Gestern Abend wurde in einer Festveranstaltung im Universitätsarchiv Frankfurt der Horst Bingel-Preis an die Lyrikerin Ulrike Almut Sandig überreicht. Die Auszeichnung, die alle zwei Jahre vergeben wird, ist mit 8.000 Euro dotiert.
Hausherr Wolfgang Schopf begrüßte das Publikum zur dritten Preisverleihung, 2014 hatte Nadja Küchenmeister den ersten, 2016 Gila Lustiger den zweiten Horst Bingel-Preis erhalten.
Barbara Bingel, Witwe des 2008 verstorbenen Schriftstellers, Lyrikers, Grafikers und Herausgebers Horst Bingel und Vorsitzende der 2009 gegründeten Horst Bingel-Stiftung für Literatur, verwies auf die einstimmige Entscheidung der Jury für Ulrike Almut Sandig. Das Gremium besteht aus fünf Mitgliedern aus der gemeinsam den Preis vergebenden Stiftung und der Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk Hessen: Barbara Bingel, Wolfgang Schopf, Jürgen Bothner, Mara Pfeiffer und Hans Sarkowicz als Gastjuror.
„Horst Bingel maß Lyrik einen besonderen Stellenwert zu, das betrifft nicht nur Eigenes, sondern geht beispielsweise auch aus einem Epitaph für Karl Krolow hervor. Er wäre mit der Wahl der Jury zufrieden gewesen“, versicherte Barbara Bingel. Ihr Mann habe das Werk von Ulrike Almut Sandig sehr gut beschrieben, ohne es zu kennen.
Jürgen Bothner ging auf die Verbindung zwischen Lyrik und der Gewerkschaft ver.di ein: „Vor einer Woche wurde in Augsburg das 50-jährige Bestehen des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) gefeiert. Schon immer hingen Schreiben und Politik zusammen. Das Werk von Ulrike Almut Sandig passt gut zu den Zielen der Gewerkschaft. Ihre Ballade von der Abschaffung der Nacht hat mich überzeugt.“
Laudatorin Heike Bartel begann mit dem Gedicht Am Turme von Annette von Droste-Hülshoff. „Ulrike Almut Sandig nahm dieses Gedicht auf und wob daraus unter dem Buchtitel ich bin ein Feld voller Raps verstecke die Rehe und leuchte wie dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt neue Verse, die nicht geglättet, sondern fransig sind.“ Bei Sandig sei Lyrik keine elitäre Kunstform, sondern entfalte sich neu in ihren Lesekonzerten und Performances. Ihre Texte nehmen den Leser mit.
In der Begründung der Jury heißt es: „Ulrike Almut Sandig wagt in ihren Gedichten viel, sie gewinnt alles: Den Ausdruck eines lyrischen Ichs, das sich auf keine Identität mit sich selbst verlassen kann; den Rückbezug auf Menschheitsfragen, die unaufgelöst blieben; eine dichterische Stimme, die für sich allein spricht, doch in deren Individualität sich Schmerz- wie Glückszonen unserer Zivilisation spiegeln; den Gegenwartsbezug eines zeitlosen Glaubens in die Konsistenz einer Ausdruckskraft, die vor der lyrischen Versprachlichung menschgemachten Grauens nicht zurückschreckt, und diese damit überwindet: mit dem Versprechen, das aus dem Im Anfang stehenden Wort erwächst.“
Ihre ersten literarischen Arbeiten veröffentlichte Sandig 2001 zusammen mit der Songwriterin Marlen Pelny als augenpost auf Plakaten, Flyern und Gratispostkarten in Leipzig. Inzwischen sind von ihr acht Bücher zunächst in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung, seit 2010 beim Verlag Schöffling & Co (Klaus und Ida Schöffling waren unter den Gästen) und bei Probsthayn & Gerlach (Literatur-Quickie) sowie bei Fischer TB erschienen. Die Autorin wurde mehrfach übersetzt und arbeitet mit internationalen Künstlern zusammen. In der Poetry-Band Landschaft mit Grigory Semenchuk verbinden sich Texte und Klänge.
Sandig studierte Religionswissenschaften und Indologie und besuchte das Deutsche Literaturinstitut Leipzig. 2009 erhielt sie den Leonce-und-Lena-Preis, 2010 den Buchpreis der unabhängigen Verlage Hotlist für Flamingos und wurde 2017 mit dem Literaturpreis Text & Sprache des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet – um nur einige Anerkennungen herauszugreifen.
Ulrike Almut Sandig bedankte sich nach Übergabe der Urkunde zunächst bei den Menschen, die ihre Gedichte lesen und hören und trug anschließend einige Gedichte vor. Unterstützt wurde sie bei der Performance von Sebastian Reuter.
Für die musikalische Umrahmung des Abends war Stephan Völker am Saxophon zuständig, Monika Steinkopf hatte den Büchertisch übernommen.
JF