Der Messe-Mayer Leipziger Samstag

Liebe Freunde,

ich weiß, dass Ronald Pofalla nicht „Profalla“ heißt. Aber das stammt aus einer Pressekonferenz, wo Kollegen das Wort „Krise“ mit „ie“ schreiben, und da hielt ich es für zitierenswert.

Heute war Messesamstag. Das steht für mehrere Dinge.

1.: Die Besucherströme waren sehr hoch. Entsetzliche Staus in den Röhren. Viele, viele CosPlayer in aberwitzigen Kostümen.

2.: Weil ich gestern nacht in der Moritzbastei war, geht es mir heute nicht gut. Es ist beispielsweise sehr hell draußen.

3.: Die geballte Ladung der Messepromis ist an diesem Samstag auf der Messe, das heißt, ich habe ALLE meine Interviews heute.

Und bevor Punkt 3 richtig losgeht, krieche ich also erst mal ein paar Besuche machen. Mein langjähriger Haus- und Hof-Software-Berater mit der besten Hotline der Welt, Michael Spartmann, gibt mir etwas Wasser, das ich mit zitternden Händen, kochendem Popf und roten Augen trinke.
Pochendem Kopf meine ich.

Danke, Samariter Du.

Das gibt mir gerade genügend Kraft, mich zu Edition XXL zu schleppen, wo ich trotz (wenn nicht wegen) meines Zustandes einen Heißhunger auf eine gute Odenwälder Rindswurst mit viel, viiiel Senf stille.
Hademar Bankhofer wird mir später noch bestätigen, dass Senf eine gute Wahl war.

So eine Ruine
Und auch Danke Euch, Ihr Spender des Senfes.

Ob Stefan Richter den Sinn einer Publikumsmesse verkennt, wenn er sich über die schulklassenbegründete Verdrängung von Fachpublikum auszweifelt? Allerdings ist Stefan Richter mit seinem Verlag in der Mangahölle in Halle Zwei untergebracht, und das ist am Messesamstag ein hartes Brot.

Zumindest, wenn man irgendwie so gar nichts mit Mangas zu tun hat.

Aber immerhin: Die Wurst (und mehr noch der viele Senf!) haben meinem geschundenen Körper gut getan, und gestärkt und dankbar mache ich mich auf den Weg zu meinem Interview-Block, den ich dieses Jahr bei Kiepenheuer & Witsch habe.

Ich versuche, meine Zustandshebung noch mit Kaffee und Orangensaft abzuschließen, aber der Kaffee bei Kiepenheuer gehört leider nicht zu den besten. Ich wollte ja nichts sagen, aber das unterschwellige Kaffeeverhalten der KiWi-Mitarbeiter scheint das zu bestätigen.

Was, bitteschön, ist denn unterschwelliges Kaffeeverhalten?

Herr Kiepenheuer und Frau Witsch haben mir drei Interviews mit feinen Autoren zugesagt, und die sind ein schöner Querschnitt durch die KiWi-eigene Melange aus Niveau und und Komik.

Als ersten darf ich Bastian Sick interviewen, der dem Buchhandel und der deutschen Sprache einen Erdrutsch beschert hat. Als eine Zivilfrau Herrn Sick für Standpersonal hält, will er ihr auf die Sprünge helfen und sagt „Ich verlege keine Bücher, ich schreibe sie.“ Die Frau kann aber mit Sick nichts anfangen, und da drückt er ihr subtil eines seiner Bücher ihr Gesicht.

So einer ist der Sick also.

Bastian Sick, in jungen Jahren bereits Sprechblasenkorrektor bei Carlsen Comics, kann sich über Lob sehr freuen und über Kritik sehr aufregen; und „Hausmeister der deutschen Sprache“ ist sicher eine der netteren Schmähungen. Insgesamt hätte Bastian Sick lieber, dass man ihn ins Gespräch miteinbezieht, anstatt hinter seinem Rücken lustige Schmähungen zu ersinnen und in Druck zu geben wie die lieben Kollegen von der FAZ.

Ist, so frage ich, die deutsche Sprache nach der Rechtschreibreform nicht offener denn je, was Veränderungen angeht? Die Reform sei ein völlig misslungenes staatliches Projekt gewesen, über das Sick auch wirklich nicht mehr gerne reden will. Inzwischen haben sich die sinnvolleren Regeln herauskristallisiert, und das Thema hat sich gottlob beruhigt.

Ich erfahre, dass viele der alten Regeln beispielsweise nur aus Gründen des Bleisatzes aufgestellt wurden. Weil Setzer damals über eine „st“-Letter verfügten, hat sich das untrennbare „st“ auch im Schriftdeutsch durchgesetzt.

Ich frage, ob durch diese Verwirrung nicht auch ein kreativer Freiraum entsteht. Aber diesen Freiraum, so Sick, habe es schon immer gegeben, aber vielen diene das als Vorwand für nachlässiges Schreiben.

Sportlerzitate seien wieder ein ganz anderes Thema. Ein beliebtes zwar, aber Sick gibt zu, dass er ja auch kein Fußball spielen könne. So unfair es natürlich sei, sich über mangelnde Rhethorik zu belustigen, gebe es natürlich auch Stilblüten, die bewahrt gehören, weil sie so gelungen sind (und nicht, weil sie so misslungen sind).

Als ich Sick frage, ob er nur noch von Lizenzen lebe oder auch irgendwann mal was neues macht, guckt er für eine Sekunde wie Désirée Nick, aber dann verweist er beflissen auf den 4. Teil von „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Das war nun nicht gerade das, was ich mir unter etwas Neuem vorstelle, aber andererseits lesen Sie ja auch auf jeder Messe dasselbe von mir.

Sicks Stammleser rekrutieren sich aus notorischen Besserwissern ebenso wie aus Legasthenikern; und vielen Menschen nimmt er die Scheu vor grammatischen Regeln, aber er löst auch viel Befangenheit bei seinen eigenen Bekannten aus.

Aber, falls das ein Trost ist: Auch Bastian Sick mag es nicht, dass man jedes seiner eigenen Worte auf die Goldwaage legt.
Sick beklagt sich zwar über die Einfallslosigkeit seiner vielen Nachahmer, aber er hat eben nicht nur eine Lücke gefüllt, sondern auch ein Genre geschaffen.

Sick: man ist sich selbst gute Sprache schuldig.

Auf den nächsten Autoren freue ich mich ganz besonders, aber da kann ich auch noch nicht ahnen, dass das Gespräch nicht wirklich eines wird. Oliver Polak hat mit „Ich darf das, ich bin Jude“ eine komische und flapsige Ich-Erzählung über seine Wurzeln und sein Leben erdichtet, oder, in eigenen Worten, „die Wahrheit und den Rest“.

Wenn man fragt, wie Journalisten mit ihm und seiner Arbeit umgehen, kann Polak grob in zwei Arten und Weisen trennen: Diejenigen, die kluge Fragen stellen und seine Arbeit thematisieren und durchleuchten; und diejenigen, die sich gerne den üblichen Katalog der jüdischen Klischees bestätigen lassen möchten.

Hmmm. Ich streiche beschämt die Hälfte meiner gojischen Fragen und gestehe mir ein, dass es auch noch eine Welt jenseits von Woody Allen gibt.

Dennoch frage ich, wie Polaks Mutter das Buch gefallen hat, weil sie darin recht beeindruckend karikiert wird. Sie fand das Buch amüsant und hofft darauf, dass es ein Erfolg wird, damit sie ihr eigenes Buch nachschieben kann: „Jetzt spricht die Mutter“.

Selbst als ich nach künstlerischen Vorbildern frage und auf Antworten wie „Groucho Marx“ oder „Isaac Singer“ hoffe, passt Polaks Antwort – Udo Jürgens – in keines der Klischees, die ich liebevoll wie ein gemachtes Bett vorbereitet habe. Ob jüdischer Humor auf deutschem Boden am besten Nahrung findet, muss ich also doch lieber mit Henryk Broder klären.

Polak tut es beinahe richtiggehend leid, dass er mir nicht weiter entgegenkommen konnte. Ich habe aber Verständnis. Nur weil er mit jüdischen Klischees arbeitet, will er nicht selber wie eines behandelt werden. Aber wir verabschieden uns freundlich, und ich hoffe dann also ebenfalls mal darauf, dass Mutter ihr Buch veröffentlicht und ich mein Interview nochmal von vorne führen kann.

Frontpräsentation in 12 Sekunden aufgebaut

Mein letztes Gespräch bei KiWi, aber nicht mein letztes für den Tag, habe ich mit Martin Sonneborn, dem ehemaligen Chefredakteur der Titanic. Als Gründer der PARTEI hat er sich die erneute Teilung Deutschlands mit demokratischen Mitteln vorgenommen, das PARTEIbuch ist bei KiWi frisch erschienen. Da dieses Vorhaben durch seine vielfältigen ironischen Brechungen (zwei, so Sonneborn) nicht leicht zu verstehen ist, halten viele Menschen das leider für einen Witz oder eine Satire.

Die Veröffentlichung des PARTEIbuches bei einem Verlag mit Humor trägt zu dieser missverständlichen Ironisierung natürlich noch bei, von daher war Kiepenheuer vielleicht nicht die klügste Wahl. Andererseits ist es ein positives und wichtiges Signal, wenn ein mittelständisches Unternehmen wie Kiepenheuer & Witsch mit 30 Personen in die PARTEI eintritt.

Ich frage, ob es Timing oder Zufall ist, dass sein Buch gerade zum 20jährigen Jubiläum des Mauerfalls erscheint. Das sei Zufall, denn die Geschichte, so der Parteivorsitzende, schreibt den roten Faden immer erst hinterher.

Ich frage, ob man ihm auch schon Opferverhöhnung vorgewofen hat. „Viel zu selten“, so Sonneborn. Es gebe zu wenig Auseinandersetzung mit den Parteiinhalten auf dieser Ebene.

Sonneborn entgeht nicht, dass mich meine charmante Mischung aus Verschlagenheit und Einfaltspinseltum für die Politik prädestiniert. Das gefällt ihm, und er bietet mir einen Ministerposten an. Sonneborn bietet zwar jedem, den er trifft, ein Amt an, aber dennoch beginnen meine korrupten Augen zu glänzen. Das ist wahrscheinlich eine Sternstunde in meiner halbseidenen Journalistenlaufbahn; vom Parteivorsitzenden Sonneborn zum Buchminister ernannt zu werden. Allerdings erst nach der demokratischen Machtübernahme.

Meine erste Amtshandlung könne sicher ein verbindlicher Bildungskanon für die Deutschen sein.

Einer nur? Einen pro Monat, sage ich!

Und so endet meine kleine Talkrunde: Ausführlich mit Sick, am Thema vorbei mit Polak, und äußerst erfolgreich mit Sonneborn.

Ob es geholfen hätte, wenn ich Oliver Polak meinen eigenen Rabbiner gezeigt hätte? Der hat mich nämlich auf der Messe besucht:

Adrian Schell, (rechts) ehemaliger dtv-Mitarbeiter, alter Buchhandelskollege und baldiger Rabbi, und der Humangenetiker Dr. med. Chayim Schell-Apacik, (links). Ja, solche interessanten Leute besuchen mich.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag übrigens

Aber auch Kollege Faure kriegt interessanten Besuch oder tätigt selber welchen. Und weil ich hier immer so schön täglich meinen Senf ins Internet drücke, schmuggeln mir die lieben Kollegen ebenfalls den ein oder anderen Abzubildenden unter.

Zwei Stück Ostgeschichte

Hier haben wir Tatortkommissardarsteller Peter Sodann und Eulenspiegel-Chef Matthias Oehme bei uns am BuchMarkt-Stand. Sodann befasst sich intensiv mit der Büchervermüllung der Nachwendezeit, das können Sie gerne hier nachlesen.

Und hier hat Herr Faure Willy Vlautin abgelichtet, den Sänger von Richmond Fontaine, der beim Berlin-Verlag seinen zweiten Roman herausgebracht hat. Auf dem Foto wird er in zweiter Stimme begleitet von Verlagsvertreter Raphael Pfaff.

Rock´n´Roll goes Country goes Literature

Aber zurück zu meinen eigenen Beiträgen. Die sind zwar nicht so relevant, aber dafür viel niedlicher. Hier hat sich der Bleilaus-Verlag eine schöne Aktion einfallen lassen, die dem Geist einer Buchmesse entspricht: Kinder können eigene Druckvorlagen herstellen und sie dann auch drucken!

Und vom Druckmachen versteht
mein Sohn natürlich was

Und da mein Filius mich auf jeder Buchmesse besucht, kann er sich hier schon mal von der Pike auf umgucken. Ich erinnere mich noch daran, als sei es erst gestern gewesen, dass ich hier meinen ersten Messe-Mayer in Linoleumplatten geschnitzt und vervielfältigt habe.

Mein letztes Interview für heute und für diese Messe habe ich bei Südwest, und zwar mit keinem geringeren als Hademar Bankhofer! Ich wüsste zwar nicht, was ausgerechnet ich mit ausgerechnet einem solchen Gesundheitsguru zu besprechen hätte, aber bei Herrn Bankhofer braucht man irgendwie auch gar kein Thema. Das plaudert sich fast wie von alleine.

„Neid muss man sich verdienen.“

Ich setze mich erst mal zu ihm, während er Autogramme schreibt. Der Strom der Fans reißt nämlich nicht ab, und artig fragt Bankhofer immer wieder mit österreichischem Schmäh: Für die Mutti oder die Oma?
Ich merke schon, das wird lustig. Und ich bin noch keine Minute da und verstehe bereits, warum mir so viele Leute sagten, dass Bankhofer und ich uns gewiss prächtig verstehen würden.

Das skurrile an dieser Autogrammschlange war aber nicht ihre immense Länge, sondern dass jeder zweite oder dritte mit einer besonderen Frage oder einem Problem aufwartete, und während Bankhofer das Autogramm widmete, schmähte er Dinge wie „Da nehmen’s einen Mutterhimbeerensaft pro Tag, das baut die Zelle wieder mit Vitamin D auf.“ Oder so ähnlich.

Seidentuch und Halbseidentuch

Sagenhaft. Eine Audienzschlange beim Erfinder der U-Medizin. Uns eint auch, dass wir beide etliche Studiengänge abgebrochen haben, die sich im Lebenslauf eigentlich gut gemacht hätten und dass wir die frühen Monty-Python-Sachen mögen.

Ich versuche Herrn Bankhofer zu erklären, dass ich kein seriöser Journalist sei, aber darauf fällt er nicht herein. Ich frage, ob er der letzte Universalgelehrte sei; und er sagt, in einer Welt der Verfachlichung sei er der letzte Laie. Ob es denn nicht schon zu viel Literatur dieser Art gebe, frage ich. Ich solle doch auch anderen Autoren ihre Chance lassen, sagt er.

Ich will ihm eine harte Nuss geben und erzähle ihm von der Gesamtheit meines ungesunden Lebenswandels: Der viele Kaffee, der wenige Schlaf und das unausgewogene Essen – aber auch darin lässt Bankhofer sich nicht aufs Glatteis führen. Solange ich so viel Spaß bei der Arbeit habe, brauche ich mich gar nicht wie Charles Bukowski aufzuführen. Herr Bankhofer erkennt eine Glückshormonfabrik, wenn er eine sieht.

So spricht man mit den Menschen!

Wir unterhalten uns jedenfalls so prächtig, dass Bankhofer nach einer halben Stunde sagt: „Jetzt müssen wir aber wirklich mit Ihrem Interview anfangen!“ Und ich sage: „Das war doch das Interview!“ Und dann lachen wir wieder beide, und Bankhofer lässt noch eine Anekdote springen.

Hinterher lässt uns Daniela Völker von Random House in den Lagerraum, wo wir ein wenig vom Random-House-Häppchen-Buffet naschen dürfen.

Der Bankhofer und ich. Stehen naschend im Random House-Lager. Fehlt nur noch Peter Alexander.

Und dann dieses Halstuch!

Dieser Samstag neigt sich seinem Ende. Bei dem heutigen hohen Aufkommen an Mangoiden, pardon, CosPlayern habe ich mal versucht, die unbequemsten Kostüme zu fotografieren.

Einige dieser Leute nehmen sehr viel Unannehmlichkieten in Kauf, um eine perfekte Kostümierung zu erreichen.

Wer soll das sein?
Idefix?

Und hier, noch ein Hundewesen, eine auffallend mühevolle Schöpfung namens Wild-Wolf.
Der hat sogar beim Sprechen seine Schnauze bewegt.

Man sagt ja, die können Angst riechen

Aber am allerdurchdachtesten war, dass diese Maske sogar trinkfähig war:

Angst riechen und Cola saufen.

Und am allermeisten freue ich alter Mann mich, wenn ich Kostüme sehe, die ich auch erkenne:

Super, Mario!

oder dieses hier, mein absoluter Favorit des Tages:

Cameron Diaz ist ein Nichts

So. Und das war mein Messesamstag. Zuerst kaum auf die Beine gekommen, und dann kaum wieder heim gekommen: In der herrlich abgeschiedenen, leeren Teilhalle 5 habe ich mich zur Erholung zum Gerümpel gesetzt und mich sofort malerisch in die Umgebung eingeschmiegt.

Und da sitze ich jetzt noch.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag,

Ihr

Matthias Mayer

herrmayer@hotmail.com

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