Die zehn besten Krimis im Januar / John le Carré bleibt auf Platz 1

Monatlich wählen 18 auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. [Tobias Gohlis, der Sprecher der Jury, kommentiert die neue Liste: ]

Unter den neu hinzugekommenen Titeln befinden sich zwei, die bereits einmal erschienen sind. Sie sind jedoch so stark überarbeitet worden, dass wir sie Ihnen als neue Werke vorstellen und empfehlen.

Der Berliner Romancier Rudolf Lorenzen (geb. 1922) hat nur einen Kriminalroman geschrieben, den aber gleich mehrfach: „Bad Walden“. Zunächst war es ein TV-Drehbuch, dann erschien der Stoff als Roman 1981 unter dem Titel „Grüße aus Bad Walden – Mord auf Super 8“ und wurde jetzt im Zuge einer Werkausgabe, von dem inzwischen 86-jährigen Autor noch einmal umgeschrieben und so verändert, dass es als neues Werk angesehen werden kann. Es ist eine irritierende, satirische Erzählung vom Zusammenbruch eines Mannes und seiner Geschäftswelt als Antiquitätenhändler unter den bedrohlichen Bedingungen entfesselter Geldgier.

Noch deutlicher als Wiederentdeckung zu feiern ist Pete Dexters Roman „Paris Trout“. Neu und in seiner erbarmungslos kargen Lakonie hervorragend von Jürgen Bürger übersetzt, erscheint er zum ersten Mal vollständig auf Deutsch. Dexter wurde für diesen Roman aus dem rassistischen Süden der USA 1988 sofort nach Erscheinen mit dem National Book Award ausgezeichnet – das grandiose, verstörende Porträt eines Kleinstadtdespoten, seiner Herrschaft und seines Untergangs. „Paris Trout“ ist ein Schlüsselwerk in der amerikanischen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Stefan Kiesbye hat mit „Nebenan ein Mädchen“ eine sehr düstere, sehr harte Coming-of-Age-Story geschrieben: Jugendgewalt gehörte offenkundig in den niedersächsischen Tiefebenen schon während der achtziger Jahre zum rauen Alltag.

Seit ihrem verstörenden Roman „Umarmung des Todes“ (2003) hat man wenig von der japanischen Autorin Natsuo Kirino zu lesen bekommen. Ihr neuer Roman Teufelskind schildert in drastischen Momentaufnahmen das Schicksal einer Ausgestoßenen, die ihr Heil als Diebin und Mörderin sucht. Aiko ist als Waisenkind in einem Bordell groß geworden und wird mit ihrer bisher verborgenen Herkunft konfrontiert. Ein bemerkenswert nüchtern geschriebener, erschütternder Blick in die soziale Unterwelt Japans.

Hier die kommentierte KrimiWelt für Januar:

1. (1) John le Carré: Marionetten. Ullstein
Hamburg: Terrorist oder kein Terrorist? Flüchtling Issa, tschetschenischer Muslim, will ein Vermögen an islamische Hilfsorganisationen spenden. Das lockt amerikanische, englische und deutsche Geheimdienste an. Und gutmeinende Helfer. Klare Fronten? Doch nicht im Krieg gegen den Terror. John le Carré at it’s best.

2. (3) Jerome Charyn: Citizen Sidel. Rotbuch
New York: Isaac Sidel, Bürgermeister von New York, Mörder, blonder Jude, ist der Liebling der Demokraten. Er soll Vizepräsident werden, seine Popularität den Präsidentschaftskandidaten retten. Doch er muss aufklären, warum Doug Knight seinen Sohn getötet hat. Band 10 der Sidel-Saga, ohne die das 20 Jahrhundert ganz unverständlich bliebe.

3. (8) Kate Atkinson: Lebenslügen. Droemer
Edinburgh/Yorkshire: „Ein Zufall ist eine Erklärung, die darauf wartet zu passieren.“ Joannas Familie wurde schon einmal umgebracht, jetzt verweigert Jo dem Schicksal eine Wiederholung. Großes Spiel mit Zeit und Vorsehung. Tolle Figuren, witzig, tripelbödig: eine Attacke gegen müde Erzählkonvention. Entdeckung.

4. (4) Jo Nesbø: Der Schneemann. Ullstein
Bergen/Oslo: Steht ein Schneemann im Garten, kommt er bald zu dir. Er ist der erste Serienkiller Norwegens und tötet wie ein Arzt. Medizinische Selektion. Kommissar Harry Hole ist der einzige, der ihn fassen kann. Denn der Scheemann will ihn schlagen. Aber Harry ist der beste. Wenn er trocken bleibt.

5. (6) Ian Rankin: Ein Rest von Schuld. Manhattan
Edinburgh: Der russische Dichter Todorow wird erschlagen. DI John Rebus verbeißt sich in seinen letzten Fall. Er will die Oberwelt und die Unterwelt zu packen kriegen und Cafferty, den alten Todfeind, mit. Doch statt Schottland zu säubern, wühlt Rebus sich selbst in den Sumpf. Der letzte Rebus: Groß im Abgang.

6. (-) Rudolf Lorenzen: Bad Walden. Verbrecher Verlag
Frankfurt/Bad Walden: Ein Antiquitätenhändler-Ehepaar bleibt auf der Rückkehr aus dem Urlaub in der „Kurhölle“ eines Schwarzwaldnests hängen. Er schwankt zwischen Depression und Manie, sie zwischen Flucht und Knete. Anti-Heimatkitsch-Satire aus den Achtzigern, depressiv recycelt. Bitterstoff, Sperrgut.

7. (-) Stefan Kiesbye: Nebenan ein Mädchen. Jens Seeling
Wedersen, Niedersachsen: „Sollten sie jemals die Leiche finden, wird es zu spät für Fingerabdrücke sein. Wahrscheinlich wird sie ungestört ruhen, während wir anderen erwachsen werden.“ So endet der letzte Sommer einer Jungenbande. Phänomenales Debüt, starker Text.

8. (-) Pete Dexter: Paris Trout. Liebeskind
Cotton Point, Georgia: Paris Trout, Geschäftsmann und Kredithai, ist sein eigenes Gesetz. Das ihm erlaubt, zwei schwarze Frauen abzuknallen, seine Frau zu misshandeln, keine Steuern zu zahlen. Lakonischer Bericht von Trouts Herrschaft und Untergang, von Aufbegehren, Unterwerfung, Rassenwahn. Ein Meisterwerk.

8. (-) Natsuo Kirino: Teufelskind. Goldmann
Yokosuka/Tokyo: Aiko Matsushima ist als Waisenkind im Bordell aufgewachsen. Ohne Familie zu sein ist in Japan sozialer Tod. Aiko macht das beste daraus: Als Dienstmädchen raubt und mordet sie sich voran. Als sie auf ihr Erbe stößt, zerbricht ihr Verstand. Kalt und zornig. Kirino rührt im Bodensatz Japans.

9. (7) Fred Vargas/Baudoin: Das Zeichen des Widders. Aufbau
Paris/Orange: Grégoire und Vincent klauen, um zu überleben. Das ist schwer in Frage gestellt. Sie haben in die Tasche eines Serienkillers gegriffen. Jetzt ist er hinter ihnen her, malt Widder-Gehörn auf seine Opfer. Auch im Comic ist Kommissar Adamsberg unbesiegbar. Vargas schwarz-weiß. Toll.

Die Januar-Ausgabe der KrimiWelt-Bestenliste wird auch im NordwestRadio (heute live, ca. 8:35 Uhr, und am Sonntag in der Literaturzeit zwischen 15:00 und 16:00 Uhr) sowie in der Literarischen Welt vorgestellt.

Buchhändler können einen dreifarbigen Flyer mit der aktuellen KrimiWelt-Bestenliste bestellen. Kontakt: KrimiWelt, c/o asv vertriebs GmbH, Süderstraße 77, 20097 Hamburg, E-Mail: krimiwelt@axelspringer.de, Fax: 040/34 72 76 68..

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