Wenn das sz in Marketinghände fällt: Warum in Sachen Rechtschreibung auch Redakteuren von Springer-Zeitungen die Gäule durchgehen

Die Welt} – eine Tageszeitung, die zum Medienkonzern Axel Springer gehört, welcher jetzt neben dem Magazin Der Spiegel zur alten Rechtschreibung zurückkehrt und diesen Schritt zur Sache einer nationalen Kampagne machen zu wollen scheint – spießt in ihrer gestrigen Ausgabe die massiven Einwände der Schulbuchverlage gegen eine radikale Aufgabe der jetzigen neuen Rechtschreibung auf.

„Der Schulbuchverlag Ernst Klett, Stuttgart“, so schreibt Die Welt, „befürchtet einen ‚ökonomischen Riesenschaden‘, wenn die Rechtschreibreform zurückgenommen wird. ‚Allein die redaktionelle Überarbeitung der Bücher würde uns 25 bis 45 Millionen Euro kosten’, gibt der Geschäftsführer der Schulbuchsparte des Verlages, Johannes Leßmann, an. Rund 3000 Titel müssten überarbeitet werden, 25 bis 30 weitere Millionen Euro kämen noch hinzu, um den Lagerbestand auszumustern.“

Als „fadenscheinig“ bezeichnet Die Welt solche Äußerungen und die von Klett genannten Zahlen als „Phantasiesummen“. Da ist erst mal festzuhalten: Bei Klett hat man, wie dort Hannelore Ohle-Schmidt versichert, die durch eine Rückumstellung anfallenden Kosten „durchgerechnet“. Nichts gegen Dankwart Guratzsch, der den Welt-Artikel verfasst hat – er ist ein achtbarer und schätzenswerter Welt-Feuilletonredakteur. Doch in diesem Fall dürfte er jedenfalls nichts durchgerechnet haben – wie sollte er dazu auch imstande gewesen sein?

„Fadenscheinig“ sind darum wohl eher seine Behauptungen als die Erklärungen aus dem Hause Klett, der übrigens nicht dafür bekannt ist, mit riskanten Zahlen an die Öffentlichkeit zu treten. Die Axel Springer AG dagegen könnte vielleicht ein Interesse haben, ihre Kampagne für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung – die in etlichen Kreisen als verantwortungslos empfunden wird; der Literaturchef der Neuen Zürcher Zeitung, Roman Bucheli wagte rein ideelle Motive dort am vergangenen Montag vorsichtig in Zweifel zu ziehen – in einer Art Selbstrechtfertigung so darzustellen, als sei sie finanziell folgenlos: „Warum (Buch-) Verlage nichts befürchten müssen“, lautete denn auch der Untertitel besagten Artikels in Die Welt.

Doch schauen wir uns einmal die Argumente von Dankwart Guratzsch an.

„Wozu“, fragt er, „müssen Bücher eigentlich ‚redaktionell überarbeitet’ werden, wenn es lediglich darum geht, das Rechtschreibprogramm auszutauschen? Das funktioniert auf einfachen Knopfdruck, und schon ist die neue Druckfassung fertig.“

Holla. So einfach funktioniert das ja nicht einmal bei Zeitungen. Sollten beispielsweise die Nachrichtenagenturen, etwa dpa, mit Spiegel und Axel Springer gleichziehen, müssten Regional- und Lokalzeitungen, die bei der jetzigen neuen Rechtschreibung bleiben, wieder einen Haufen Korrektoren einstellen um ihren Lesern ein einheitlich orthographisches Bild zu bieten – was erhebliche Zusatzkosten verursachen würde, wie mir Chefredakteure bedeutet haben; und die meisten Regional- und Lokalzeitungen schwimmen auch nicht eben im Geld.

Im übrigen ist der Rechtschreib-Standard – also eine fehlerfreie korrekte Orthographie – bei Zeitungen nicht eben exemplarisch. Bei Schulbüchern aber muss er sehr hoch sein.

Außerdem hat Dankwart Guratsch vergessen, eine simple Tatsache zu berücksichtigen: Neue Rechtschreibprogramme werden so schnell gar nicht entwickelt und verfügbar sein. Selbst für die alte neue deutsche Rechtschreibung gibt es bis heute kein umfassendes elektronisches Programm, das den Ansprüchen von Zeitungs- und Zeitschriften genügen könnte. Was heißt…

Das zu diesem Punkt.

Wenden wir uns also der nächsten Welt – Behauptung zu: Als „ebenso unglaubwürdig“ bezeichnet Dankwart Guratzsch „die Angabe, dass Lagerbestände ‚ausgemustert’ werden müssten. In zahlreichen Verlagen sind heute sogar noch Lagerbestände in klassischer Rechtschreibung vorhanden. Sie könnten neu eingesetzt werden. Außerdem ist nie von einer Rückumstellung an einem Tag die Rede gewesen. Sehr viel wahrscheinlicher ist ein allmähliches ‚Herausschleichen’ aus der neuen Rechtschreibung. was… den überstürzten Neudruck von Schulbüchern unnötig machen würde.“

Aha. Wirklich? Aber nein. Erstens sind es nicht „zahlreiche Verlage“, in denen „noch Lagerbestände in klassischer Rechtschreibung vorhanden sind“. Das gilt nach meinen Recherchen nur für ein paar Verlage in Bayern, die bis vor kurzem noch 20 Jahre alte Schulbücher führten und absetzten; auch die werden zur Zeit ausgemustert. Und es stimmt zwar, dass die Schulbuchverlage nach Einführung der neuen Rechtschreibung für die offiziell lange Übergangsphase von neun Jahren eine Zeitlang eine beschränkte Anzahl Exemplare von Titeln am Lager hielten (und sie am Lager halten mussten): zu Zwecken der „Ausleihe“ – also des Austausches – im Fall von beschädigten Exemplaren bei Titeln, die in Schulen noch in Gebrauch waren. Auch das ist aber inzwischen passé. So sind auch in Stuttgart, wie Hannelore Ohle-Schmidt vom Klett Verlag sagt, vor kurzem sämtliche alten Lagerbestände “weggeworfen“ worden. Und selbst wenn dem nicht so wäre: Dass sie in Zukunft wieder, wie Dankwart Guratzsch behauptet, „neu eingesetzt werden könnten“, ist wahrlich eine mutige Behauptung. Denn seit die neue Rechtschreibung 1996 von den Kultusministern beschlossen und seit sie 1998 eingeführt wurde, hat sich – in den für Schulbüchern maßgeblichen – Bildungsprogrammen vieles verändert. Das alte Zeug ist inhaltlich weitgehend überholt und schlicht unbrauchbar.

Abgehakt.

Doch Die Welt führt ihre um Realitäten und Sachkenntnis unbekümmerte argumentative Engführung weiter fort:

„Noch viel unglaubwürdiger“, schreibt Dankwart Guratzsch, „ist es, wenn sich ausgerechnet deutsche Kultusminister nun plötzlich mit dem Kostenargument (der Verlage) solidarisieren. Denn es war gerade die Kultusministerkonferenz gewesen, die bei der Einführung der neuen Rechtschreibung die Kostenfrage in ihrer Dresdner Erklärung vom 25. 10. 1996 für unerheblich erklärt hatte: ‚Falsch ist der Vorwurf’, hieß es da, ‚dass durch die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung Kosten in Milliardenhöhe entstehen werden. Falsch zunächst einmal deshalb, weil es nicht stimmt, dass literarische Bücher neugedruckt werden müssen. Außerdem haben die Kultusminister bei ihrer Beschlussfassung im Dezember 1995 auch darauf geachtet, in dem Bereich, der tatsächlich betroffen ist, nämlich bei den Schulbüchern, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Kosten zu sparen. Durch die neunjährige Übergangsfrist für die Neuregelung der Rechtschreibung können Schulbücher – mit Ausnahme der Rechtschreiblernmittel – weitgehend im normalen Erneuerungsprozess ersetzt werden.“

„Warum soll dasselbe nicht bei der Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung gelten?“

Nun mal sachte. Der Reihe nach:

Erstens: Auch im literarischen Bereich mussten Bücher weithin neugedruckt werden , nämlich bei Kinder- und Jugendbüchern – weil viele Eltern es begreiflicherweise nicht hin nehmen wollten, dass hier eine von den Schulbüchern abweichende „alte“ Rechtschreibung gewahrt blieb. Eine Gesamtziffer der dadurch für die Kinder –und Jugendbuchverlage angefallenen Kosten ist mir nicht bekannt. Sie dürfte so unbeträchtlich nicht gewesen sein, wenn man deren jetzige starke Proteste gegen eine Umkehr in Erwägung zieht.

Zweitens: Die Kultusminister mögen ja am 25. Oktober 1996 erklärt haben, was sie wollten. Auch ihnen musste damals daran gelegen sein, die Folgekosten ihrer umstrittenen Politik für die Verlage generell und die Schulbuchverlage im besonderen herunter zu spielen. Im übrigen hatten sie von wirtschaftlichen Eigendynamiken so gut wie keine Ahnung.

Die Schulbücher sind, all ihren frommen Beteuerungen zum Trotz, dann eben nicht „weitgehend im normalen Erneuerungsturnus ersetzt“ worden. Einzelne, vor allem kleine Verlage (mit relativ geringen Titel- und Bestandszahlen) sind mit der neuen Rechtschreibung vorgeprescht, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber den Großen zu verschaffen. Das war ihr gutes Recht. Nur sahen die Großen sich dadurch gezwungen, schnell nachzuziehen. Zu einer für alle Schulbuchverlage verbindlichen Gleichzeitigkeit des Handelns hätte es, wie Michael Klett in der F.A.Z. kürzlich zu Recht bemerkte, einer kartellartigen Absprache aller Häuser bedurft – so etwas ist jedoch nun mal kartellrechtlich verboten. Und die von den Kultusministern 1996 in Abrede gestellten Kosten der neuen Rechtschreibung haben die Schulbuchverlage schließlich insgesamt mit 250 Millionen Euro belastet – auf die 1996 gültige deutsche Währung und Größenordnung umgerechnet: mit einer halben Milliarde Mark.

Die Schulbuchverlage haben es damals nicht an die große Glocke gehängt, weil sie mit den neuen Büchern schließlich auch eine Menge mehr Umsatz (und Gewinn) gemacht haben. Was übrigens auch die öffentliche Hand (die für Schule und Bildung zuständigen Bundesländer) – und damit die Steuerzahler – einen großen Batzen gekostet hat.

Die Kultusminister haben mittlerweile jedoch begriffen, was sie für ihre schöne Bescherung schlussendlich selber zu berappen hatten. Zudem sind die Zeiten andere geworden. Die Kassen der öffentlichen Hand sind leer. Von daher ist es, entgegen der Meinung von Dankwart Guratzch, absolut glaubwürdig, „wenn sich ausgerechnet deutsche Kultusminister nun plötzlich mit dem Kostenargument (der Verlage) solidarisieren“.

Die Kultusminister selber können sich nämlich die Kosten einer neuerlichen Rechtschreibumstellung einfach nicht leisten.

Betrachten wir, um es ganz deutlich zu machen, die ganze Chose aus ihrer Sicht noch mal in anderem Licht: Wenn die Kassen der Kultusministerien leer sind und sie wegen einer Rückkehr zur alten Rechtschreibung für die Schulen von neuem für die vielen neuen Bücher zu zahlen hätten, müssten sie notgedrungen bei den Schulen in anderen Bereichen, wo eigentlich längst nicht mehr gespart werden kann und darf, empfindliche Sparmaßnahmen ergreifen – ein öffentlicher Aufschrei wäre die Folge.

Dazu ein aufschlussreicher Nebenaspekt: Welche Kultusminister bzw. Ministerpräsidenten sprechen sich denn überhaupt klar für eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung aus? Nur die von Niedersachsen und Saarland. Also ausgerechnet die Bundesländer, deren Kassen von solcher Reform der Reform nicht betroffen wären – weil es dort keine Lernmittelfreiheit gibt. Dort müssen für die Schulbücher ja die Eltern blechen…

Überlegungen zur Abschaffung der Lernmittelfreiheit gibt es auch anderswo wie zum Beispiel in Bayern. Aber würde das Problem damit etwa gelöst? Mag sein, für die öffentliche Hand; vielleicht. Es würde ja umgewälzt auf die Eltern, auf die nach einer Schätzung pro Schulkind neue Ausgaben von jährlich an die 250 Euro zukommen würden. Doch vielen Haushalten würde solch eine finanzielle Zusatzbelastung durchaus Schwierigkeiten machen.

Über eine mögliche, wenn nicht langfristig gar wahrscheinliche Konsequenz daraus für die Verlage scheint man in deren Chefetagen noch nicht im klaren. Da sollten sie doch nur mal einen Blick in die Vereinigten Staaten werfen, wo der Markt für College-Textbücher sich in den letzten Jahren drastisch gewandelt hat. Da läuft inzwischen – wie es in Deutschland Anfang der 1950er Jahre gang und gäbe war, ein privater Handel, mehr noch aber floriert inzwischen – vor allem über Internet – das Geschäft mit gebrauchten Schulbüchern; eine Art modernes Antiquariat. Inzwischen haben auch Amazon und Ebay in Deutschland gesehen, dass hier eine große Nachfrage besteht. Was durch so etwas an Umsatz- und Gewinneinbußen für Schulbuchverlage wie Buchhandlungen auch hier zu Lande entstehen könnte, sollte man sich in einer ruhigen Stunde mal versuchen auszumalen.

Eine persönliche Bemerkung zum Schluss: Ich habe die deutsche Rechtschreibreform von Anfang an für einen unverzeihlichen bürokratisch politischen Blödsinn gehalten. Sie jetzt ebenso order per mufti rundum wieder rückgängig zu machen, einfach so, empfände ich als ebenso schwachsinnig und verantwortungslos. Wir haben in Deutschland genügend wichtigere, drängendere Probleme, um hier, statt – wie etwa in der Schweiz – pragmatisch nach einer bestmöglichen Lösung dieses durchaus bestehenden (kleinen) Problems zu suchen – Fundamentalismus zu praktizieren. Und dabei sollte man sich auch von gewissen Zeitungen und Magazinen nicht beirren lassen, die – so könnte es einem jedenfalls vorkommen – auf dem Boulevard einen Macht- und Marketingkrieg um „die Lufthoheit über die Stammtische“ inszenieren.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

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