Nicola Bardola über sein Buch "Jack Kerouac - Beatnik, Genie, Rebell" (Goldmann) „Im Mittelpunkt steht Jack Kerouacs literarisches Schaffen, seine Suche nach dem eigenen Sound“

Nicola Bardola kennt nicht nur als Literaturkritiker, sondern auch als Autor die Gratwanderung zwischen biografischem und fiktionalem Schreiben. Mit Jack Kerouac (der heute 100 Jahre alt geworden wäre) ist von ihm bei Goldmann nun eine Biographie erschienen, die das abenteuerliche Leben eines ungewöhnlichen Mannes erzählt, der damals mit seinem Roman On the Road weltberühmt wurde. Anlass für Fragen:

Nicola Bardola: „Die Biografie ist auch ein Buch für alle, die Jack Kerouac schon kennen und schätzen und für all die beneidenswerten LeserInnen, die Kerouac noch vor sich haben“ (c) Markus Naegele

BuchMarkt: Worum geht es in Ihrem Buch Jack Kerouac – Beatnik, Genie, Rebell ?

Nicola Bardola: Um das abenteuerliche Leben des 1922 in Lowell, Massachusetts geborenen Schriftstellers franko-kanadischer Herkunft Jean-Louis Lebris de Kérouac, der 1957 mit seinem Roman On the Road weltberühmt wurde. Am 12. März wäre er hundert Jahre alt geworden. In den USA ist er eine Institution. Hier kennt man vor allem die Urmutter aller Road-Novels Unterwegs. Wenig bekannt ist der lange Weg, den Kerouac von seinen Anfängen als Autor gegangen ist, zunächst schon als Kind in der Tradition Mark Twains („Jack Kerouac Explores the Merrimack“). Mit 19 Jahren schrieb er The Sea Is My Brother und später in mehrjähriger Arbeit seinen Debütroman The Town and the City. Als ihm mit On the Road der Durchbruch gelang, hatte Kerouac rund ein Dutzend noch unveröffentlichter Manuskripte bei seinem Agenten deponiert, die erst nach und nach in Buchform erschienen.

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Wie sind Sie bei den Recherchen vorgegangen?

In den vergangenen Jahren wurden viele seiner Briefe und Notizbücher veröffentlicht. Sie sind die wichtigste Quelle für diese Biografie. Die umfangreichen Korrespondenzen und Tagebücher machen deutlich, wie unfassbar besessen Kerouac gelesen und an seinem Stil gefeilt hat. Und zugleich hat Kerouac das Leben gefeiert: Sex, Drogen, Jazz und Religion. Die Verfilmungen seiner Romane, die er sich sehr gewünscht hat, waren aber allesamt erfolglos, obwohl beispielsweise noch 2012 On the Road von Francis Ford Coppola produziert mit Kristen Stewart in einer Haupt- und Kirsten Dunst in einer Nebenrolle in die Kinos kam. Kerouac hat zwar zeitweise für Hollywood gearbeitet, aber seine Prosa ist nicht plotgetrieben. Kerouacs Leben hingegen würde sich als Filmstoff eignen. Es liest sich wie ein Roman.

Was wären denn die dramatischen, also filmtauglichen Höhepunkte in Kerouacs Leben?

Das Drama beginnt schon in seiner Kindheit mit dem Tod des älteren Bruders Gerard. Das Trauma verfolgt ihn sein ganzes Leben. Viele der Männerfreundschaften sind der Versuch Kerouacs, einen Ersatzbruder zu finden: Neal Cassady, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Gary Snyder oder Philip Whalen. Kerouac ist als Teenager ein aufstrebender Football-Star. Er darf an der Columbia University studieren dank eines Sport-Stipendiums. Sein Vater stirbt früh und nimmt ihm das Versprechen ab, sich immer um die Mutter Gabrielle zu kümmern. Das tut Jack. Aber sie wird ihn überleben.

Stirbt Jack wegen der Drogen mehrere Jahre vor seiner Mutter?

Beim Schreiben stimuliert sich Jack mit legalen und illegalen Substanzen. Er probiert alles aus. Seine Hausdrogen bleiben aber Alkohol und Benzedrin. Er heiratet dreimal. Er führt zudem über Jahre eine Ménage-à-trois mit Carolyn und Neal Cassady. Er hat eine uneheliche Tochter. Hinzu kommen ein Mordfall, ein Totschlag, ein Suizid im engsten Freundeskreis. Armut, Ablehnung der Konsumgesellschaft, Weltruhm, Katholizismus und Zen-Buddhismus wären wesentliche Ingredienzien für ein Bio-pic über Jack Kerouac, dem wohl wichtigsten Vertreter der Beat Generation. Er liebt und verehrt die Amerikanischen Indianer und die Schwarzen. Der Saxophonist Charly Parker ist sein Gott. Die Präsidentengattin Jacqueline Kennedy Onassis liest seine Bücher derweil der Rosenkrieg mit seiner zweiten Ehefrau die Klatschspalten füllt. Filmstoff in Hülle und Fülle. Kerouac ist vielleicht die erste tragische Pop-Ikone der Geschichte. Kerouac ebnet wie nebenbei den Hippies und dem New Journalism den Weg. Kerouac, der generationsübergreifende Vordenker und Fürsprecher der Gegenkulturen, der mit dieser Rolle nicht klarkommt: Seine Schwierigkeiten im Umgang mit jubelnden Fans und aufdringlichen Medien hängen damit zusammen, dass damals noch niemand wusste, wie heftig sich das von ihm ausgelöste Road-Fever auswirkt. Es gab schlicht keine Präzedenzfälle. Ruhm tötet, schreibt Kerouac. Er ist in die Falle getappt und hat sich zu Tode getrunken. Literarisch überhöhte er noch sein Delirium tremens zu einer transzendentalen Erfahrung. Er starb 1969 mit 47 Jahren.

Okay, das klingt filmreif. Aber ist Kerouac denn heute noch präsent?

On the Road ist für viele ein Herzensbuch, das sie schon als Teenager gelesen haben. Der Roman feiert das Leben, die Freiheit und das Reisen. Er steht für den ersehnten Ausbruch aus den Konventionen, er steht für Gegenkultur und für Rebellion. Für viele junge Leser ist On the Road seit Generationen eine Bibel und zugleich eine geheime Lektüre, denn Eltern, Erzieher und Lehrer haben meist noch nie etwas von Jack Kerouac gehört oder nehmen ihn und seine Bücher nicht ernst. Dadurch entsteht die glückliche Situation, dass On the Road zu einer starken und oft entfesselnden Leseerfahrung wird, die zu intensiven Kopfreisen und Freiheitsgefühlen führt, heute wie damals. Wer diese Erfahrung gemacht hat, möchte auch wissen, wie es dazu kam, und wer sie ermöglicht hat. Deshalb dieses Buch.

Wie kamen Sie auf Kerouac?

Ich war einer dieser Teenager, und mit 19 Jahren habe ich dann für die Uni-Zeitung zum zehnten Todestag von Jack Kerouac im Oktober 1979 einen meiner ersten Artikel geschrieben. Das Fazit lautete damals: „Kerouacs Werk hat alle Modeströmungen, die mit seiner eigenen vergleichbar sind, überlebt: Von den Hippies bis hin zu den Punks. Wer weiß, vielleicht wird Kerouacs tapferer Drauflosstil einmal als authentischste Chronik seiner Zeit gelten“. Ich schätze, über 40 Jahre später ist das tatsächlich so.

Nach Ihren Monographien über Yoko Ono, Elena Ferrante, John Lennon, Freddie Mercury oder Ringo Starr jetzt Jack Kerouac: Sind Sie wirklich der erste, der im deutschsprachigen Raum über ihn schreibt?

Es ist Zufall, dass mich Persönlichkeiten interessieren, die hierzulande vernachlässigt werden. Das war bei Yoko, Elena, Freddie und Ringo so. Über Kerouac gibt es Artikel und Aufsätze. Vor über 30 Jahren ist ein schmales Taschenbuch bei Beltz & Gelberg speziell für Kinder und Jugendliche von Frederik Hetmann erschienen. Das ist insgesamt wenig. Ganz anders im englischsprachigen Raum. Im Anhang empfehle ich viele sehr gute und umfangreiche Kerouac-Biografien aus den USA und GB. Ich habe nie verstanden, warum nichts davon ins Deutsche übersetzt wurde.

Wodurch hebt sich Kerouac von anderen Autoren seiner Zeit ab?

Neal Cassady bittet 1947 Jack, die Briefe, die er ihm schreibt, als eine „lange Kette unordentlicher Gedanken“ („a continuous chain of undisciplined thoughts“) zu lesen, um mit ihm in einen spontanen Groove zu kommen, nicht nur ihre Korrespondenz betreffend, sondern das Briefeschreiben allgemein („fall into a spontaneous groove in not only our correspondence, but in letter writing in general“). Das ist das Stichwort: Der spontane Groove, nicht nur beim Korrespondieren, sondern beim Schreiben überhaupt. Kerouac setzt das in Romanform um: Kerouacs Road-Stil basiert auf Jazz und Bop. Der Stil ähnelt dem Solo eines Saxophonisten, der bläst, bis ihm der Atem ausgeht. Er kann es wiederholen, aber jedes Solo ist einzigartig. Deshalb trennt Jack seine Sätze nach einzelnen Atemphasen des Geistes. In Gedanken spricht er die Sätze, so wie ein Jazzer sein Solo bläst. Zwischen den Sätzen befindet sich das Atemholen des Autors. Dann folgt der nächste Satz, das nächste Solo seiner spontanen Prosa. Ein Freund fragt später: „Warum skizzierst du nicht einfach auf den Straßen wie ein Maler, aber mit Worten?“ Daraufhin notiert Jack alles in sein Notizbuch, was ihm durch den Kopf schießt, noch direkter, noch schneller, noch konsequenter. Kerouac verstärkt sein skizzierendes Schreiben, das später vom The New Yorker als „jazzy impressionistic style“ definiert wird.

Wem kann man das Buch aus Ihrer Sicht am besten verkaufen?

Allen, die noch nicht wissen, dass die Road-Rolle, das Ur-Manuskript in der Liste der teuersten Bücher und Manuskripte, die in den USA gehandelt werden, ganz weit oben steht. Für zweieinhalb Millionen Dollar wurde sie in 2001 ersteigert, das entspräche heute einem Wert von gut dreieinhalb Millionen Dollar. Sollte die Rolle jemals wieder in einer Auktion angeboten werden, wäre ihr Wert noch sehr viel höher. Aber schon so ist die Road-Rolle das kostbarste Werk der Popkultur des 20. und 21. Jahrhunderts, weit vor Bob Dylans handschriftlichen Lyrics von „Like A Rolling Stone“ oder denen John Lennons von „A Day in the Life“.

Und wenn die Kunden das schon wissen?

Die Biografie ist auch ein Buch für alle, die Jack Kerouac schon kennen und schätzen und für all die beneidenswerten LeserInnen, die Kerouac noch vor sich haben. Im Mittelpunkt steht Jack Kerouacs literarisches Schaffen, seine Suche nach dem eigenen Sound, seine Gefühle für den Tod und für das Leben, das Reisen und das Schreiben. Ich interpretiere Kerouacs Unterwegssein als Modus Vivendi, also die Fortbewegung als Arrangement, um mit den Herausforderungen des Alltags und zwischenmenschlichen Konflikten mit dem Arbeitgeber, den Eltern, der Geliebten oder in der Ehe zurechtzukommen. Fernweh, Begeisterung, Lebenshunger verschmelzen und werden Sprache. Jack fasst zusammen: „Ich habe jetzt die ganze Straße erzählt. Es ging schnell, weil es eine Schnellstraße ist“ („Telled all the road now. Went fast because the road is fast“). Er bezeichnet den Roman als den »Vater der Rock’n’Roll Bücher« (»it’s the original daddy of the rock’n’roll books«). Und hinsichtlich Literaturkritiker, Sprachwissenschaftler und Biografen prophezeit Jack: „Sie werden viele Bücher über mich schreiben.“ („They’re going to write lots of books about me.“)

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