Ulrich Störiko-Blume hat mit Kinder- und Jugendbuchverlage – Macher, Märkte, Medien (Bramann Verlag) vor ein paar Tagen ein Buch vorgelegt, das Anlass für das Thema unseres heutigen Sonntagsgespräches war: Kann man aus einem Buch lernen, wie man Kinderbücher verlegt?
Die Frage kann ich mir einfach nicht verkneifen: Kann man aus einem Buch wirklich lernen, wie man Kinderbücher verlegt?
Ulrich Störiko-Blume: Es gibt wenige Dinge, für die ein gutes Buch nicht hilfreich ist.
Lieber hätte ich Deine beruflichen Memoiren gelesen.
Es gibt Verlagsmacher, die genau das getan haben: z.B. Elisabeth Raabe (Eine Arche ist eine Arche ist eine Arche. Edition Momente 2015) und zuletzt Herbert Günther (Zwischen den Zeilen – Zwischen den Stühlen. BoD 2021).
Und warum nicht auch Du? Ich vermute, das wäre unterhaltsamer.
Ich habe mir überlegt, ein Sachbuch so zu schreiben, dass man in einer praxisnahen Kombination von gehaltvoll und unterhaltsam erfährt, was für ein hartes und zugleich herzerfrischendes Geschäft das Verlegen von Kinder- und Jugendbüchern ist.
Es ist aber auch ein dringend notwendiges Geschäft, da sind wir uns bestimmt einig.
Ja, das haben nicht nur die unglaublich guten Ergebnisse der Kinder- und Jugendbuchverlage während der Pandemie gezeigt, schon vorher hat der zweitgrößte Bereich der Buchbranche durch permanentes Wachstum deutlich gemacht, dass er ein wesentliches Moment ihrer Zukunftssicherung darstellt.
Wie ist es denn eigentlich zu Deinem Buch gekommen?
Ich werde immer wieder zu Vorträgen und Kursen an Ausbildungsstätten für das Buchwesen eingeladen und erfahre dort, was den Nachwuchs interessiert. Eines Tages hat Dr. Claudia Pecher nach einem Vortrag beim Institut für Jugendbuchforschung an der Goethe-Universität Frankfurt zu mir gesagt: »Schreib das doch mal auf, die Studenten*) wollen mehr darüber wissen!«
Geht es denn im Kinder- und Jugendbuch wie in der Belletristik nicht einfach darum, mit einigen Bestsellern den Rest des Programms durchzufüttern?
Es wird viel Schindluder mit dem Begriff ›Bestseller‹ getrieben. Natürlich will jeder Autor und jeder Verlag, dass sein Buch von möglichst vielen gelesen und dafür gekauft wird. Wir betreiben ein Geschäft und keine Wohltätigkeitseinrichtung. Das kann man gar nicht laut genug sagen, um den Anhängern der Gratis-Kultur und der Urheberrechtsschranken entgegenzutreten. Hans-Joachim Gelberg hat sinngemäß einmal gesagt: Bücher werden nicht geschrieben, weil es einen Markt gibt, sondern weil Autoren etwas zu sagen haben, das Leser bewegt. Diese uralte Spannung zwischen Kunst und Kommerz positiv zu gestalten – darum geht es.
Und Du hast den Mut der Welt zu erklären, wie das geht?
Ich habe eine Menge zusammengesucht, was Autoren, Übersetzer, Illustratoren, Inhaber-Verleger und Manager-Verleger zu ihrer Arbeit gesagt haben, und lasse sie zu Wort kommen. Und es werden viele Aspekte der praktischen Arbeit behandelt, beispielsweise: Warum man einen Verlagsvertrag braucht und was darin geregelt sein sollte. Wie man ungute Lagerbildungen in Verlagen vermeidet. Wie unendlich wertvoll die Arbeit guter Lektorinnen ist.
Werden die nicht bald von Künstlicher Intelligenz ersetzt?
Das ist ein wahnsinniges Mode-Thema von Leuten, die es nicht gut mit der Literatur meinen, und die Verlagen dazu raten, ihre raffinierte, aber in Wahrheit total beschränkte Software zu kaufen statt gute Lektorinnen einzustellen. KI kann und wird eine große Hilfe sein in Medizin, Technik, Umweltforschung etc. Warum sollten Menschen eine ureigene menschliche Tätigkeit wie das Schreiben, Illustrieren und Bearbeiten von Kinderbüchern, die Handwerk und Kunst in sich birgt, aus der Hand geben?
Aber muss denn nicht auch in Kinder- und Jugendbuchverlagen heftig umgedacht werden?
Was die Verlage betrifft, kommt man mit einer Haltung à la »Das haben wir schon immer so gemacht« in ruhigen Zeiten vielleicht durch – wer genau hinschaut, der weiß, dass wir noch nie ›ruhige Zeiten‹ erlebt haben. Innovation ist eine ständige Aufgabe, im Programm wie in der Arbeitsweise.
Verlieren die Kinderbuch-Klassiker nicht an Bedeutung?
Es ist wie im wirklichen Leben: Wir brauchen die Jungen, die Mittleren und die Alten. Eine Dita Zipfel ist ein Gewinn, eine Tamara Bach eine zuverlässige Überraschungsgröße – aber es wachsen immer neue Kinder nach, die ihre Freude an einem Leo Lionni, einem Josef Guggenmos, einer Mirjam Pressler oder einer Christine Nöstlinger haben. Und genau das, der hohe Backlist-Anteil, macht das Kinder- und Jugendbuch so besonders vital. Übrigens brauchen wir dafür keine auf gegenwärtige und morgen auch bereits wieder veraltete ideologische Maßregeln hin frisierte Neufassungen – was wird dann aus dem Urheberrecht, dem Respekt vor der künstlerischen Freiheit und dem Verständnis für geschichtliche Entwicklung? Geschichte verstehen heißt ja nicht: alles gutheißen, was gedacht und geschrieben wurde.
Für wen hast Du eigentlich das Buch gedacht?
Für alle, die einen Beruf im Kinder- und Jugendbuchbereich ergreifen wollen und entsprechende Studiengänge belegen, sei es im Hinblick auf Verlag, Buchhandel oder Selbstständigkeit. Da ja niemand als fertig ausgebildete Lektorin, Pressereferentin oder Lizenzverkäuferin das Verlagsgebäude betritt, ist es auch beim ersten Schwimmen im kalten Wasser der Wirklichkeit gut einsetzbar.
*) Die Fragen stellte Christian von Zittwitz. Ulrich Störiko-Blume sagt zu dem Zitat oben: „Sie hat wahrscheinlich »Studierende« gesagt, weil man jetzt im Hochschulbereich gehalten ist, das so zu sagen. Ich unterwerfe mich diesem gutgemeinten, aber die Sprache missverstehenden und missbrauchenden Regelungswahn nicht“.