot ist.

Ulrich Faure: Warum sind Sie mit so einem Roman in einem doch deutlich politisch linken Verlag wie der Edition Nautilus gelandet?

Jochen Schimmang: Darauf gibt es drei Antworten.

Erstens die Fakten: Ein Vertreter des Verlages, den ich seit etwa zwanzig Jahre kenne, kannte das Manuskript, hat die Verleger ziemlich kommentarlos gebeten, es zu lesen. Das haben die getan und dann gesagt: Das machen wir. Das hat gerade mal drei oder vier Wochen gedauert.

Zweitens zum Verlag: Man übersieht vielleicht (kann’s an diesem Buch aber vielleicht wieder deutlicher spüren), dass ich auch „deutlich politisch links“ geblieben bin. Das aber nur als Marginalie. Nautilus ist immer auch ein explizit literarischer Verlag gewesen, mit einem literarischen Gespür, das sich nie um die „korrekte Linie“ geschert, sondern vor allem an literarischer Qualität orientiert hat. Deshalb möchte ich dort auch bleiben und habe das gleich in meinem ersten Gespräch mit Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt im Sommer letzten Jahres gesagt. Schauen Sie sich mal andere Titel des Verlages an, Maurizio Maggiani etwa oder Gail Jones, oder jetzt den schrillen Salvador Plascencia. Oder gucken Sie mal in „Die Aktion“ und lesen u. a. die Texte von Anna Rheinsberg. Dann sehen Sie, dass gerade in diesem Verlag das literarische Spektrum ziemlich breit ist. Es ist jedenfalls kein „anarchistischer Realismus“, kann es auch nicht sein, der müsste erst noch erfunden werden. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich Hanna und Lutz beim nächsten Mal etwas völlig anderes, völlig Verrücktes anbieten kann, wenn ich will. Ich muss jetzt nicht unbedingt die Fortsetzung von „Das Beste, was wir hatten“ schreiben.

Drittens: Danke fürs sorgfältige und sensible Lektorat!

Ulrich Faure: Gregor und Leo, die Hauptfiguren von „Das Beste, was wir hatten“, sind ja nicht nur reine Sympathieträger. Wie sind diese Figuren entstanden? Wie stehen Sie als Autor zu ihnen und zu ihrer Entwicklung?

Jochen Schimmang: Aber Sympathieträger sind sie schon, und zwar allein deshalb, weil sie nicht wissen, was richtig ist und was man tun muss und weil sie auch anderen das nicht sagen wollen. Ihr geheimes Motto ist eher Benjamins lakonischer Satz aus der „Einbahnstraße“: „Überzeugen ist unfruchtbar.“ Wie sie entstanden sind? Vielleicht habe ich mich selbst (und einige andere) da auf mehrere Personen verteilt, auch auf Carl Schelling übrigens, auch auf Anita. Als Autor gilt meine Sympathie prinzipiell allen meinen Figuren, selbst den abstoßenden. Gregor und Leo sind aber nicht abstoßend, denke ich. Was ihre Entwicklung angeht: sie ist am Ende des Romans ja nicht abgeschlossen, vor allem die von Gregor nicht. Von dem hören wir vielleicht noch mal.

Ulrich Faure: Gegen den allerorten aufschäumenden Nationalismus nach 1989 plant Carl Schelling Anschläge auf Germania-Statuen in Deutschland, wird in einem Schauprozess, so kann man fast sagen, verhaftet und von seinen Freunden aus dem Gefängnis befreit, er bekommt eine ganz neue Identität. Was soll so eine Geschichte dem Leser sagen in Zeiten wie diesen?

Jochen Schimmang: Das Ganze bleibt in gewisser Hinsicht auf einer durchaus spielerischen Ebene. Damit meine ich erst einmal, dass niemand ums Leben kommt. Dafür bekommt einer die Möglichkeit eines neuen Lebens: er kann versuchen, aus seiner Haut zu schlüpfen. „Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch Möglichkeitssinn geben.“

„In Zeiten wie diesen“ wäre es mir ein bisschen zu wenig zu feiern, wie herrlich weit wir gekommen sind. So toll ist die Berliner Republik bisher doch gar nicht gewesen. Wir hatten das Sonnenkönigsgespann Schröder/Fischer, an dessen Hof sich manche Autoren ja gern gewärmt haben, und nun haben wir das Ende der wundersamen Geldvermehrung (und wenn man dran geglaubt hat, den Kater darüber). Vor allem haben wir zunehmend den gläsernen Menschen, die allseits erfasste Persönlichkeit. Carls Geschichte ist ein Gegenentwurf: er kommt davon. Er schlüpft durch. Viel Glück weiterhin.

Ulrich Faure: Was ist denn für Sie persönlich die BRD (gewesen)?

Jochen Schimmang: Mein Biotop. Ich bin ziemlich exakt genau so alt wie die BRD.

Ulrich Faure: Was, meinen Sie, war charakteristisch für jene BRD, die 1989 zu verschwinden begann? Und was würden Sie heute als charakteristisch sehen? Immerhin: Von der BRD sprechen wir ja schließlich heute noch…

Jochen Schimmang: Die „alte“ BRD zeichnete sich durch eine – auch weltpolitisch erzwungene – gewisse Bescheidenheit aus, die sich bis in die Architektur des Bonner Regierungsviertels hinein ausgedrückt hat. Bei der „neuen“ vermisse ich eben das.

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