Kaffeehaussitzers Netzrückblick Fundstücke aus den Literaturblogs – August 2020

Uwe Kalkowski

Die Welt scheint aus den Fugen: Ein weit nach rechts abgedrifteter Autor veganer Kochbücher ruft zur Revolution gegen eine angeblich satanistische Regierung auf, esoterische Ökos demonstrieren gemeinsam mit faschistischen Feinden unserer Gesellschaft gegen Maßnahmen, die uns bisher einigermaßen sicher durch Pandemie-Zeiten gebracht haben – kein Romanautor könnte sich solche absurden Konstellationen ausdenken.

Zum Glück gibt es in diesen Wochen wenigstens einen Hauch Beständigkeit für uns, denn wie jeden August wurde auch dieses Jahr die Longlist des Deutschen Buchpreises verkündet. Und auch dieses Jahr sind wieder 20 Literaturblogs buchpreisbloggend am Start und werden die Longlisttitel auf ihren Kanälen vorstellen. Gesammelt werden alle Texte und Aktionen im Deutschen Buchpreis Blog. Unter dem Hashtag #buchpreisbloggen sind die Beiträge in den Sozialen Medien auffindbar.

Indie-Verlage haben es nie einfach und 2020 gilt das ganz besonders. Im Blog Leckere Kekse gibt es einen Beitrag, der zehn Bücher aus unabhängigen Verlagen empfiehlt, die im August erschienen sind. Eine schöne Auswahl, wie ich finde.

Einen sehr spannenden Text habe ich im Blog schiefgelesen entdeckt. Marion Rave schreibt unter dem Titel »Trojaner im Bücherregal« über sogenannte »Tarnschriften« – Bücher und Broschüren, die während des »Dritten Reiches« veröffentlicht wurden und mit einem unverdächtig klingenden Umschlag versehen Schriften des Widerstands enthielten.

Nach einer halbjährigen Pause gibt es im Blog Kulturgeschwätz wieder etwas zu lesen: Katharina Herrmann bespricht den Roman »Die Unschärfe der Welt»von Iris Wolff, der auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht. Das Buch kommt dabei nicht allzu gut weg, »die Sprache dieses Romans ist so laut, dass man die Figuren und die Handlung darunter nicht mehr hören kann.« Ganz anders sieht dies Gérard Otremba auf Sounds & Books, der »Die Unschärfe der Welt« als »Glücksfall für die deutsche Literatur« bezeichnet. Zwei sehr von mir geschätzte Blogs, zwei vollig konträre Meinungen: Das Buch liegt schon zum Lesen bereit und ich bin gespannt darauf.

Sounds & Books als Blog zu bezeichnen, trifft es dabei nicht ganz – die Seite ist schon längst ein Online-Magazin mit journalistischen Beiträgen über Bücher und Musik. Ähnlich ist diese Entwicklung bei 54Books zu beobachten: Als Blog gestartet bewegt sich auch diese Seite in Richtung Online-Magazin und wird mittlerweile von einem ganzen Team betreut.

Am 30. August ist der Geburtstag von Mary Shelley und pünktlich dazu erschien im Blog Fiktion fetzt ein wunderbar ausführlicher Beitrag über Shelleys berühmten Roman »Frankenstein«.

Aufklappen ist ein Blog, in dem ich in letzter Zeit viele lesenswerte Beiträge gefunden habe. Der Hinweis auf einen davon hätte eigentlich noch in die Juli-Kolumne gehört, aber ein Spontan-Interview mit Christian Kracht kann man ja immer lesen.

Hegels 250. Geburtstag wurde in vielen Medien zum Anlass genommen, sich mit diesem Denker zu beschäftigen. Sehr empfehlen möchte ich den Text von Lars Hartmann im Blog Aisthesis.

Bücher, über die gerade gefühlt alle reden, sucht man im Blog von Lena Riess meist vergeblich. Dafür bietet er immer wieder echte Entdeckungen; wie etwa mit der Buchvorstellung von »Die Wende im Leben des jungen W.« des Autors Frederic Wianka. Große Blogempfehlung!

Das von Thomas Böhm und Carsten Pfeiffer herausgegebene Buch »Die Wunderkammer der deutschen Sprache« aus dem Verlag Das kulturelle Gedächtnis ist ein echtes Gesamtkunstwerk. Manchmal blättere ich darin und finde stets eine Stelle zum Festlesen. Bloggerin Katharina Hoppe stellt dieses Werk im Literaturblog Gassenhauer vor – und nach der Lektüre des Beitrags möchte man sich sofort auf den Weg zur Buchhandlung des Vertrauens machen, um dieses Schmuckstück zu erwerben.

Im Blog Of Things Past and Imagined habe ich einen Beitrag gefunden, der eigentlich nichts mit Literatur zu tun hat. Als großer Caspar-David-Friedrich-Fan muss ich aber unbedingt darauf hinweisen. Er trägt den den Titel »Caspar David Friedrich – a pilgrimage« und ist der Bericht einer Reise auf den Spuren des Meisters. Mit vielen Bildern.

Seit vier Jahren gibt es jetzt diesen Netzrückblick. Auf Kaffeehaussitzer habe ich darüber geschrieben, wie die Kolumne zustandekam und warum sie mir wichtig ist.

Und zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Am 17. September heißt es »Über Literatur reden«. In der Koblenzer Buchhandlung Reuffel spreche ich mit Geschäftsführer Robert Duchstein über die bunte Welt der Literaturblogs, über Lieblingsbücher, über Leseerlebnisse und über Literaturkritik. Und natürlich gibt es viele Buchtipps und Literaturempfehlungen.

Uwe Kalkowski ist seit über 25 Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler, als Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig und als Mitarbeiter verschiedener Verlage. Seit August 2019 arbeitet er als Produktmanager für den Eichborn Verlag. In seinem Blog Kaffeehaussitzer schreibt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse und stellt in der monatlichen Kolumne »Kaffeehaussitzers Netzrückblick« auf buchmarkt.de lesenswerte Fundstücke aus den unterschiedlichsten Literaturblogs vor. „Vollkommen subjektiv, handverlesen und rein persönlich ausgewählt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn eine solche kann es in einer so vielschichtigen Szene gar nicht geben“, wie er sagt.

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