Ruth Schweikert wird neue Stadtschreiberin von Bergen

Dea Loher, Charlotte Brombach, Adrienne Schneider,
Renate Müller-Friese, Ulrich Sonnenschein

Gestern Abend trafen sich in der Nikolauskapelle des Frankfurter Stadtteils Bergen-Enkheim Vortragende und Zuhörer zur Ammes-Schneider-Lesung in Erinnerung an die 2007 verstorbene Annemarie Schneider, Frau von Franz Josef Schneider, Begründer des Stadtscheiber-Preises.

Joachim Netz von der Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim begrüßte die Gäste auch im Namen der Stadtschreiberjury und wies darauf hin, dass Ammes Schneider „ein großes Herz für die Stadtscheiberei“ hatte und diese Lesung ihr zu Ehren veranstaltet werde.

Außerdem teilte Netz mit, dass der Lesekreis Stadtschreiber von Bergen, ein Kurs der Volkshochschule Frankfurt, unter der Leitung von Burghard Schlicht fortgeführt werde und stellte den neuen Dozenten vor.

Adrienne Schneider, Tochter des Preisgründers, die das Werk der Eltern fortsetzt, eröffnete die Lesung der fünf Jurymitglieder (insgesamt sind es neun) mit einem Auszug aus dem von ihr herausgegebenen Buch Mit freundlichen Grüßen von Peter Bichsel, erschienen als Insel-Taschenbuch im Suhrkamp Verlag Berlin Ende 2014.
Peter Bichsel war 1981/82 Stadtschreiber von Bergen.
In der Geschichte geht es um Burgel Zeeh, die langjährige, 2009 verstorbene Sekretärin von Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld [mehr…]. Ihr großartiger Umgang mit der Eitelkeit der Autoren, ihre Liebenswürdigkeit und Bescheidenheit werden in der Erzählung deutlich. „Sie weiß alles, oft besser als ich“, sagte Unseld über die Frau, die weit mehr als die Dame im Vorzimmer des Verlegers war.
Bichsel lernte während der legendären Messefrühstücke im Verlagssitz in der Unterlindau in Frankfurt auch den Buchhändler Alfred Strohmaier, Inhaber der Buch- und Kunsthandlung Atlantis in Regensburg, kennen und schätzen.

Die gegenwärtige Stadtschreiberin Dea Loher las Passagen aus Der Nußbaum gegenüber vom Laden in dem du dein Brot kaufst von Peter Kurzeck, Stadtschreiber 2000/01. Der Debütroman erschien 1979 im Stroemfeld Verlag Frankfurt. Die Geschichte handelt von der ersten Liebe, von den Lebensumständen Ende der 1950er Jahre. Kurzeck beschreibt Häuser, Menschen, Eigenarten und Begebenheiten auf seine ganz besondere Art und Weise, stets allem auf der Spur und darauf versessen, nichts zu vergessen.

Jurymitglied Charlotte Brombach hatte sich für Josef Winklers Roppongi: Requiem für einen Vater entschieden. Die Novelle wurde 2007 bei Suhrkamp veröffentlicht. Winkler hatte das Stadtschreiberamt 1994/95 inne. Es wird erzählt, wie er sich auf seine erste Indienreise vorbereitete, im Berliner Tropeninstitut anrief und nach notwendigen Impfungen fragte. Die Dame am Telefon wollte zunächst wissen: „Reisen Sie rustikal?“

Ulrich Sonnenschein begeisterte die Zuhörer mit einer Reihe von Gernhardt-Gedichten, Robert Gernhardt war 1991/92 Stadtschreiber und verfasste unter anderem die wunderbare Ballade vom Berger Fratzenstein und seinen fatalen Folgen, in der es Gernhardt versteht, alle vorangegangen Stadtschreiber einzubauen.

Ortsvorsteherin Renate Müller-Friese verriet schließlich, wen die Jury als neuen Stadtschreiber ausgewählt hat: die Schweizer Autorin Ruth Schweikert, 1965 in Lörrach geboren und in Aarau aufgewachsen. Sie absolvierte eine Theaterausbildung in Deutschland, brach ein Germanistikstudium ab, erhielt 1994 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Weitere Auszeichnungen folgten. Von ihr liegen seit 1994 mehrere Publikationen vor, Müller-Friese las aus dem Vorwort zu Augen zu, die erste Auflage dieses Roman erschien 1998 im Ammann Verlag Zürich.

In der Begründung der Jury heißt es: „Ruth Schweikert, eine Meisterin der Satzrhythmen, erzählt von Verhältnis und Verhängnis. In Bildern jäher Nähe, mit schonungslosem Blick auf das alltägliche Leben geht sie Verwerfungen der Liebe und folgenreichen Entscheidungen nach. Bereits in ihrer frühen Prosa ist ein unverkennbarer Ton: hell, fluid und gemessen zugleich. Schweikert vermag in allen Altern zu erzählen … Mit großer Umsicht und in zwingenden Satzfolgen vermisst sie Familienkosmen, Linien und Verbandelungen, spiegelt Epochen in Episoden, verfolgt Muster der Übertragung … Schweikerts Sprache zieht in den Bann. In den Lücken, die sie lässt, bleiben Raum und Rätsel.“

Zum Abschluss der Lesung stellte Joachim Netz den Buchhändler Günter Krause-Friebertshäuser vor. Er ist Inhaber von Bücher vor Ort im benachbarten Fechenheim und wird, da Monika Steinkopf ihr Geschäft aufgab [mehr…], die Veranstaltungen in Bergen-Enkheim mit Büchertischen begleiten – den ersten hatte er an diesem Abend im Foyer der Nikolauskapelle aufgestellt. en

JF

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