Prof. Dr. Christoph Bläsi zur Erklärung „Für mehr und bessere Enhanced E-Books und Buch-Apps“ „Die Buchwissenschaft muss sich auch in Lehre und Forschung zu Produktion, Distribution und Rezeption von multimodal erweiterten digitalen Büchern hin entwickeln“

Kurz vor der heute zu Ende gehenden Frankfurter Buchmesse hatten sich die Mainzer BuchwissenschaftslerInnen mit einer Erklärung „Für mehr und bessere Enhanced E-Books und Buch-Apps“ zu Wort gemeldet –  als Ergebnis einer Master-Übung im Sommersemester 2022 zum Thema „Technologie und Ästhetik des Buches im digitalen Zeitalter“ von Prof. Dr. Christoph Bläsi. Das war Anlasse für Nachfragen bei ihrem Professor:

Prof. Dr. Christoph Bläsi: „Digitale Bücher, auch multimodal erweiterte digitale Bücher, sind als Bücher zu sehen und nur auf dem reflexionssatten Hintergrund einer historisch und theoretisch durchdrungenen Buchkultur (und -wirtschaft) zu konzipieren und zu verstehen“

Ich dachte, die Branche hat gerade ganz andere Probleme. Wie sind Sie gerade jetzt auf das Thema gestoßen?

Prof. Dr. Christoph Bläsi: Eigentlich aus zwei Richtungen: Zum einen habe ich mir mindestens seit den 1990er-Jahren, als ähnliche Produkte sehr teuer und auf CD-ROM schon einmal „ihren Siegeszug um die Welt“ antraten, so eine Art internen Wiedervorlagemechanismus eingerichtet, um etwa alle fünf Jahre mal wieder zu schauen, wo wir in dieser Sache stehen. Zum anderen gibt es jetzt eine etablierte Multimodalitätsforschung (zu dem, was man in den 1990ern Multimedia genannt hat), wo mit Beispielen aus allen möglichen Mediensystemen als Ausgangsmaterial gearbeitet wird – aber nicht mit dem digitalen Buch; das ist eine systematische Leerstelle ! Naja – und fünf Jahre waren eben wieder einmal um.
Auf der Buchmesse jetzt war das Thema Enhanced Book auch kein Thema …
Über Nischen kann ich nichts sagen, weil ich nicht gezielt gesucht habe, sicher ist aber, dass mir wirklich nichts ins Auge gesprungen ist …
Warum ist dsa Thema für Sie als Buchwissenschaftler denn wichtig?
Ich bin fern davon, solchen Produkten eine irgendwie magische Wirkung zuschreiben zu wollen …
… aber irgend etwas muss doch das diffuse Interesse begründen …
Wir wissen  z.B. aus dem Gaming, dass man aus dem Zusammenspiel aus Text, Bild, Video, Audio und Interaktion Wirkungen erzielen kann, die nicht zuletzt Zielgruppen erreichen, die das gedruckte Buch weniger erreicht.
Kann es sein,  dass niemand über ihr Thema redet, weil das klassische Buch in manchen Bereichen einfach unübertroffen ist?
Das ist sicher auch ein Grund. Dass uns das als Argument so schnell einfällt, liegt aber sicher auch an dem aktuell dominanten Lese-Narrativ, das mitDigital Detox, Konzentration und Deep Reading zu tun hat – und in der Domäne haben Enhanced E-Books und Buch-Apps wahrlich wenig zu bieten.
Ist nicht einfach der vermeintliche Mehrwert von Enhanced E-Books on der Produktion zu teuer?
Leute in meinem Alter wissen, dass  (Beispiel: David MacAulys „The Way Things Work“ / „Wie funktioniert das ?“ von Dorling Kindersley / Meyer auf CD-ROM aus den Mitt-90ern) „Multimedia“ überaus faszinierend und völlig ohne Kulturbruch auch buchbasiert möglich ist. Dass sich damals trotz breiter internationaler Lizensierung und bei Preisen von fast 100 € (für Content im Umfang einer Smartphone-App !) kein nachhaltiges Business Model entwickeln ließ, zeigt sich daran, dass auch die entsprechende, angeblich bis zu 200 Leute starke Geschäftseinheit von DK nur wenige Jahre später wieder abgewickelt werden musste. Gut möglich, dass sich so ´was trotz besserer Technik auch heute für die heute erzielbaren 2,99 € keiner zutraut …
Wie denken Sie eigentlich über die Zukunft Ihrer Wissenschaft?
Interessanter Themensprung …
Ich frage das angesichts der Diskussion um die Schließung bzw. Veränderungen am Standort Leipzig.
Dass sich die Buchwissenschaft über ihren historischen Kern hinaus (noch mehr) in Richtung auch empirische Forschung und die Anwendung von Digital Humanities-Methoden entwickeln muss, darf wohl als Konsens gelten. Und wir in Mainz machen das auch. Im gegebenen Zusammenhang von Enhanced E-Books, Buch-Apps, etc. muss sich die Buchwissenschaft darüber hinaus gehend auch in Lehre und Forschung zu Produktion, Distribution und Rezeption von multimodal erweiterten digitalen Büchern hin entwickeln, das ist klar und eine echte Aufgabe – und geht sicher nur im Austausch z.B. mit Informationswissenschaft, Medienwissenschaft und Game Studies.
Aber doch vielleicht nicht unbedingt schneller als der Markt?
Das sind wir einer Meinung. Wenn Sie oben auch die Frage insinuiert haben sollten, ob ich glaube, dass die aktuellen Entwicklungen an der Universität Leipzig ein Schritt in die oben angedeutete Richtung sind, ist meine Antwort klar: nein, glaube ich nicht. Digitale Bücher, auch multimodal erweiterte digitale Bücher, sind als Bücher zu sehen und nur auf dem reflexionssatten Hintergrund einer historisch und theoretisch durchdrungenen Buchkultur (und -wirtschaft) zu konzipieren und zu verstehen.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz
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