Geheimnisse eines Agenten Teil 22 Thomas Montasser: Lizenz zum Töten

An dieser Stelle schreibt Literaturagent und Autor Thomas Montasser regelmäßig über Absonderlichkeiten des Literaturbetriebs.

Um es vorweg zu schicken: Die meisten Beteiligten auf der Arbeits- und Management-Ebene in diesem Thriller kenne und schätze ich persönlich. Alles nette Menschen, liebenswürdig, kultiviert, umgänglich. Von denen würde niemand auf die Idee verfallen, jemand anderem absichtlich die Lebensgrundlage zu entziehen oder gar eine ganze Branche in die Luft zu jagen. Und doch tun sie es. Gut, es ist eine schleichende Explosion, eine Art Slow Motion-Apokalypse. Macht es das besser?

Wow, was für eine Einstieg. Und alles nur wegen so einer harmlosen Mail:

Wir freuen uns sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass wir uns mit Audiodingsbums (Name v. d. Red. vorsorglich geänd.) auf die Verlängerung des Audiodingsbums Plus Streaming Angebots … geeinigt haben. Wie bisher bewährt gilt weiter: Audiodingsbums macht seinen Abonnent:innen für ausgewählte Backlisttitel für 12 Monate begrenzt ein Streaming Angebot. Dadurch wird das für uns Verlage so wichtige und umsatzstarke Download-Geschäftsmodell nochmals attraktiver aus Kundensicht.

Wir sehen an den Nutzungszahlen …, dass … die Aufnahme der Backlisttitel ins Programm ein toller Marketing-Uplift für die regulären Download-Verkaufzahlen der anderen Titel der Autor:innen ist … Das finden wir aus Marketingsicht sehr gelungen. So werden nicht nur neue Streaming Umsätze für die Titelauswahl generiert, auch die Folgebände … bekommen wieder Auftrieb im Download. 

Konditionell und abrechnungstechnisch ist Audiodingsbums spiegelbildlich zu etablierten Streaming-Kanälen: die gestreamten Alben werden von uns titelgenau … zu branchenüblichen Erlösen abgerechnet …

Klingt das nicht eigentlich super? Mehr Streaming, mehr Downloads, mehr Umsatz, mehr Auswahl, mehr Auftrieb. Toll ist es, bewährt ist es, gelungen ist es auch. Und dann wird es auch noch branchenüblich abgerechnet. Ähm, Moment. Was heißt denn „zu den branchenüblichen Erlösen“?, fragt der von Natur aus misstrauische Agent. Zum Glück gibt es stante pede Erhellendes! Die Kollegin antwortet nahezu in Lichtgeschwindigkeit:

Wir haben es so mit Audiodingsbums verhandelt, dass wir Reports bekommen, um eine nutzungsabhängige Vergütung an unsere Lizenzgeber weiterabrechnen zu können. Diese wird ungefähr der Vergütung auf den Musikplattformen wie spottbillig (Name aus durchsichtigen Gründen v. d. Red. geänd.) entsprechen. Die gestreamten Alben werden von uns titelgenau abgerechnet … Wir freuen uns weiter auf Audiodingsbums als Marketingmaßnahme zur Bewerbung der üblichen Audiodingsbums Download Kanäle, und darauf, dass eine solche Marketingmaßnahme wie oben erklärt vergütet wird.

Also: Reports sind gut für die Transparenz. Nutzungsabhängig ist nur fair. Titelgenau klingt sehr korrekt. Und eine Marketingmaßnahme ist es auch. Ich meine, hey, was will man mehr: Audiodingsbums macht praktisch Werbung für das Hörbuch, und wir bekommen sogar noch Geld dafür. Hm. Geld. Da war doch was …

Jetzt bin ich genauso schlau wie vorher. Und noch sehr viel skeptischer. Denn was die Streamer für die Musikbranche bedeuten, speziell für die Künstler, wissen wir alle. Mit dem nicht ganz unbedeutenden Unterschied, dass Autoren nicht auf Tour gehen und riesige Hallen füllen können, um dann eben in Gottes Namen durch Konzerterlöse ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Mal ganz einfach gesagt: Was bekommt der Autor für ein gestreamtes Hörbuch? In einer beliebigen Währung und in Zahlen ausgedrückt?

Zum Glück ist die Kollegin auch hier wahnsinnig kooperativ und lässt mich wissen:

Gerne beantworte ich Ihnen Ihre Frage: Der Autor bekommt für ein gestreamtes Hörbuch durchschnittlich 0,0208 €.

Ähm, hab ich was verpasst? € 0,0208 für ein ganzes Hörbuch? Vielleicht hab ich’s ja nur nicht richtig kapiert. Die liebe Kollegin scheint das schon mal vorweggenommen zu haben, weshalb sie mir noch dazu schreibt:

An der Abrechnung … sehen Sie auch, dass es dem Titel gut tun würde, im Audiodingsbums Streaming Programm eine Belebung der Absätze zu erfahren. Leider funktioniert das Thema im regulären Markt weniger gut als von uns erwartet.

Okay, das ist mal ein gutes Argument! Ich muss mir doch mal ansehen, wie die Zahlen bisher aussehen. Und ich muss zugeben, die sehen wirklich nicht gut aus. Nur 35 Downloads, die zusammen ein Honorar von € 45,13 eingespielt haben. Vielleicht könnten wir unsere Absätze verdoppeln, vielleicht sogar verdrei-, ach was: verzehnfachen, wenn wir im Streaming sozusagen „gratis“ mitvertickt werden! Bei € 0,0208 pro Stream wären das ja dann glatt … € 7,28. Moment, nochmal die Batterie im Taschenrechner wechseln … Vielleicht ein bisschen optimistischer? Sagen wir, wir verzwanzigfachen den Absatz? Dann wären wir immerhin schon bei € 14,56 …

Vielleicht bin ich einfach zu naiv. Vielleicht kann ich mir nicht vorstellen, dass im Zeitalter des Hörbuchstreamings quer Beet 50mal mehr Hörbücher gehört werden als zurzeit. Denn das müssten sie – damit wir auf die gleichen Einnahmen kämen. Aber vielleicht werden ja in Zukunft hundertmal so viele Hörbücher gehört. Dann würden wir glatt doppelt so viel verdienen wie bisher! Stellt sich höchstens die Frage, woher die Menschen die Zeit nehmen sollen, so viel zu hören.

Es bleibt deshalb trotz dieser wirklich wahnsinnig überzeugenden Argumente seitens der Verlage eine gewisse Restskepsis bei mir vorhanden: Was, wenn das Streaming – und das gilt ja nicht nur fürs Hörbuch, sondern auch fürs eBook – letztlich nichts anderes ist als das, wonach es aussieht: eine Methode, wie ganz viel Geld gemacht wird, von dem aber nur ein Bruchteil bei den Verlagen landet und praktisch gar nichts mehr bei den Autorinnen und Autoren? Dann wäre dieses Geschäftsmodell im Grunde nichts anderes als die Lizenz zum Töten.

Kommentare (3)
  1. Lieber Agent! Sie sprechen mir aus der Seele!
    Doch: können wir etwas dagegen tun? Sehen Sie.
    Wir, Sie und die AutorInnen, stehen nun einaml am Ende der Nahrungskette. Solange das so ist, müssen wir Kröten schlucken, die größer sind als wir selbst.
    Die Autorin.

    • Liebe Frau Marschall,
      ich weiß, was Sie meinen. Und ja, am Ende werden wir die Kröte schlucken. Aber wir dürfen es den Tech-Giganten nicht so leicht machen, unsere Arbeit gering zu schätzen und unsere Branche zu ruinieren. Wir haben alle Anfragen nach Audio-Streaming-Lizenzen abgelehnt und werden das weiterhin tun, solange unsere Autor*innen einverstanden sind. Jede und jeder verzichtet dabei nur auf ein lächerlich geringes Zusatzeinkommen. Aber alle zusammen würden es Audible+, Spotify & Co. unmöglich machen, sie weiterhin so auszubeuten. Deshalb werde ich nicht müde, alle Verlage und alle Autorinnen und Autoren aufzufordern, nein zu sagen zu solchen Lizenzen – im Hörbuch und im eBook! Denn letzteres wird der Sargnagel für professionelles Arbeiten sein, nicht ersteres.
      Alles Gute für Sie!
      ThM

      • Sie haben völlig recht! „Freie“ Autoren, die dies unterschreiben, unterschreiben ihr eigenes Todesurteil.
        Auch der überalterte Nordvertrag könnte nicht reformiert werden, wie VS und ver.di es vorhaben und wie auch der Börsenverein letztlich planen müsste. Merke: Ohne Verlage und Buchhandlungen auch keine Buchmessen! Keine Bouquinistes de Paris! Keine Bücherschränke / -Regale. Kurz, keine Kultur.

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