Gibt es eine Pflicht, Titel zu verlegen, für die kaum Leser existieren?

Es ist eine anrührende Elegie, die Eleonore Büning im Feuilleton der heutigen FAZ anlässlich des Festes zu Ehren von Uwe Schweikert im Treppenhaus der Stuttgarter Musikhochschule verfasst hat. Eine Würdigung, die Uwe Schweikert voll verdient hat, der über gut dreißig Jahre – zunächst vor allem im literaturwissenschaftlichen Bereich – als Lektor bei J.B. Metzer wirkte und dort seit 1992 ein herausragendes Musikbuchprogramm aufbaute und betreute.

Auch wenn er also nicht, wie in der FAZ zu lesen steht, „seit mehr als dreißig Jahren für das Musikprogramm verantwortlicher Lektor beim J.B. Metzler Verlag war“, ist es traurig, dass er „seinen Arbeitsvertrag zum Ende vergangenen Jahres auflösen müssen“ hat. Und es spricht für die außergewöhnliche Qualität seiner Lektoratstätigkeit, dass seine – bedeutenden – Autoren aus Literatur- und Musikwissenschaft für ihn einen Abschied veranstalteten, zu dem alle, alle kamen.

Es war natürlich auch ein Akt des Protestes gegen Schweikerts Entlassung. Ein Event, in dessen Planung deshalb – durchaus verständlich – der Verlag nicht eingeweiht, zu dem er auch nicht eingeladen wurde. Nur kann man dann wohl nicht, wie Eleonore Büning es tut, den Stich anbringen: “Leonhard Scheuch vom Bärenreiter Verlag spendierte das Buffet, wozu es bei Metzler selbst nicht reichte.“

Ihr Bericht ist freilich noch in anderen Punkten mangelhaft recherchiert – oder ist er bewusst tendenziös?

„Die (bisherige) Stelle (Schweikerts) entfällt.“ Das ist richtig. „Es gibt keinen Nachfolger“. Das ist falsch.

Uwe Schweikert hat nämlich einen Nachfolger: Oliver Schütze, ein Literatur- und Musikwissenschaftler auch er, und schon seit acht Jahren in dem Verlag tätig, wo er, auch für den Musikbereich, mit Schweikert, den er bewundert, eng zusammengearbeitet hat. Insofern ist der Eindruck ebenfalls falsch, den der Bericht erweckt, dass es bei Metzler in Zukunft keine Musikwissenschaft mehr geben wird. Der Verlag reduziert sein Gesamtprogramm von zirka 100 auf etwa 70 Novitäten pro Jahr. Er wird sich in allen Bereichen, inklusive Musik, stark auf Lexika und Handbücher konzentrieren und dort übrigens die Kooperation mit Bärenreiter fortsetzen. Von den Programmkürzungen betroffen sind vor allem Monographien; an ihnen brachte Uwe Schweikert im Musikprogramm jährlich rund zehn Titel heraus.

Die wird es in der Regel also nicht mehr geben. Ein Jammer, keine Frage – “das breite und in seiner Offenheit einzigartige Metzler-Musikprogramm“ enthielt nämlich exzeptionelle, wichtige Werke. Doch sie haben nicht genügend Käufer und Leser gefunden. Für den Verlag bedeutet es: „Geschriebenes über Musik, und sei es noch so maßstäblich, rechnet sich nicht.“ Eine zutreffende Feststellung, die allerdings untertreibt: Solche Titel verursachen nämlich offenbar herbe Verluste.

In einem hat Frau Büning zweifellos wiederum recht: „Die Lücke ist gewaltig“, welche das Einstellen der Metzler-Musikmonographien reißt. „Sie wird weder von mutigen Ein-Mann-Verlagen geschlossen werden können noch von den auf Verkäuflichkeit angewiesenen Mittelgroßen der Branche wie Henschel oder Metzlers Kooperationspartner Bärenreiter.“

Und jetzt wird’s interessant. Wer ist an der Misere schuld? Wer ist für das Entstehen dieser Lücke verantwortlich? Ein Konzern. Denn, wie es in der FAZ heißt: „Metzler gehört zur Holtzbrinck-Gruppe, wo schon seit geraumer Zeit die Controller regieren.“

Folgen wir der Logik Eleonore Bünings. Bücher, wie sie bislang bei J.B. Metzler erschienen, sind so wenig verkäuflich, dass kein anderer, kleiner oder mittelgroßer, Verlag sich ihre Publikation leisten könnte.

Halt, einen Augenblick bitte: Da wird ja quasi unterstellt, J.B. Metzler sei ein Riesenbetrieb. Er hat jedoch gerade mal einen Jahresumsatz von rund 4 Millionen Euro. Die Zahl entspricht, gesamtwirtschaftlich betrachtet, einem kleinen Familienunternehmen; und in der Buchbranche eher einem Haus an der Untergrenze von mittelgroßen Firmen. Damit ist J.B. Metzler kaum viel größer als Bärenreiter und unwesentlich größer als Henschel. Oder Felix Meiner. Oder Vittorio Klostermann. Wie sollte, wie kann Metzler also nach anderen Geschäfts- und Programmgesichtspunkten vorgehen als sie?

Für Verlagsleiter kleiner Konzerntöchter gelten gemeinhin die gleichen ökonomischen Grundbedingungen und Richtlinien wie für Eigentümer/Verleger unabhängiger Häuser etwa gleicher Größe. Sie alle sind, auch nach dem neuen Preisbindungsgesetz, zwar verpflichtet zur Quersubventionierung, d.h. sie können nicht einfach bloß erfolgsträchtige Titel planen. Aber wer dauerhaft Verluste erwirtschaftet, gerät hier wie da in die Bredouille. Er muss auf die Realitäten des Buchgeschäfts und der Ökonomie umstellen, oder er geht unter. Mit dem (manchmal durchaus zu Recht kritisierten) Controlling in Konzernen hat das soweit nicht das Mindeste zu tun.

Hinter der Argumentationslinie von Eleonore Büning steht freilich noch ein anderer Anspruch, um nicht zu sagen: eine prinzipielle Forderung, nämlich: Ein Konzern habe seine Kulturtöchter gefälligst jenseits aller Wirtschaftsräson agieren zu lassen, vulgo: er müsse sie subventionieren, abseits aller ökonomischen Vernunft frei laufen lassen, damit sie Bücher herausbringen, deren Publikation keinem Verlag sonst, weil absehbar nur geringer Leserkreis vorhanden ist, zumutbar wäre.

Mit welchem Recht aber wird so J.B. Metzler bestritten, was anderen, unabhängigen kleinen und mittelgroßen Verlagen eingeräumt wird – dass sie ihre Programmentscheidenden gemäß Verkäuflichkeit treffen? Wieso könnte denn ein kleiner anspruchsvoller Konzernverlag wie Metzler etwa nicht auf die Verkäuflichkeit seiner Novitäten angewiesen sein? Und welches Gesetz, welcher kategorische Imperativ von Moral, welche Instanz könnte einen Konzern darauf verpflichten, offenen Auges Titel zu produzieren, für die so wenig Bedarf existiert, dass sie einen bedeutenden Verlag gefährden?

Fragen über Fragen.

Übrigens: Uwe Schweikert ist Jahrgang 1941 – ein Lektor, der tatsächlich unersetzbar scheint. Mit der – selbst wenn forcierten – Auflösung seines Arbeitsvertrages zum Ende vergangenen Jahres – jedoch hat er fast das übliche Pensionsalter erreicht. Schändlich davongejagt worden ist er also keineswegs. Er wird weiterhin aktiv für J.B. Metzler tätig sein.

Außerdem: Er hat als Programmgestalter für Literaturwissenschaft Verlagsgeschichte gemacht und für Musikwissenschaft seit 1992 Zeichen gesetzt. Möglich gewesen ist das unter der großzügigen, liberalen Verlagsleitung von Günther Schweizer in den Zeiten des intellektuellen und kulturellen Auf- und Umbruchs seit den 1960er und 70er Jahren, den J.B. Metzler – dank Schweitzer und Schweikert – aktiv mitgestalten konnte. Diese Zeiten sind vorbei. So zu tun, als ob sie noch immer florierten, wäre verlegerisch Selbstmord – und fragwürdiges Mäzenatentum. Auch die FAZ ist nicht mehr ganz das, was sie noch vor drei Jahren war. Sollten Feuilletonredakteure die Veränderungen in ihrem Printmedium, die schließlich auch aus wirtschaftlichen Veränderungen notwendig wurden, nicht mitbedenken, bevor sie Buchverlagen und –konzernen utopische Forderungen stellen?

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