Der andere Fragebogen Wie war Ihr Jahr, Ulrich Störiko-Blume?

Ulrich Störiko-Blume: „Warum führen dieselben Buchhändler, die über den zu großen Neuheiten-Ausstoß der Verlage klagen, zahlreiche Titel, die offensichtlich me too-Produkte, wenn nicht fast schon Plagiate sind?“

Seit dem 06. Dezember (Nikolaustag) fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2020 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“.  Heute beantwortet der Literaturagent Ulrich Störiko-Blume unseren „anderen“ Fragebogen:

Wie war Ihr Jahr?

Entsetzt im Großen über die Lumpen-Bourgeoisie (den Ausdruck habe ich frisch von Claudio Magris gelernt), die in USA, dem bald nicht mehr vereinigten Königreich und anderen Ländern herrscht – entzückt im Kleinen darüber, dass über meine ProjektAgentur in diesem Jahr 16 Bücher erscheinen konnten.

Welcher Tag war Ihr schönster in diesem Jahr?

Der 28. Februar: Mein siebtes Enkelkind wurde gesund und munter geboren.

Worüber haben Sie sich 2019 am meisten geärgert?

Dass es immer noch Kinderbuchverlage und Kritiker gibt, die ohne Bedenken den Begriff „kindgerecht“ verwenden. Wer so denkt, hat weder Kinder noch die Verantwortung für Kinder verstanden.

Was war 2019 Ihr schönster Erfolg?

Heinrich Böll Irisches Tagebuch mit großem Genuss wiedergelesen und endlich (zum ersten Mal) in Irland gewesen.

Und Ihr traurigster Misserfolg war …?

Ich habe wieder nicht wirklich Klavier gespielt.

Ihre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag in diesem Jahr?

Die Buchhandlung Lehmkuhl in München-Schwabing. Wenn ich was auf die einsame Insel mitnehmen dürfte, dann diese Buchhandlung. Falls es ein bisschen eng würde, dann wenigstens den Flügel mit den Büchern drauf und die Kinderbuchabteilung.

Der Gerstenberg Verlag: Das ganze Team ist nimmersatt nach neuen Autoren, die etwas zu sagen haben, und Illustratoren, die uns die Welt auf ihre Weise sehen lassen.

Von welchem Thema wollen Sie (warum) im kommenden Jahr nichts mehr lesen?

Dass mit KI beachtenswerte Kunst geschaffen und lesenswerte Bücher geschrieben werden können. Mit noch so komplexen Rechenfertigkeiten wird Kreativität, Originalität und Individualität allenfalls simuliert. Warum, wenn nicht aus finanziellen und machtpolitischen Interessen, wird so etwas betrieben?

Und über welches Thema wollen Sie mehr lesen?

Wie man die Lesekultur bei der nachwachsenden Generation erhält und ausbaut, ohne für einen Dinosaurier oder Titanic-Geiger gehalten zu werden.

Welchen Fehler aus diesem Jahr möchten Sie im kommenden Jahr vermeiden?

Bei Vorträgen und Debatten die ständig wiederkehrenden Wortmissbräuche zu zählen: pseudo-intellektuelle wie „sozusagen“, selbstbestätigende wie „genau!“ und unsinnig-floskelhafte wie „sehr, sehr“.

Und welchen Fehler werden Sie trotzdem wiederholen?

Da viele akademische, journalistische oder schriftstellerische Redner sich diesen Quatsch nicht so schnell abgewöhnen, werde ich weiter zählen müssen.

Welches Buch hat Ihnen in diesem Jahr besonders viel Freude gemacht?

Maryanne Wolf Schnelles Lesen – langsames Lesen. Dieses Buch gehört auf den Tisch der Bildungspolitiker.

Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?

Weltverbessern für Anfänger von Stepha Quitterer (Gerstenberg). Die Welt wird nicht besser, wenn wir nur grimmig schauen – wir müssen auch über die Versuche dazu lachen können.

Von wem würden Sie gern auch mal die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?

Kirsten Boie.

Und welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie gern beantwortet?

Warum führen dieselben Buchhändler, die über den zu großen Neuheiten-Ausstoß der Verlage klagen, zahlreiche Titel, die offensichtlich me too-Produkte, wenn nicht fast schon Plagiate sind?

Hier können Sie die auch beantworten:

Die Vielfalt unserer Verlags- und Buchhandelswelt wird in Sonntagsreden beschworen (zurecht, und es gibt zum Glück viele, die das auch praktizieren), aber die Einfalt und Macht der Zentraleinkäufer-dominierten Ketten untergräbt das.

Gestern antwortete Klaus Schöffling und Dr. Andreas Geiger auf unseren anderen Fragebogen, morgen befragen wir Annabel Lammers

 

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