DIe besten Krimis des Monats Hier gibt es die Krimibestenliste Oktober 2018 zum Ausdrucken: Auf Platz 1 „Krumme Type, krumme Type“ von Tom Franklin

Die aktuelle Krimibestenliste gibt es hier zum Ausdrucken als Plakat

Auf Platz 1: „Krumme Type, krumme Type“ von Tom Franklin

Der 1963 in Dickinson, Alabama, geborene Tom Franklin ist ein Star der Krimibestenliste. Alle drei Bücher, die bisher von ihm auf Deutsch erschienen sind, zählten zu den besten Kriminalromanen des Monats. Die Gefürchteten (2005) handelt von Gewalt in den Südstaaten, Stoff war der historische „Mitcham-War“ in Franklins Herkunfts-County um 1860. Smonk (2017) handelt von Gewalt in grotesker Klarzeichnung, und Krumme Type, krumme Type handelt von Gewalt im rassistischen Mississippi von 1982 bzw. 2007. Dort kennt jedes Schulkind die Formel Crooked Letter, denn mit dem Merkvers „M I crooked letter crooked letter I crooked letter crooked letter I humpback I“ lernen sie ihren Bundesstaat zu buchstabieren.
Die Orte, an denen der Roman spielt – Amos, Chabot, Gerald County – sind alle fiktiv, aber in Mississippi gelegen.

Neu dabei sind in diesem Monat:

Auf Platz 2: Slow Horses von Mick Herron

Doch, es gibt für findige Verleger immer noch jede Menge Entdeckungen zu machen auf dem weiten Feld der internationalen Crime Fiction.
Eine dieser – nicht allzu schwierigen – Entdeckungen ist der 1963 in Newcastle-Upon-Tyne geborene Mick Herron. Denn spätestens mit der Veröffentlichung der Serie um die „lahmen Gäule“, die in Slough House ihr Gnadenbrot fressen, erlangte der in Oxford studierte und lebende Autor internationales Ansehen. Inzwischen ist er hoch dekoriert: Er erhielt den „CWA Gold Dagger for Best Crime Novel“ und den „Steel Dagger for Best Thriller“, taucht  immer wieder auf den internationalen Shortlists auf.
In dem ersten Band der in England inzwischen auf sechs Romane und eine Novelle angewachsenen Serie um die abgewrackten Spione in Slough House, die von ihren erfolgreicheren Kollegen in der Zentrale in Regents Park als „Slow Horses“ diskriminiert werden, wird uns ausführlich vorgeführt, wie man in diese Absteige gerät. Bei einer Tauglichkeitsprüfung verwechselt River Cartwright weiß und blau, legt die U-Bahn-Station Kings Cross lahm, Schaden für Londons Tourismus: Dreißig Millionen Pfund, für das Königreich 2,5 Milliarden. Geschätzte Verluste – denn die Terroristenhatz, bei der er versagte, war nicht echt, sondern nur eine Übung.
Jedenfalls landet er im Sumpfloch in Finsbury, einer sprichwörtlich beschissenen Ecke von Greater London, wo der Geheimdienst seine Versager parkt und mit scheußlichen Arbeiten quält, damit sie von selbst kündigen und der Krone die Abfindung ersparen. Dort muss er den Müll eines rechtsradikalen Journalisten durchwühlen. Chef der neun Desperate Agents ist der fette, rülpsende Jackson Lamb, eine Figur, die Herron dem in England durch eine Fernsehserie sehr populären DSI Andy Dalziel abgeguckt hat. (Dalziel ist der Held in 22 Romanen des 2012 verstobenen Reginald Hill, eines der ganz großen britischen Kriminalschriftsteller.)
Dass Lamb und seine „lahmen Gäule“ mehr drauf haben, erweist sich im Entführungsfall Hassan. Dumpfbacken der „Stimme Albions“ wollen den Studenten pakistanischer Herkunft öffentlichkeitswirksam köpfen. Die stellvertretende Geheimdienstchefin Diana Taverner, genannt „Lady Di“, verfolgt im Umgang damit ihre eigene intrigante Agenda. Aber das lässt sich Lamb nicht bieten.Herron erzählt seine Story vom letztlich siegreichen Durchmarsch der Slow Horses, als wolle er einen Schlussstrich unter den Spionageroman ziehen, indem er noch einmal alles aufbietet, was das Genre hergibt. Slough House erinnert an die Washingtoner Abstellkammer Abteilung CIAID, in der James Gradys „Condor“ seinerzeit (1974) Spionageromane auf geheimdienstlich Relevantes lesen sollte. Reminiszenzen an Graham Greene, Somerset Maugham, Joseph Conrad und John le Carré tauchen auf: „Erfundene Geschichten. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht wahr sind.“
Gespielt wird (auch dies eine Anspielung auf le Carré) nicht nach „Moskauer Regeln“, sondern nach Londoner Regeln: „Wenn Moskauer Regeln bedeuteten, dass man für Rückendeckung sorgen musste, bedeuteten Londoner Regeln, dass man seinen Arsch retten musste. Die Moskauer Regeln waren auf den Straßen geschrieben, doch Londoner Regeln in den Korridoren von Westminster ausgetüftelt worden, und die Kurzversion besagte: Irgendjemand muss immer bezahlen. Schau zu, dass nicht du es bist. Niemand wusste das besser als Lamb. Und niemand beherrschte das Spiel besser als Lady Di.“

„Derzeit schreibt Herron neben Olen Steinhauer die aufregendsten Romane über Spione und ihre Schwierigkeiten, in der zunehmenden Unübersichtlichkeit nach dem Ende des Kalten Kriegs ihre Rolle neu zu definieren. (..) Hier sitzt alles perfekt wie bei einem maßgeschneiderten Anzug aus der Londoner Schneiderstraße Savile Row: nicht irgendeiner kurzlebigen Mode folgend, sondern eindrucksvoll stilvolles Understatement demonstrierend.“ (Marcus Müntefering, Spiegel online)
Und hier mein kleines Lob auf Deutschlandfunk Kultur.

Auf  Platz 4: Die letzte Terroristin von André Georgi

Die Liste der Kriminalromane, in denen die ungeklärte Frage beantwortet wird, wer den Treuhandchef Detlev Rohwedder ermordet hat und aus welchen Motiven, wird durch André Georgis Rekonstruktion der Ereignisse des Jahres 1991 um einen interessanten Band länger. Georgi legt wie auch Wolfgang Schorlau (Die blaue Liste, 2003) und Horst Eckert (Schattenboxer, 2015) nahe, dass hinter dem ungeklärten Mord Wirtschaftsinteressen steckten, und zwar solche, die Rohwedders Versuche, das DDR-Vermögen möglichst nicht zu verschleudern, sondern für die Beschäftigten zu erhalten, nicht aushielten.
Die „Aufklärung“ des Falles Rohwedder ist nur Beifang einer Erzählung, die nach den Motiven und Stimmungslagen der letzten, bis heute nicht vollständig identifizierten und aufgeklärten RAF-Generation fragt. Auslöser war für Georgi Susanne Albrecht, die 1977 Jürgen Ponto, einen Bekannten ihrer Familie, ausspionierte, um den Mord an ihm vorzubereiten. Nach diesem Beispiel ist es bei ihm Sandra Wellmann, die sich im Mordauftrag als Assistentin des Treuhandchefs Dahlmann anstellen lässt.Drehbuchautor Georgi hat den Auftrag für einen ZDF-Zweiteiler (Der Mordanschlag – wird im November gesendet) genutzt, um die finsteren Tiefenstrukturen jener Zeit noch einmal auszuloten. Am bedrückendsten und verstörendsten gelingt ihm die Binnensicht auf die RAF: doppelt gefangene, doppelt gejagte Mörder auf der Flucht vor dem Staat und den Konsequenzen ihrer Ideologie.

„Die Charaktere sind vielschichtig entworfen, es sind lebendige kraftvolle Figuren, die Georgi, sprachlich ungemein versiert, überzeugend handeln lässt. Ein starker Politthriller, der packend von einem dunklen Kapitel bundesrepublikanischer Geschichte erzählt, von einer Gesellschaft, in der sich nur kurze Zeit nach der Wiedervereinigung erste tiefe Risse zwischen Ost und West zeigen.“ (Volker Albers, Hamburger Abendblatt)

Auf  Platz 5: Mexikoring von Simone Buchholz

In Chastity Rileys achtem Abenteuer laufen zwei Kurven bedenklich aufeinander zu: Ihr Alkoholkonsum nimmt pathologische Züge an, die gesellschaftliche Realität rückt näher. Letzteres erfreut den Leser, der Chastitys Rolle als Friedensrichterin und Kiez-Sheriff von St. Pauli weidlich durchlebt hat.
Im Mexikoring, einer Autoschneise durch Hamburgs Büro-City Nord, wird wieder ein Auto abgefackelt. Im Unterschied zu vielen anderen fällen lag darin diesmal aber ein betäubter Mensch: Nouri Saroukhan, Versicherungsvertreter, abgebrochenes Jurastudium, ausgestoßener Paradesohn eines Bremer Mhallamiye-Clans. Als Ermittlungsstaatsanwältin Chastity verkatert am Tatort erscheint, sieht sie auf dem Dach des anliegenden Gebäudes einen Rotschopf verschwinden. Der einer anderen Verstoßenen gehört: Azila.Eindringlich bis zur Verzweiflung sind die Szenen, in denen Buchholz das Scheitern der überforderten, überlasteten Polizei in Bremen schildert, die versucht, mit den seit Jahrhunderten auf Krawall, Selbstjustiz und Abschottung trainierten Mhallamiye-Kerlen und -frauen auch nur Kontakt aufzunehmen. Staatsohnmacht ist selten so krass vorgeführt worden. Die Lösung, die Simone Buchholz entwickelt, entspricht der Hoffnungslosigkeit der Situation. Starkes Stück.

Auf  Platz 7: Die Verdunkelten von Jérôme Leroy

Der ehemalige Lehrer, kommunistische Journalist und Autor Jérôme Leroy (*1964) wurde 2017 mit seinem Politthriller Der Block zum Autor der Stunde. Zur Wahl Macrons und zur vorübergehenden Niederlage Le Pens die Analyse der Rechtsradikalen in Romanform.
Die Verdunkelten ist ein gänzlich anderer Text. Gäbe es nicht die Geheimagentin Agnès, deren Erzählstimme sich mit der des Schriftstellers Guillaume Trimbert abwechselt, würde man viele Seiten lang daran zweifeln, ob die Genrebezeichnung Kriminalroman zutrifft. Denn es ist nicht so recht zu verstehen, warum und warum mit dieser Obsession die Agentin hinter dem Schriftsteller her ist, der nichts Gefährlicheres tut als Abschied von der Jugend, der Revolution, seiner Geliebten und der Literatur zu nehmen. So sehr bestimmen die melancholischen Reminiszenzen des Mittfünfzigers den Gesamteindruck, dass man ohne die Lageberichte, die Agnès‘ Vorgesetzter ihr vorzugsweise im Bett gibt, die Verschärfung der Situation kaum mitbekäme: Streiks und Aufstände legen Frankreich lahm, die Republik gleitet in eine Militärdiktatur über. Und am bedrohlichsten ist die Zunahme der „Verdunkelten“. Sie verschwinden einfach, haben keine Lust mehr, den ganzen Scheiß mitzumachen, erkranken am Bartleby-Syndrom. So lange dies ein Phänomen melancholischer Intellektueller bleibt, kein Problem. Wenn aber die britische Premierministerin, Manager und Minister von der Verweigerungslähmung befallen werden, muss die öffentliche Ordnung beschützt werden. Und damit spitzen sich die Dinge zu.
Dass diese manchmal kapriziöse, manchmal selbstverliebte Geschichte nicht nur erheblich Fahrt aufnimmt, sondern zum Schluss auch einen Hauch von Optimismus verbreitet, liegt an Agnès Erzählperspektive: Sie berichtet alles ihrer Tochter, und das Generationengefälle schafft ein beinahe utopisches Zeitbewusstsein.

„In den Verdunkelten verbinden sich Ideen- und Kriminalroman zu einer Mischung aus Geheimdienstthriller, kulturkritischem Lamento und eskapistischer Fantasie. Das ist ein bisschen brillant, ein bisschen prätentiös, und vielleicht eher reaktionär als revolutionär. Eine Elegie der Sanftmut gegen die Tyrannei der Technologie.“ (Thekla Dannenberg, Perlentaucher)
„Eine kleine Untergangsetüde für zwei Stimmen.“ (Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Auf  Platz 8: Safe von Ryan Gattis

In den Straßen die Wut von 2015, Gattis‘ atemlose Rekonstruktion der Aufstände von 1992 in Los Angeles aus der Perspektive von 17 Beteiligten wurde in den USA wie das Signal einer literarischen Wende gelesen: Hin zu den Wurzeln des modernen Amerika, zu Sprache und Lebensumständen der oft illegalen Latinos in den armen Vorstädten, ohne deren schlecht bezahlte Arbeit die Weltmacht kollabieren würde.Safe behält diese Perspektive bei. Es geht wieder um Lynwood in South Los Angeles, beherrscht von Gangs und ihren komplexen Hierarchien. Zwei Männer, die beide nicht mehr im System bleiben wollen, sind die abwechselnden Erzähler. Safeknacker Ghost, nach einer Drogenkarriere, die ihn zum todgeweihten Tumorpatienten gemacht hat, nutzt seinen Job als freier Mitarbeiter der Drogenbehörde DEA, um die Safes Drogenbarone zu entleeren. Es ist September 2008, und die geraubten Millionen sollen seine Ghetto-Kumpel vor den Folgen der Lehman-Pleite bewahren. Glasses, ebenfalls Latino, ebenfalls Ex-Junkie, ist die rechte Hand des Bosses Rooster und will aussteigen, sein legales Vermögen, das die DEA gesperrt hat, mit Frau und Kind in ein sicheres Leben überführen. Dem 1978 geborenen Gattis gelingt es, seine beiden Protagonisten in ein weiches Licht der Sympathie zu tauchen. Niemals zweifeln wir am unbedingten Willen der beiden Bösewichte zum Guten, nur an den Möglichkeiten, zum Ziel zu kommen.

Safe ist ein bewegender Noir-Roman, der gleichzeitig analytisch und emotional, politisch und herzzerreißend ist. Und der wie beiläufig eine der Forderungen erfüllt, die an zeitgemäße Kriminalliteratur zu stellen sind: zu zeigen, wie es zu und her geht auf der Welt.“ (Hanspeter Eggenberger, Tages-Anzeiger)

Auf  Platz 9: Der Abgrund in dirvon Dennis Lehane

Nach Michael Robotham (Die Rivalin, 2017) ist Dennis Lehane der zweite mir bekannte kapitale Autor, der auf die thematische Welle der von Autorinnen wie Gillian Flynn und Paula Hawkins initiierten Girl-Romane einschwenkt: Betrogene Frauen rächen sich, getäuschte, schwache Frauen erstarken, alles immer angesiedelt in der von Abstieg bedrohten Mittelschicht.
Wobei Lehane dem Thema einige raffinierte Wendungen abgewinnt, auch in ironischer Auseinandersetzung mit der männlichen Rolle des Betrügers und Frauenstabilisators, die mit einer überraschenden Wende zum Schluss vergnügt und einvernehmlich destruiert wird.

Statt weiterer Angaben verweise ich auf Hanspeter Eggenbergers Kolumne im Tages-Anzeiger, zumal sie routinemäßig mit Lehane scharfem ersten Satz einsetzt: „An einem Dienstag im Mai, im Alter von sechsunddreißig Jahren, erschoss Rachel ihren Mann.“

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