Der Messe-Mayer Sonntag: Menschen, Mangas und Maria

Liebe Freunde,

mein letzer Leipzigtag für dieses Jahr beginnt mit einem Interview. Die Biographie des Komikers und Schauspielers Markus Maria Profitlich ist bei Lübbe erschienen, und tatsächlich ist sie a) sehr lesenswert und b) natürlich sehr lustig.

Ich nehme gleich vorweg, dass ich noch kein Foto von Profitlich anbieten kann. Ich habe völlig vergessen, eins zu machen. Das ist mir noch nie passiert. Man plaudert und trinkt Kaffee und denkt gar nicht durch die Linse.
Also eigentlich schon. Ich habe Erdmännchenbücher und Roentgenwerbung fotografiert, alles mögliche, nur nicht Profitlich.

Roentgenwerbung bei Lübbe, aber kein Profitlichbild

Mayer: Markus Maria Profitlich schreibt ein Buch über sein Leben – wie kam es zu der Idee?

Profitlich: Eines meiner Lieblingsbücher ist „Tagebuch eines frommen Chaoten“ von Adrian Plass. Da hat mir der Stil unheimlich gut gefallen. Da habe ich mich gefragt: Wie wär’s, wenn Du auch mal ein Buch schreibst, Du hast ja schon einige Jahre hinter Dir, und es ist ja einiges passiert, und darüber kann man schreiben.

Die Tagebuchform ist ein kluger Schachzug, weil das gerade sehr in Mode ist?

Ja? Das wusste ich nicht.

Aber ob Tagebuch oder Fließtext, das Buch ist sehr komisch.

Das hat man auch gestern an der Lesung gemerkt – es wurde an den richtigen Stellen gelacht.

Es gibt in Ihrem Buch eine mysteriöse Lücke. Über die Zeit zwischen 1960 und 1964 gibt es keine Informationen über Sie! Was war zwischen null und vier Jahren?

(dramatisch:) Das war eine dunkle Zeit in meinem Leben, die ich hinter mir lassen wollte, darüber wollte ich nicht schreiben. Und ich möchte auch jetzt nicht darüber sprechen. Das könnte tiefe Wunden aufreißen.

Das heißt, ich muss das hinter Ihrem Rücken rauskriegen, mit Paparazzi-Methoden und dergleichen?

Ja, wahrscheinlich. Da sollten wir einen gesonderten Termin vereinbaren.

Sie haben Neil Armstrong dafür bewundert, auf dem Mond nicht aufs Klo zu müssen. Wussten Sie, dass Buzz Aldrian der erste Mensch war, der Stuhlgang auf dem Mond hatte?

Ehrlich? Wo steht das denn? Wo findet man sowas?

Im allmächtigen Internet.

Das ist eine Info, die man auch braucht.

Sie waren ja noch kein Hauptdarsteller in der Comedy-Szene, als sie in einem Pixar-Film eine Hauptrolle synchronisieren durften. (The Incredibles). Wie war das?

Das war das erste Mal überhaupt, dass ich so etwas gemacht habe, und dann direkt so eine Hauptrolle – das war grandios. Das war natürlich auch tierisch spannend. Ich wusste gar nicht, wie das funktioniert. Man hat keine Partner zum Anspielen, und man sieht oft nur so ein schwarz gepixeltes Bildchen statt des Originalfilms. Und selbst diese unkenntliche Pixelversion wird von zwei Security-Leuten aus Amerika herübergeflogen, damit ja keiner vorher etwas sieht. Das ist echt verrückt. Das war fünf Tage sehr, sehr anstrengend. Man muss viel Uh und Ah und Oh machen, jedes Geräusch, jede Schlägerei muss nachgemacht werden.

Haben Sie sich für die Figur beworben?

Nein, da wurde nichts gecastet. Die haben sich einfach meine Figur angesehen und gesagt, das passt. Es gibt Fotos, wo ich diese schwarze Maske aufhabe und ganz echt aussehe.

Flugangst, Zahnarztangst – wie ist da der aktuelle Stand?

Das ist mittlerweile viel besser.

War das wirklich so schlimm?

Ja. Als ich das erste mal geflogen bin, war ich über 30, in einem klapprigen Rosinenbomber – das war ein Erlebnis. Die Ängste sind weniger geworden, zum Zahnarzt gehe ich regelmäßig. Ich habe ein Zahnarztpärchen in Köln gefunden, die sehr liebevoll sind und sehr viel Narkose benutzen…
Und Fliegen ist durch den Beruf ja relativ unvermeidbar geworden. Daran habe ich mich mittleweile ein wenig gewöhnt. Obwohl – wenn es längere Strecken sind… (schaudert)

Ihr Leben mit abgebrochener Schule und all diesen harten, entwürdigenden Knochenjobs klingt sehr fröhlich und unverwüstlich.

Anders kommt man da auch nicht raus, denke ich. Wenn mich sowas jedes Mal runterzieht und ich nicht immer wieder aufgestanden wäre, dann säßen wir jetzt nicht hier.

Goethes Biographie hatte den Titel Dichtung und Wahrheit. Wie ist da bei Ihrem Buch das Verhältnis?

Die Geburt ist zum Beispiel 1:1 so passiert. Ich habe wirklich fast 14 Pfund gewogen, die Nonne ist wirklich mit mir rausgerannt. Natürlich gibt es Situationen, die wirklich nicht schön waren. Als Schweißer zu arbeiten oder die Kochlehre, das waren wirklich harte Knochenjobs, das musste ich dann ein wenig aufpimpen und lustigschreiben.

Jacky Drechsler hat Sie entdeckt?

Jawohl, beim Kölner Comedy Camp hat er mich entdeckt und verhaftet, eingeladen zu einem sehr kurzen Casting und gesagt Ja, mit Dir will ich was machen.

Ihr erster Auftrittspate war Bernd Stelter, sozusagen Ihr Mentor?

Ja, wir sind zwar gleich alt, aber er war mein Mentor. Ich bin der älteste Einsteiger im Comedy-Geschäft gewesen, der älteste Newcomer vor 15 Jahren, und da war er mein Mentor.

Haben Sie noch Kontakt?

Man trifft sich mal bei Galas oder so; ab und zu ruft er mich an und fragt, ob ich einen Job übernehmen kann.

Stelters Hausverlag ist ja auch Lübbe. Die beste Chance ihn mal wieder zu sehen, ist Samstags auf der Frankfurter Buchmesse beim Sekt am Stand.

Gute Idee, merke ich mir mal!

Haben Sie noch Fragen?

Wo gibt’s Essen?

Überall auf dieser Messe, man muss nur wissen, wo man schnorren kann. Fragen Sie mal bei Edition XXL nach, die haben Rindswurst aus dem Odenwald dabei und sind sehr nett.

(auf meine Ohren blickend) Und was stellen Sie so dar?

Ich bin das erwachsene Kontrastprogramm. Man muss nicht 16 sein, um sich lächerlich zu machen.

Das stimmt. Sie sollten erwägen, das auch privat zu tragen. Steht Ihnen gut!

Vielen Dank!
(Ende des Interviews)

Das war mein letzter Pflichttermin. Am abschließenden Sonntag war die Stimmung überall entspannt. Als ich am Info-Stand der Gemeinschaftsverlage der Schweiz fragte, welcher der Stände denn guten Kaffee anbieten könne, das sagte die nette Dame „Ach warten Sie, ich mache Ihnen grad einen“, anstatt mich irgendwo hinzuschicken.
Ich wollte sie in ein Gespräch über die Buchpreisbindung verwickeln und dann übers Knie legen, aber sie leugnete, jemals von so einer schrägen Verlautbarung gehört zu haben, als sie den cremigen Schümli serviert. Sie sehen also, liebe Leser, ich versuche es ja mit Journalismus, aber trotzdem kommt immer Kaffee heraus.

Und wissen’s: Für einen ganz winzigen Kapsomaten in einer hässlichen Kabine mit Telefonzellencharme hat dieser Kaffee exzellent geschmeckt!

Optisch fast in Zürich angekommen: Das Café der Schweizer Verlage

Selbst am letzten Messe-Tag schließe ich noch neue Verlagsfreundschaften und knüpfe internationale Bande. blue panther books heißt der Verlag, dessen kleine, säuische Leseproben hier überall auf der Messe für wahlweise Aufregung, Befremdung oder Lesevergnügen sorgen (siehe KBV-Verlag am Freitag). Wenn Sie sich daran erinnern, dass es neulich bei Weltbild Sand im Schamgetriebe gab – blue panther books hatte daran seinen verdienten Anteil. Natürlich hat auch dieser Verlag einen Stand, und der heißt:

Ah ja.

Der Schweineigel-CEO Matthias Heubach und ich sind jetzt neue Freunde!
War ja klar.

Ganz abseits vom Manga-Rummel finden ich ein differenziertes Graphic-Segment bei Knesebeck. Seit zwei Jahren bringt der Kunstverlag in diesem Gebiet beachtliche und innovative Comics, aber auch verloren geglaubte Schätze aus vergangenen Zeiten, z.B. die Woody-Allen-Strips von Stu Hample. Wahnsinn: Marcel Proust als Graphic Novel, jedes Jahr ein Band. Man möchte sich aber von dem Comic-Rummel in Halle 2 entschieden absetzen, und das ist mit so starkem Sortiment sicher ebenso verwegen wie berechtigt.

Marcel Ramirez ist aber nicht nur ein Kunstkenner, sondern auch sehr einfühlsam im Umgang mit korrupten Journalisten.

Kunst und Geschmack sind unser Ding

Musik aus Mazedonien hat man sich folgendermaßen vorzustellen: Ein vom Teufel besessener Mazedonier spielt auf zwei Batterien von Spirituosenflaschen, die er wahrscheinlich alle selber leergetrunken hat, lupenreinsten, extatischen Xylophon-Easy-Jazz, als müsse er gleich danach sterben. Dabei trommelt er auch auf Bücher, Tische und Regale, greint und singt und swingt; ein musikalisches Al Jarreau Tremens, wie ich es noch nie gehört habe.

Zugang zur mazedonischen Literatur hergestellt.

Ich verlasse den Stand mit zwei CDs und dem irritiernden Gefühl, dass Zoran Madzirov sich bis in meine Seele hineingeklimpert hat. Das kenne ich sonst nur von Kaffee.

Aber nun soll es genügen mit Namedropping, Literatur und Messeleistung, denn es folgt mein versprochener Cosplay-Teil. Wobei – auch dieses hat für mich seinen Anteil an der Wahrnehmung von Literatur. Die Plattform für all diese Befremdung ist eine lobenswerte Messeleistung, und das Namedropping der besten Figuren kommt im Anschluss.

Sogar am Hotel trifft man junge Ladies, die auf eine Kutsche zu warten scheinen.

Heda, trage er mir den Hartschalenkoffer!

Lobenswert bei all dieser Effekthascherei: dem klassischen Indianerlook wieder eine Chance zu geben.

Nur Cowboys und Matrosen habe ich hier keine gesehen.

Hier weiß ich nicht genau, ob es eine Mangafigur namens Krankenschwester Flittchen gibt oder so. Ich brauche dringend einen Insider, der in diesem ganzen Kram bewandert ist.

WTF? Was Karasek wohl dazu sagen würde?

Besonderes Augenmerk möchte ich auch den Schluris schenken, die – eher wie ich – das Symbol selbst zur Verkleidung machen und einen koketten Minimalismus zur Schau tragen. Ich freue mich sehr, dass meine Öhrchen in der Szene ein Hingucker sind.

Guy Fawkes: Statement oder Vendetta?

Ein Anti-Gandalf mit grünem Handtuch, einem Stecken und einem Eimer auf dem Kopf betont seinen individuellen Zugang zur Tradition…

…und verdient ein Foto und meinen Respekt.

Ein Phänomen, das ja eher in Wibke Ladwigs Ressort fällt: Tatsächlich habe ich einen einzigen CosPlayer gesehen, der sich als Internet-Meme verkleidet hat. Das Web als Schablone funktioniert also auch als Dresscode.

Cereal Breakfeast Man auf der Messe…
…und im Rage Comic

Die besten Cosplay-Kostüme

Sie sehen, hier gibt es eine Menge zu betrachten, das über zwei Buchdeckel hinausgeht. Ich präsentiere Ihnen nun meine Favoriten, die dank ihrer Originalität, ihrer Akribie und nicht selten ihrer Opferbereitschaft einen Platz in dieser Galerie verdienen.

Als erstes kommt die Batman-Retro-Welle. Heath Ledgers Joker ist auch noch gelegentlich zu sehen, aber wer heutzutage noch Figuren wie den Riddler auspackt, verdient Beachtung:

Two Face alias Doppelgesicht alias Harvey Dent
Mr. Sphinx alias Edward Nigma alias der Riddler
Meow.

Sektion Star Wars, Kategorie Kultkopfgeldjäger:

Boba Fett und seine verschlissene Maske

Kategorie Extrapunkte für maximale Unbequemlichkeit bei gezeichneten / animierten Charakteren:

Gru & Agnes aus „Ich, einfach unverbesserlich“
Nibbles aus der Serie „Futurama“
Spielzeugsoldat aus „Toy Story“

Meine Top Vier für Anrührendheit und Gelungenheit:

Drollig: Captain Blackbeard, der zwischen Ustinov und One Piece oszilliert
Die vier haben sogar Flyer und eine Homepage: www.whoyagonnacall.de
Frappierende Gesichtsähnlichkeit
Verstehen Sie mich jetzt?
Ich durchlebe hier meine Kindheit nochmal.

Das war’s. Ich habe noch das ein oder andere Nonsens-Bild auf der Festplatte, das ich bisher noch nicht verwurstet habe. Zum Beispiel das nur scheinbar bequeme Holzbrillen-Lese-Kopf-Kunst-Ding-Objekt mit mir darinnen, fotografiert von Messefee Maren Ongsiek.

Ich weiß ja auch nicht.
gesehen bei den Buchkindern aus Leipzig

Meinen Messebericht schließe ich auch mit leiser Skepsis über die ein oder andere Entwicklung in unserer Branche. Der Fall der Schweizer Buchpreisbindung hat sich zwar noch nicht auf die Qualität des Kaffeeausschanks ausgewirkt, aber das wird nicht lange so bleiben.

Und obwohl wir seit Jahren über das eBook diskutieren, zeichnet sich am Horizont eine viel größere Bedrohung ab: Die Vererdmännchung des Buchhandels.

Wir sollten alle Kalender in Holländisch anbieten
gesehen und erlitten am Leipziger Hauptbahnhof

Ragna Sieckmann von Lübbe und Helena Josqi von der dpa suchen sogar nach Erdmännchen, anstatt sie zu meiden:

Was haben diese Viecher mit Waldo gemacht?

Wenn dieses Strohfeuer sich bitte auch wie eines verhalten möge, dann sind wir hoffentlich bis spätestens Leipzig 2013 damit durch. Bitte.

Aber so wird das natürlich nichts, liebe Buchhandlung Linnemann aus Paderborn:

Pfui! Aus! Böse Buchhändlerin!

…ich werde das alles im Auge behalten.

Ich bedanke mich für Ihr Interesse und die vielen Klicks;
ich bedanke mich bei allen Freunden des Messe-Mayers, die ihm Asyl, Nahrung, Geschenke und Informationen geben;
ich bedanke mich bei allen Verlagen, die mit Interviews und Ironie kooperieren;
ich bedanke mich bei Beate König für die Hilfe bei den Fotos, beim Diktat, beim Gucken und Denken;
ich wünsche allen Daheimgebliebenen alles Gute;
und ich verabschiede mich bis Oktober, bis Neuseeland und bis Frankfurt 2012!

Herzlichst,
Ihr
Matthias Mayer

Und jetzt erst mal zwei Tage schlafen.

herrmayer@hotmail.com
www.herrmayer.com

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