Autoren Sigi Ressel im Gespräch mit Handke-Regisseurin Corinna Belz

Siegfried Ressel, ehemaliger Buchhändler und heute Dokumentarfilmer, hat sich den derzeit in vielen Programmkinos laufenden Film „Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte“ angesehen und sieht darin Potenzial für buchhändlerische Aktionen. Sein Interview mit Regisseurin Corinna Belz finden Sie im Anschluss.

„Bevor ich beginne über diesen so schönen Film zu schreiben gleich vorab: gehen Sie ins Kino, laden Sie Ihre Kundinnen und Kunden ein, sich mit Ihnen gemeinsam diesen Film anzuschauen, machen Sie womöglich einen Deal mit Ihrem örtlichen Kinobetreiber für eine gemeinsame Veranstaltung, in welcher der Film gezeigt wird und ein bißchen geredet und nachgedacht wird über einen der ganz großen deutschsprachigen Dichter. Seien Sie begeistert von Peter Handke und lassen Sie sich von einem ganz seltenen Glücksfall mitreißen: von einem langen poetischen Film über einen Schriftsteller, dem wir so großartige Bücher wie Der kurze Brief zum langen Abschied, Über die Dörfer oder Mein Jahr in der Niemandsbucht (um nur drei von ca. 90 Titeln zu nennen) zu verdanken haben. Wann kommt es schon mal vor, dass ein Dichter, ein lebender Autor Subjekt eines langen Films ist? Dass sich in ihm eine Persönlichkeit allmählich entfaltet; man sie begreift und mögen lernt? Dass ein Film die Poesie dieses Dichters aufnimmt, sich dessen Rhythmus aussetzt, ihm gleich zu kommen vermag ohne Promi-Devotheit, ohne Schnickschnack und Sahnesauce? Wann gibt‘s das schon? Im Fernsehen alle Jahre mal. Im Kino so gut wie gar nicht. Peter Handke begleitet als Autor mein eigens Leseleben seit gut vierzig Jahren. ‚Texte sollten sein wie ein Rolling Stones-Song‘, schrieb er sinngemäß seinem Verleger Siegfried Unseld. Und Handke sah mit seinen Jeans und den langen Haaren irgendwie auch aus wie ein Rolling Stone – zu Zeiten als etablierte Autoren wie Günter Grass Staatssekretären gleich in Schlips und Kragen auftraten und bedeutungsschwer an Tabakspfeifen nuckelten. Diese Handke-Coolness … ich fand sie immer Wahnsinn. Und seine Bücher habe ich immer als eine Unterströmung dieser Coolness begriffen/gelesen. Und um im Bild zu bleiben: Irgendwer schrieb mal, worum geht‘s eigentlich bei Stones-Konzerten? Um Musikhören? Um den Vergleich zwischen Studio und Live zu diskutieren? Alles Quatsch. Das Tolle ist doch, ein paar Stunden gemeinsam mit Mick Jagger und Keith Richards zu verbringen. Und ganz ähnlich ist es auch bei Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte. Worum geht‘s? Unter anderem darum, sich von ihm, Peter Handke, durch einen wunderbaren Film eineinhalb gemeinsame Stunden Zeit schenken zu lassen. So simpel und so zauberhaft kann Kino, kann Dokumentarfilm funktionieren.

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Durch die Regisseurin Corinna Belz entwickelt sich der Film gleich der allmählichen Entstehung eines Polaroid-Fotos, und das ist buchstäblich gemeint: Immer wieder erscheinen Polaroids von Handke, mal ist er selbst drauf, mal eine Landschaft, mal seine Tochter und so weiter. Wie Kapitelüberschriften weisen uns diese Fotos mit ihren zauberhaften Farben auf die poetisch wie konkret durchlebte Zeit des mittlerweile über Siebzigjährigen. Dazu Belz` eigene Kamerabilder, die sich durch Handkes Pariser Vororthaus tasten, den Dichter in den Garten begleiten; ein Auf- und Ab, das zur Ruhe kommt, wenn Handke auf dem Sofa liegt, ganz in Schwarz, ein mittlerweile gealterter Rolling Stone, und aus seinen Büchern liest, die Stimme etwas brüchig und bisweilen richtig angefaßt vom Geschrieben. In diesen Film-Momenten wird die Sprache von Handke ganz präsent und ganz sichtbar. Sichtbar im Tatsächlichen durch das Einblenden von Textpassagen durch eingeblendete Titel oder animierte Tagebuchseiten. Ganz selbstverständlich und fluide wird so Literatur zu Film.

‚Ich weiß nicht, was meine Rolle ist … ich bestehe auf meiner Rolle. Ich bestehe darauf, dass ich der bin, der das macht. Aber ich weiß nicht, wie man das realisiert, ich weiß es nicht.‘ Mit dieser Skepsis sich selbst gegenüber empfängt uns –via Film– Peter Handke spätabends. Um viele Filmminuten später eine Antwort – im eigenen Text (Über die Dörfer) lesend – zu finden: ‚Bei Sturm rennt er in den Wald und hockt sich in die Wurzelmulden einer Fichte, als Hörer des Wipfelsausens. Er ist der Arbeitsscheue und der Arbeitswütige. Er ist der Wehleidige und der Schmerzverbeißer. Er ist der stumme Mitfühlende und der scheppernde Auslacher. Er ist die Freude und der Kummer seiner Eltern. Er ist der, der das Fragen versäumt, und der, der das Fragen nachholt. Er ist unser Anrainer und unser Mann in Übersee.‘

Leicht könnte ein solcher Film in Ehrfurcht erstarren, sich einschüchtern lassen von dem Mann aus Übersee. Aber das ist nicht passiert. Genau wie in ihrem Portrait über Gerhard Richter behauptet Corinna Belz für sich eine kalkulierte und deshalb auch immer wieder entwaffnende Unbekümmertheit, die beispielsweise Bildungshuberei von vornherein ausschließt. Hier wird nicht Intellektualität durchdekliniert. Mit Neugier und nicht mit Vorgefasstheit begegnet Belz` Handke und auf diese Art gelingt es ihr sogar, das „schwierige“ Lebenskapitel Jugoslawien zu öffnen ohne dabei Rechtfertigungsdruck zu entwickeln.

Mitten im Film kommt dann die Belz-Frage: ‚Ist Ihnen das Schreiben leicht gefallen?‘ Handke: ‚Ah nein, nein, nein. Das war ja alles tabu.‘

Belz: ‚Wieso war es tabu?‘

Handke: ‚Ja, schreiben ist nicht normal. Schreiben ist ein Tabubruch. Das darf man nicht. Irgendwas ist in einem, das sagt, dass man nicht schreiben darf. Das darf man nicht aufschreiben. Du kannst tanzen gehen, du kannst Maultrommel spielen, (…) du kannst Holz hacken, du kannst Ähren lesen, du kannst die Gaben binden; das gibt es ja heute alles nicht mehr. Du kannst die Kühe auf die Weide bringen, sie hüten, sie nach Hause bringen. Schreiben war nicht normal, einfach nicht normal, so in dem Sinne. Der spinnt. Man spürt das ja auch. Spürt man auch heute noch. In jedem Zeug, was ich schreib, spürt man die Schwelle. Dass die Schwelle erst den Rhythmus gibt. Es ist nicht vorhanden als Methode, als Mache, oder als System.‘

Handke dann doch in seiner Rolle als sensibler Weltbetrachter, der die äußeren Bilder durch sein ständig präsentes ICH filtert. Jenes Handke-ICH seiner Bücher – gespiegelt in einem Film, der nicht den Anspruch erhebt, diesem ICH auf die Pelle zu rücken, sondern viel mehr: uns mit dem Dichter Peter Handke gemeinsam Zeit verbringen lässt. Voilà!“

 

Fünf Fragen an Corinna Belz

Nach Ihrem so erfolgreichen Film „Gerhard Richter – Painting“ haben Sie sich einer zweiten Ikone des deutschsprachigen Kulturbetriebs zugewendet, nämlich Peter Handke. Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen:

Corinna Belz: Ich habe eigentlich schon immer Handke gelesen und als ich dann den Richter-Film beendet hatte, da hab ich gedacht, das wäre eine ganz neue Situation, wenn man einen Film über Sprache und Literatur macht. Und vor allem die Frage, kann man überhaupt einen Film machen, der dann auf der Leinwand von Sprache handelt? Und weil ich ja gerne einen ganzen Film ausschließlich einer Person widme, bin ich dann auf Handke gekommen. Ich hab damals dieses sehr geschichtszugewandte Stück Immer noch Sturm, was von seiner Familie handelt, gesehen und da nahm diese Idee Gestalt an, das war der Ausgangspunkt. Ich habe ihm geschrieben und ihn ein paarmal besucht und ja, dann ging das los. Er war schon interessiert, aber er war kritisch insofern, „Wie wollen Sie das überhaupt drehen, wie soll denn Sprache im Film erscheinen?“ Man kann das Schreiben nicht so drehen, wie man das Malen eines Bildes. Darüber hatte ich natürlich nachgedacht, das war mir schon klar, dass man das nicht so machen kann. Aber ich gehe gerne einfach mal los und denke mir, die Lösungen, die finde ich auf dem Weg. Und man kann davon ausgehen, dass man über die Realität der Personen gar nicht so viel weiß. Auch wenn man alle Interviews gelesen hat, weiß man trotzdem über den Schaffensprozess wenig. Das ist meine Auffassung, wenn man dort hinkommt, an den Ort kommt, die Menschen trifft, dann muss man erstmal seine Erwartungen komplett ablegen, sonst ist alles so vollgemüllt mit Erwartungen und das verstellt die Wahrnehmung. Was sehe ich denn jetzt hier wirklich? Was finde ich vor? Und zu 90 Prozent ist das, was man vorfindet, doch immer anders als das, was man sich vorgestellt hat.

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„Man kann ja das Schreiben nicht so drehen wie man das Malen eines Bildes drehen kann“: Corinna Belz im Gespräch mit Peter Handke

Peter Handke ist ein nicht unumstrittener Schriftsteller. Seine Texte aus den 1990er Jahren zum Zerfall Jugoslawiens haben nicht nur zu Kontroversen sondern zu regelrechten Hass-Kampagnen gegen ihn geführt. Haben Sie während ihrer Arbeit am Film davon noch etwas spüren können?

Ich hatte einen jungen Praktikanten im Schneideraum, so Ende 20, der Germanistik studierte und der sagte, seine Kommilitonen hätten gefragt, „ach, ist das der Serbien-Handke?“. Und das ist natürlich ein Rest von diesem negativen Hype. Man muss sich ja  klar machen, dass das über 20 Jahre ging. Wenn man sich jetzt überlegt, dass das bei jeder Gelegenheit immer wieder hochkochte und so negativ besetzt war, das hat die ganze Rezeption des Werks einseitig beeinflusst. Das war auch, was ich bei diesem Film im Hinterkopf hatte: Handke hat um die 90 Bücher veröffentlicht und die Texte zu Jugoslawien umfassen nicht mal ein Zehntel seines Werks! Und ich wünsche mir, dass sich dieses Werk gegenüber diesem einzelnen Thema behauptet, weil ich denke, dass das Werk so eine hohe und schöne Qualität hat in der Erfindung und Neuerfindung der Sprache.

Den unbedingten Charme Ihrer Filme macht unter anderem aus, dass Sie bisweilen ganz einfache, ja fast naive Fragen stellen, die Ihr Gegenüber zuweilen aus der Fassung bringt …

Das ist für mich absolut notwendig, um die Sache zu erden und vor allen Dingen, um nicht schon in der Frage zuviel zu transportieren. Also, ich muss ja nicht zeigen, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe. Die mache ich sowieso. Ich will in den Fragen nichts beweisen. Ich will auch in den Fragen nicht zeigen, wie schlau ich bin und was ich alles gelesen hab. Und deshalb will ich mir das leisten können, solche einfachen Fragen zu stellen und ich bin der Meinung, dass man da auch schöne Antworten bekommt. Ich habe –so gesehen– den Anspruch Filme zu machen für Leute, die Handkes Texte schon kennen, als auch für jene, für die das alles noch völlig unbekannt ist. Und das transportieren solche einfachen Fragen. Es ist so, dass ich mich bemüht habe, dass das Ganze eine episodische Struktur bekommt, wo dann in der übernächsten Episode wieder Fragen aufgegriffen werden, die vorher schon gestellt worden sind. Also zum Beispiel, was ist Prosa, oder was ist Fiktion, oder wie soll man leben? Das sind ja alles Fragen, die immer wiederkehren durch den ganzen Film und das Wiederkehrende hält das dann hoffentlich zusammen. Das ist die Kunst im Schneideraum, auch die Kunst von Stephan Krumbiegel dem Cutter – wie wird das ganze Ding zusammengeschraubt, damit es nicht bei höherem Tempo aus der Kurve fliegt?

Man sieht Handke in Ihrem Film sehr „bei sich“, sehr in seiner eigenen, extrem individualistischen Welt zu Hause. Haben Sie den Eindruck, dass ihn der Leser seiner Bücher „dort draußen“ überhaupt noch interessiert?

Ich glaube, dass er immer für seine Leser schreibt, obwohl er jetzt nicht den Prototypen eines Lesers vor Augen hat. Er sagt ja im Film, er ist gegen das Storytelling. Er hat ganz entschieden versucht, sich von den Erwartungen unabhängig zu machen, wie hoch die Auflage ist, oder ob das Buch ein Bestseller wird oder nicht. Er nennt das, was er macht rhythmisieren; er schreibt schon aus seiner Eigenbewegung heraus. Aber man darf nicht vergessen, er sagte auch, nicht die Schrift oder der Dichter ist das Herz der Welt, sondern der Leser. Und so schreibt er seine Texte für das Herz der Welt, für den Leser.

Gab es etwas, dass Sie während Ihrer Arbeit mit Peter Handke besonders überrascht hat, womit Sie nicht gerechnet hatten?

Diese Gastlichkeit habe ich nicht erwartet, das hat mich wirklich überrascht. Der Tisch bog sich manches Mal unter vielen Tellern mit feinen Gerichten, deren Zutaten zum Teil aus den Wäldern um Versailles stammten, und dann saß man, aß und trank Wein, bis wir schon fast vergessen hatten, weshalb wir eigentlich gekommen waren. „Vor allem aber hab Zeit und nimm Umwege.“

Die Fragen stellte Sigi Ressel

 

 

 

Kommentare (1)
  1. Sigi Ressel ist nicht nur selbst ein großer und wichtiger Dokumentarfilm-Autor, er kann auch – und das ist sehr selten – über die Filme anderer FilmemacherInnen präzise und gleichzeitig begeistert schreiben, wie jetzt über den Film von Corinna Belz. Das macht jetzt richtig Lust, den Film von Corinna Belz zu sehen. Und hoffentlich auch bald einen weiteren Film von Sigi Ressel.

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