LIEBE FREUNDE,
herzlich willkommen auf der Leipziger Buchmesse 2015! Der Bücherfühling ist hiermit eingeläutet. Interessante Gesprächspartner warten auf mich, auch der Themenschwerpunkt Israel will gewürdigt sein – aber bis ich morgen von all dem berichten kann, halte ich Sie zum Eröffnungstage erst mal mit Fotos vom gestrigen Aufbau hin.
Verzeihung, das sollte ich Ihnen erst zum Schluss zeigen, also am Sonntag. Was hängen die das auch jetzt schon auf?
Da, das meinte ich eigentlich. Eine Papierblume aus Buch – welch schöneres Bild zum Auftakt kann es geben zwischen Inhalt und Anfassen.
Seien Sie versichert, dass ich aus den paar Stunden Messeaufbau nicht das Geringste an Relevanz herausholen konnte. Wenn mir partout nichts einfällt, kann ich Ihnen ja ein Foto von einer Katze oder einem Welpen zeigen. Man muss mit der Zeit gehen, und im Medium Internet sind Tierfotos ein Garant für Klicks.
Aber verlassen wir zunächst die Pfade des Schönen und wenden uns der Halle Manga zu:
HALLE EINS: MANGA CONVENTION
Wer hat das denn nun schon wieder an die Wand geschmiert?
„Wohin“ und „woher“ fragt uns der polnische Künstler, und ich glaube, das ist das Urmotto jeder Buchmesse.
Die Leipzigmesse ist das Mekka der CosPlayer und Mangaleser. Und Leipzig ist darauf eingestellt:
Hier ist es viel besser organisiert als in Frankfurt, wo man sich entweder im Flur umziehen muss oder vor dem Stand von Scientology.
Auch der asiatischen Folklore wird dekorativ angedient:
Oh, und ich habe ein Glücksrad gefunden, das museale Währungen annimmt:
Auf der Suche nach etwas Schlüpfigem – ein sexy Schmusekissen mit aufgedruckter Japanerin oder eine Targaryen-Tasse – war aber das schlüpfrigste, was ich finden konnte, das hier:
Da haben wir ja beide einen journalistischen Auftrag.
Auch für teenagergerechte Ernährung ist gesorgt, man kann wählen zwischen chinesischem Junkfood und amerikanischem Junkfood.
Dann gibt es Karton-Aufschriften, die in jeder anderen Halle erschreckend anmuten würden, aber in der Mangahalle ganz normal sind:
Die Grenzen aller Normalität hingegen sprengt diese verstörende Abscheulichkeit. Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen das zeigen soll, aber dann wieder ist es meine journalistische Pflicht:
Den Witz kapieren wieder nur zehn Leute.
Bis ich diesen Anblick wieder aus dem Kopf habe! Deshalb nehme ich mir jetzt die weniger aufreibenden Hallen vor, die mehr sachlichen und belletristischen.
HALLEN ZWEI, DREI, VIER UND FÜNF
Ich weiß nicht, ob das eine Art Wabi-Sabi-Chic sein soll oder eher den Grenzen der Machbarkeit geschuldet ist, aber früher war das Kaffeemobil ein weißer Ferrari.
Ob man davon auf den Kaffee schließen kann, muss ich noch testen.
Der hogwartsgediehene und bissbereicherte Carlsen-Verlag hängt auf jeder Messe eine neue Programmskulptur aus, aber das kackende Stinktier schießt ja den Vogel ab.
Jaja, ich habe den Witz schon verstanden. Es hat eine Klammer an der Nase. Trotzdem kackt es.
Aber das ist ja wenigstens noch lustighaft, ja, fast lustig. Das hier hingegen ist ja völlig ernst gemeint:
Dass die Ghostwriter einen eigenen Stand haben, finde ich bemerkenswert. Diese Zunft will ja doch eher diskret arbeiten, aber der Stand hat gar keinen Hintereingang für Prominente. Ob das was wird?
Als ich beim Insel-Verlag mit meinen Interviewpartnern in dieser Woche prahle, sagt der Insel-Verlag, sie hätten aber auch sehr gute Bücher, und hält mir ein Putzbuch vor die Linse.
Aber nicht nur bei den großen und niveauvollen Verlagen ist man vorwitzig. An allen Ecken und Enden benimmt man sich empörend:
Auch das sieht gefährlich aus:
Wenn man stürzt, muss man sich plötzlich ganz schnell entscheiden, woran man sich festklammern will, und schreckt womöglich vor Prinzessin Lillifee zurück oder hat Urmelangst.
Und hier will ich mir erst gar nicht vorstellen, was dieser arme Mann da machen muss. Das ist ja die allergefährlichste Position, die ich je gesehen habe:
Auf der Frankfurter Buchmesse hat ein Online-Portal für Buch- und Nonbookvertrieb namens Amazon mehrere leise Kleinstände im Messegeschehen eingebettet. Auf dieser Leipziger Messe hingegen fährt man nun einen neuen Kurs: Mit einem auffallenden, großen, offenen Stand mitsamt TV-Talk-Podium und sichtbaren Amazon-Schildern an zentraler Stelle setzt das schleimäugige Monster aus Seattle auf den Kundenkontakt, der in Leipzig zentraler Bestandteil des Messekonzeptes ist.
Und gar nicht schlecht gestaltet: Groß genug, um als großer Stand eines sympathischen mittleren Players durchzugehen, aber keinesfalls protzig. Etwa Kiepenheuer-Größe. Und – oh wie gerissen: schlichte Messe-System-Modul-Ausstattung bis hin zu den beschissenen Barhockern. Amazon hat ja genug Geld für drei Randomhouseflächen. Oder dreißig. Und dann so ein netter, vernünftiger Stand. Das ist gut, Amazon, sehr gut. Well played. Bis jetzt.
Bei Garten-Wellness-Pralinen-Wir-wollen-kein-Rentnerinnen-Verlag-mehr-sein BLV mache ich diese Woche auch noch meine Aufwartung, aber heute haben wir nur herumgealbert. Obwohl ich auch bei diesem Aufwartungsdings nichts anderes vorhabe. Aber zuerst mal brauche ich für meinen neuen Aktenkoffer einen Sticker, damit ich endlich wieder oben und unten unterscheiden kann.
Andererseits ist die Deko ja auch nicht schön: Grandiose Plastikkannen, die auf jeden Fall ein Hingucker sind. Und ein Blinzler und dann auch wieder ein Weggucker, aber erst mal nicht.
Wenn man nicht alles selber macht:
(Wo gibt es diese Dinger? bei KiK oder T€di?)
Dann bin ich bei den christlichen Verlagen vorbeigestolpert, und dachte bei „Am Anfang war das Wort“:
Aber deswegen stolperte ich gar nicht. Sondern darüber, dass es Luther lustigerweise auch als Papphocker gab, mit Philipp Melanchthon auf der anderen Seite. Aber das Schlimme ist, dass der ausgestanzte Eingriff genau in Melanchthons Gesicht ging.
Luther und Melanchthon – der hitzige Reformationscaptain Kirk und sein kühler Kopfbewahrerkumpel Spock als Pappschemel mit Drückgesichtern.
Grandioserweise habe ich hier auch eine kleine Mütterzentrale entdeckt: Kinderwagenparkplatz, Still- und Wickelraum!
Und drinnen ist es auch tatsächlich gar nicht mal so gemütlich.
Aber ich will nicht spotten: Es gibt sogar einen Fläschchenerwärmer!
Da steckt doch wieder Amazon dahinter…
Mit dem Frankfurtgastland Indonesien im kommenden Herbst werden wir noch viel Spaß haben. Also ich meine ja nur. Weil wir bereits jetzt schon sehr viel Spaß mit ihnen haben. Die sind alle schon da und freuen sich auf die Messe, obwohl sie beim Aufbau nicht gebraucht werden.
Und „nicht gebraucht werden“ hätte ich – gerade ich – auch ganz anders formulieren können.
Da freue ich mich ja schon auf die Indonesien-Happy-Hour am Donnerstag Abend.
DIE GLASHALLE
Die lichtarmen Leipziger Bunkerhallen stehen in starkem Kontrast mit der lichtdurchfluteten Glashalle, die die fünf Hallen verbindet und die aussieht, als wolle sie nach Gustave Eiffel aussehen.
In all den Jahren fällt mir auf, dass ich den Leipziger Messepreis immer aus dem gleichen Grund versäume: Weil die Gastland-Happy-Hour der Frankfurter Buchmesse zur gleichen Zeit stattfindet.
(So auch am heutigen Donnerstag, höhö, aber darüber morgen mehr, denn ich will wieder zu den lustigen Indonesen.)
Auf dem Blauen Sofa ist man auch schon müde:
Ein wenig Action verspricht dieses gefährlich rollernde Sicherheitspersonal, das dann die Treppe hinunterstürzt:
Aber ganz im Ernst interessant fand ich, dass jetzt auch in der Glashalle eine Chinabude steht. Die Glashalle ist ja sonst mehr der gediegeneren Kulinarik vorbehalten.
Und dann offenbarte sich mir der Haken an der ganzen Sache:
Tja. Kein Glutamat. Ich glaube, ich muss sofort ins Hotel, um diesen Schock zu verdauen. Ich weiß gar nicht, ob mein Körper das verstoffwechseln kann.
MEIN HOTEL
Ich hatte wieder die Auswahl zwischen Leipzig City, in der geselligen, kneipen- und kulturverwöhnten Innenstadt, oder im tristen Industriegebiet um die Messe herum.
Allerdings kam nach dieser Keinglutamatgeschichte gleich der nächste Schreck:
Na, dann werde ich doch gleich mal meine Joggingschuhe anziehen und zu diesem Kentucky Fried Chicken Verlag hinüberschlendern, der seit der letzten Messe hier aus dem Boden geschossen ist:
Das mache ich vielleicht sogar öfter, der Bewegung wegen!
BIS MORGEN
Ich wünsche Ihnen einen guten ersten Messetag (also allen, die mich morgens zum Frühstück oder zum Einstimmen lesen), oder gute Erholung (also allen, die mich abends zum Abschwellen der Füße lesen), oder spaßiges Fernschmunzeln (also allen, die mich lesen statt zur Messe zu gehen).
Ach ja, ich sagte ja, wenn mir heute partout nichts Aufregendes passiert, dann zeige ich Ihnen eben einen Welpen.
Herzliche Grüße,
Ihr
Matthias Mayer
Übrig gebliebenes Foto des Tages
Zum Messe-Mayer des 2. Tages: [mehr…]