Auszeichnungen Carl-Amery-Literaturpreis 2024 für Barbi Marković

Die 1980 in Belgrad geborene Germanistin Barbi Marković erhielt am Samstag in München den Carl-Amery-Literaturpreis. Bereits im März gewann sie für Minihorror (Residenz) den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik.

Barbi Marković

„Eine unideologische Darstellung und Analyse gesellschaftlicher Wirklichkeit jenseits etablierter Erklärungsmuster und versprengter Erfahrungswelten verlangt eine niemals sich zufrieden gebende sprachliche und formale Anstrengung, verlangt literarische Experimentierfreude und formale Intelligenz“, schrieb der den Preis ausrichtende Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Bayern und formulierte damit die Grundvoraussetzungen für den Erhalt des seit 2007 alle zwei Jahre vergebenen und mit 6.000 Euro dotierten Carl-Amery-Preises: Ausgezeichnet werden Autorinnen und Autoren, deren Werk sich kritisch mit der Gegenwart auseinandersetzt und dabei literarisch neue Wege geht. Barbi Markovićs Vorgänger:innen waren 2007 Feridun Zaimoglu, 2009 Juli Zeh, 2011 Ilija Trojanow, 2013 Ulrich Peltzer, 2015 Norbert Niemann, 2017 Thomas von Steinaecker, 2019 Karen Duve und 2021 Judith Schalansky.

Unterstützt wird der VS Bayern vom Kulturreferat München, von ver.di Bayern und vom Luchterhand Literaturverlag, wo das Werk Carl Amerys erschienen ist und weiterhin gepflegt wird, u.a. mit der Hardcover-Ausgabe „Durchbruch ins dunkle Glück: ‚Die Wallfahrer‘ und ‚Das Geheimnis der Krypta‘: Zwei Romane in einem Band“ (2022). Darauf bezog sich auch der Laudator, der Literaturkritiker Carsten Otte, denn in Carl Amerys „Das Geheimnis der Krypta“ versucht ein Wissenschaftler den überbevölkerten Erdball mit einer besonderen Methode vor dem Untergang zu bewahren: Der Forscher will ein Virus zu züchten, das 95 Prozent der Menschheit ausrottet, um den Rest der Weltbevölkerung zu retten.

Dieser Riesenhorror weist Parallelen zu Markovićs „Minihorror“ auf: „Carl Amery hätte die Szenen in ‚Minihorror‘ bestimmt gerne gelesen (….) Wie Amery schreibt Barbi Marković über ein abseitiges Personal, das durch verrückte Vergangenheiten und eine gespenstische Gegenwart stolpert und stromert. Nur sind die Dämonen bei Marković nicht immer als solche zu erkennen. Eine dramaturgische Aufteilung in Freund und Feind, die politisch-ideologisch auszuschlachten wäre, gibt es in ihren Szenen eher selten. Was sich auch auf ästhetischer Ebene ausdrückt: Hier fallen Horror und Komik nämlich in eins. In den Abgrund schauen, nicht runterfallen, sich aber trotzdem totlachen – das ist gewissermaßen die zentrale Maxime dieser Literatur“, so Otte, der Markovićs Prosa in seiner tiefgründigen Lobrede mit der Poes verglich: „Die Angst, lebendig begraben zu sein, ist in vielen Geschichten genauso präsent wie die Furcht vor gigantischen Ungeziefer-Attacken. Markovićs ‚Minihorror‘ wirkt wie Edgar Allan Poe auf Speed und manchmal auch wie eine Sequenz von David Lynch, der zur Abwechselung mal lustig ist.“

Als musikalischen Rahmen im vollen Saal im Literaturhaus München hatte sich Marković das Duo Ronia & Franz Bösherz aus Wien gewünscht. Ronias Vorbild ist der als Straßenmusiker bekannt gewordenen Moondog (Louis Thomas Hardin). Bei beiden spielt der Zufall eine wichtige Rolle: Die minimalistischen Klangfiguren in Ronias Kompositionen und ihr dominanter Gesang stellen Fragen übers menschliche Miteinander passend zu Markovićs Minihorror. Die geehrte freute sich über die Auszeichnung, berichtete über ihren gescheiterten Versuch, eine Dankesrede zu verfassen und erfreute das Publikum mit bösen Aperçus: „Einmal hat mir eine Frau ihre Bibliothek gezeigt. Es gab darin auch ein Bett. ‚Hier hat Baudrillard geschlafen‘, sagte sie. ‚Er ist an Lungenkrebs gestorben. Ich habe immer noch seinen Aschenbecher.‘“ nb

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