Markus Naegele heute im Sonntagsgespräch über die Idee der Heyne Hardcore Nächte „Wir müssen lauter werden“

Markus Naegele: „Wir müssen versuchen, die Leute wieder an das Buch heranzuführen. Dafür sollte man viel erfinderischer sein, Dinge ausprobieren, neue Formate überlegen, auch mal auf die Nase fallen, Kooperationen mit neuen Partnern starten. Ich glaube, das wissen auch viele Verlage. Jetzt müssen Aktionen her, Events. Wir müssen lauter werden“

Ende Oktober veranstaltet Markus Naegele für das von ihm betreute Label Heyne Hardcore erstmals auch in Berlin und Hamburg zwei Lesungen mit Livemusik unter dem Motto „It’s a Hardcore Night“. Das war Anlass für unser heutiges Sonntagsgespräch

Was darf man sich unter einer Hardcore Night vorstellen?

Markus Naegele: 2014 haben wir in München mit einer monatlichen Veranstaltungsreihe begonnen, bei der wir die Bücher unseres Imprints Heyne Hardcore auf eher ungewöhnliche Art und Weise vorstellen. Das Label an sich verbindet ja bereits verschiedene Genres wie Underground-Literatur, Hardboiled-Krimis, Erotik oder Rock’n’Roll-Biografien. Diese Welten wollten wir auch mit einem unterhaltsamen Abend in entsprechendem Ambiente abbilden. Und genauso wie es bei unseren Lesern Überschneidungen zwischen den Genres gibt, wollten wir einen Abend kreieren, der unterschiedliche Szenen und Menschen zusammenbringt. In Anlehnung an den Beatles-Song „It’s a Hard Days Night“ wurde also eine Reihe geboren, bei der Gäste aus ihren Lieblingsbüchern aus dem Hardcore-Programm lesen und mit dem Verlagsleiter oder den Lektoren darüber reden. Bei den Gästen kann es sich um unsere Autoren handeln, um befreundete Autoren aus anderen Verlagen, Schauspieler oder Journalisten. Um das Ganze aufzulockern, gibt es zwischen den Buchvorstellungen Livemusik von meist lokalen Bands und Songwritern. Und nach getaner Arbeit wird zur Musik der Hardcore-Allstar-DJs gemeinsam bis in den frühen Morgen gefeiert und getanzt.

Das hört sich ziemlich wild an. Wo findet das Ganze statt?
In München haben wir mit dem Unter Deck eine Szene-Spelunke gefunden mit kleiner Bühne, düsterem Ambiente und guter Bar, die klein genug für eine intime Stimmung ist, aber trotzdem bis zu 150 Zuschauern Platz bietet. Außerdem haben die Leute dort selbst viel Freude an den Veranstaltungen.

Wer war denn bisher schon dabei?
Zu Gast waren Franz Dobler, Friedrich Ani, Timur Vermes, Knut Cordsen, Annika Line Trost, Wulf Dorn und viele viele andere. Musikalisch gab es auch schon einige echte Highlights. Ich erinnere mich an das Blues-Wunderkind Jesper Munk, Impala Ray, den Songwriter Philip Bradatsch, die Punkband Zoo Escape oder auch eine New-Orleans-Brass-Band.

Das klingt ziemlich aufwändig und  kostenintensiv. Wie kriegen Sie das in den Griff?

Weil ich das großteils selbst organisiere. Da ich früher selbst Bands gebucht habe und auch in einer Rockband spiele, weiß ich, was es zu beachten gilt. Und ich habe ziemlich gute Kontakte in die lokale und überregionale Szene. Und bei den literarischen Gästen schaue ich mich einfach um, wen ich kenne, wen ich mir für das Format vorstellen kann. Und frage die dann einfach. Und bevor falsche Erwartungen geweckt werden, sage ich auch immer gleich, dass die Gage eher überschaubar ist.

Der Eintrittspreis ist das ja auch.

Ja,  in München ist das ganz bewusst nur ein sehr kleiner Eintrittspreis, eher eine Art Spende. Die wird für den Soundmann verwendet und für die Gema-Gebühren. Was in der Kasse übrigbleibt, wird zwischen Gast und Band aufgeteilt. Wir verdienen daran jedenfalls nichts.

Und die Gäste spielen da mit, ohne oder für kleine Gage? Das sind ja durchaus bekannte Namen.
Die machen deshalb mit, weil es meist besondere Abende sind, leicht anarchistisch, chaotisch. Da treffen Welten aufeinander, die sonst meist nebenher existieren. Und sowohl die literarischen Gäste als auch die Musiker treten oft vor Publikum auf, die sie sonst nicht erreichen.

Nun planen Sie ja für Ende Oktober zwei Auswärtstermine in Berlin und Hamburg. Wie kam es dazu?
Auf unserer Facebook-Seite haben sich immer wieder Leser gemeldet, die fragten, warum wir das nicht auch in anderen Städten machen. Und da ich spüre, dass wir im Verlagswesen mehr nach außen gehen und uns zeigen müssen, habe ich jetzt einfach zwei Hardcore-Nights in Berlin und Hamburg konzipiert.

Was erwartet uns?
Diese Abende unterscheiden sich vom Münchner Kneipenabend darin, dass wir statt einem Gast jeweils vier Gäste plus Musik haben. Auch die Locations sind größer. In Berlin am 29.10. ist es das Pfefferberg Theater, in Hamburg am 31.10. der Nochtspeicher. Aus London lasse ich unseren Kultautor John Niven einfliegen, der an beiden Abenden dabei ist. In Berlin sind ferner am Start Annika Line Trost, Thorsten Nagelschmidt und Mimi Erhardt. In Hamburg gibt es noch Bernd Begemann, Simone Buchholz und Timo Blunck. Musikalisch ist in Berlin Kristof Schreuf dabei, einer der wichtigsten und einflussreichsten Songwriter der deutschen Musikgeschichte. Und in Hamburg spielt eine neue Garage-Rockband namens Hawel/McPhail, bei der u.a. ein Mitglied von Tocotronic mitspielt.

Das klingt alles nach einem ziemlichen Spaß, aber auch nach Arbeit.  Warum tun Sie sich den Stress an? Sie können doch auch einfach eine Lesung mit John Niven machen, das geht doch auch.
Ja, klar geht das auch. Das wird auch passieren zum nächsten Buch von John Niven im Frühjahr 2019. Mir geht es aber um was anderes bei diesen Aktionen. Zum einen tritt das Imprint Heyne Hardcore mehr in den Vordergrund, wir zeigen uns und treten aus dem anonymen Verlagsschatten heraus. Ich moderiere die Abende, mal besser, mal schlechter. Viele Menschen haben die Vorstellung, solche Verlagsmenschen sitzen den ganzen Tag bei einer Tasse Tee in ihren Bürozimmern voller Bücher und lesen Manuskripte. Und hören dazu Jazzmusik oder traurige Liedermacher. Das tun wir vielleicht auch mal, aber eben nicht nur. Auch wir wollen Spaß haben, Bier trinken, laute Musik hören. Diese Gräben und Vorurteile will ich schließen und abbauen. Und natürlich will ich auf unkonventionelle Art und Weise auf unsere Bücher aufmerksam machen.

Nun wird ja viel davon gesprochen, dass in den letzten Jahren so viele Leser verloren gegangen sind, gerade in der mittleren Altersgruppe, die vermutlich auch mit die Zielgruppe ihrer Veranstaltungen ist. Würden Sie so weit gehen, diese Abende als Maßnahme zu sehen, verloren gegangene Leser wieder für das Buch zu interessieren?
Absolut. Wir müssen versuchen, diese Leute wieder an das Buch heranzuführen. Dafür sollte man viel erfinderischer sein, Dinge ausprobieren, neue Formate überlegen, auch mal auf die Nase fallen, Kooperationen mit neuen Partnern starten. Ich glaube, das wissen auch viele Verlage. Jetzt müssen Aktionen her, Events. Wir müssen lauter werden.

Sie glauben nicht mehr an normale Buchhandels-Autorenlesungen?
Keineswegs. Die soll und wird es immer geben. Aber das allein reicht nicht mehr aus, um einen Autor bekannt zu machen, eine Marke zu schaffen, Massen zu begeistern. Wir dürfen uns nichts vormachen: Wir konkurrieren heute stärker als früher mit Netflix, dem iPhone, Games, den ganzen Fitnesstrends. Das frisst Zeit und Geld und Aufmerksamkeit. Wenn wir dagegen anstinken wollen, müssen wir Bücher und auch Lesungen und unsere Autoren noch attraktiver machen als bisher.

Aber laufen wir damit nicht Gefahr, unsere Glaubwürdigkeit und Seriosität zu verlieren, wenn wir dem Zeitgeist hinterherlaufen?
Man muss ja nicht hinterherlaufen. Man kann auch nebenherlaufen oder vorausgehen. Natürlich ist es peinlich, sich dem Markt anzubiedern und auf cool zu machen. Für jeden Autor und jeden Auftritt muss das richtige Format gefunden werden. Und manche Autoren sind auch schlichtweg nicht geeignet für die Bühne, die sollte man auch nicht dazu zwingen. Es gibt aber Autoren, die über viel Charisma und Unterhaltungstalent verfügen. Das sollten Verlage aktiv fördern und unterstützen.

Was können Verlage noch zusätzlich tun, um neue Leser zu gewinnen bzw. alte zu behalten?
Ich glaube, wir müssen unsere Leser wieder besser kennenlernen. Eine engere Verbindung herstellen. Ihnen unsere Bücher schmackhafter machen. Wir müssen dahin gehen, wo sie sich aufhalten. Das hört sich so einfach an, ist aber ziemlich kompliziert. Da geht es um Kunden- und Leserdaten, Algorithmen und Zielgruppenanalysen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es immer auch um ungewöhnliche, charmante, kleine Aktionen geht. Die mögen nicht unmittelbar das große Rad bewegen, aber gute Aktionen sprechen sich rum, sorgen für Sympathie und Gesprächsstoff und zahlen sich oftmals langfristig aus. Man braucht eben einen langen Atem. Und Beharrlichkeit. Bei uns haben sich allein aufgrund der Hardcore-Nights zig Autoren gemeldet, die unbedingt bei uns veröffentlichen wollen.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

Kommentare (2)
  1. Wenn wir nicht wüssten, dass Arbeitgeber ohnehin schon Schwierigkeiten haben, tolle Bewerber zu finden, könnte man für Vorstellungsgespräche den Punkt integrieren: Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen? Wann war zuletzt? Worum ging es dabei? Und als Krönung für internationale Tätigkeiten: War ein Buch in einer Fremdsprache unter den letzten 5 von Ihnen gelesenen Büchern? Wenn ja welches in welcher Sprache (EU-Gedanke) …

  2. Sehr löblich, was der Markus Naegele da abzieht. Zusammen mit Kurt Idrizovic von der Buchhandlung am Obstmarkt in Augsburg habe ich mit meiner Literatur-Marketing-Agentur vor einigen Jahren die Reihe „Sound & Reeding“ ins Leben gerufen.

    Da wird Literatur mit Musikern und Bands in mehr oder weniger verrückten Clubs in Augsburg und Umgebung präsentiert … immer wieder eine tolle Sache, die vor allem junge Leute anlockt.

    Schön, dass Naegele da noch was draufklotzt!

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