Literaturfest München eröffnet

Albert Ostermaier
Adonis

Das konnte nicht einmal der diesjährige Kurator Albert Ostermaier (Foto) ahnen: Mit seinem Programm front:text, also dem kreativen Dialog mit Schriftstellern aus Kriegs- und Krisengebieten, befindet sich das Münchner Festival mit 80 Autoren aus aller Welt mitten in der gesellschaftlichen Debatte.

Und das gerade in München, wo ein Großteil der Geflüchteten ankam und ankommt. Am Mittwochabend wurde das Literaturfest im Carl-Orff-Saal mit einem besonderen Gast eröffnet: Adonis, der in Paris lebende und aus Syrien stammende Dichter, von seinem Übersetzer Stefan Weidner als „Nietzsche der arabischen Welt“ bezeichnet, ein Wegbereiter der modernen arabischen Poesie. Natürlich wusste er auch zur aktuellen Lage etwas zu sagen: Er dankte Deutschland und namentlich der Bundeskanzlerin für die Aufnahmebereitschaft für die Verzweifelten.

Gert Heidenreich

Zwei wesentliche Mängel attestierte er der arabischen Welt seit dem 14. Jahrhundert: das Fehlen eines Rechtstaats und die fatale Verbindung von Staat und Religion. Und auch hier kam, wie z. B. in Navid Kermanis Paulskirchen-Rede, der deutliche Hinweis auf das westliche Verhältnis zu Saudi-Arabien: Die ideologischen Drahtzieher sitzen in diesem Land, das immer noch als stabiler Bündnispartner betrachtet wird.

Dass Vertreibung und Flucht stets wiederkehrende Weltthemen sind, machten die eingangs von Gert Heidenreich und Wiebke Puls vorgetragenen Gedichte von Mascha Kaléko und Bertolt Brecht, sowie Romanauszüge aus Jenny Erpenbecks Gehen, ging, gegangen (Knaus) und Abasse Ndiones Die Piroge (Transit) deutlich. Dazu gab es Klänge von Oud und Saxofon, gespielt von den Weltmusikern Roman Bunka und Roland Schaeffer.

Das Publikum drängt sich

Bei einer kurzen Podiumsdiskussion machte Johannes Ebert (Generalsekretär des Goethe-Instituts mit langjähriger Einsatzerfahrung in der arabischen Welt) deutlich, dass für die Geflüchteten gleich nach der Grundversorgung mit Nahrung, Wohnung und Sicherheit eines Priorität hat: Bildung, und hier zuvörderst das Erlernen der deutschen Sprache. Und in den arabischen Nachbarländern, wo sich ja nach wie vor ein Großteil der Vertriebenen aufhält, werden vor allem Kinder mit Lektüre begeistert – das Goethe-Institut hat z. B. für eine arabische Fassung des »Regenbogenfisch« gesorgt.

Albert Ostermaier erläutert sein Anliegen, mit diesem Festival zu zeigen, wie Literatur innere und äußere Grenzen überwinden kann. Er wendet sich gegen den Begriff „Flüchtlingskrise“, beim dem ja mitschwinge, es seien die Flüchtenden, die eine Krise verursachten. Sie sind vielmehr Opfer einer Politik, die zu Krieg, Bürgerkrieg, Terror und Flucht führt. Und zum Stichwort „Integration“ bemühte Ostermaier Goethe, der in seinem West-östlichen Divan vorgeführt hat, wie beide Kulturen einander bereichern können.

Mit diesem Auftakt wurde zugleich die 56. Münchner Bücherschau eröffnet, und das Publikum strömte durch die Gänge zu den Verlagsständen. Autoren, Verlagsleute, Buchhändler nicht nur aus München freuten sich über den großen traditionellen Branchentreff, genossen den Abend und nahmen zugleich so manche Nachdenklichkeit mit nach Hause.

Ulrich Störiko-Blume

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