Martin Hochrein über das aktuelle Jahrbuch der Leipziger Buchwissenschaft „Die Zukunft der Buchwissenschaft ist leider genauso unsicher wie die der Flachware“

Ende des Jahres wird die achte Ausgabe der FLACHWARE, dem Jahrbuch der Leipziger Buchwissenschaft, erscheinen. Woher der Name Flachware kommt, und ob das Jahrbuch eine Zukunft hat – das war Anlass für Fragen an Martin Hochrein, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Leipziger Buchwissenschaft und Herausgeber des Jahrbuchs.

Martin Hochrein: „Es scheint absehbar, dass es keine Buchwissenschaft an der Universität Leipzig mehr geben wird, und das wird leider auch bedeuten, dass das Medium Buch in der Messestadt weiter an Aufmerksamkeit verlieren wird“ (c) Lisa Ossowski

 

Herr Hochrein, im aktuellen Band 7 des Jahrbuches Flachware gibt es einen spannenden Text über meinen Freund Lutz Lewejohann und dessen „sächsische Rosinen“. Diese Buchhändlergeschichte planen wir im BuchMarkt auszugsweise zu veröffentlichen.

Martin Hochrein: Sie meinen den Beitrag von Elisa Hefter, der auf ihrer Masterarbeit basiert. Ein toller Aufsatz, der auch als einzelner Text wunderbar für das Jahrbuch als Ganzes steht. Und das ist nicht einmal die einzige Geschichte, die die Lektüre des Jahrbuchs lohnenswert macht. Daneben stehen acht weitere Texte unter anderem von Dr. Jan-Pieter Barbian, dem Direktor der Stadtbibliothek Duisburg, der regelmäßig zur Kulturgeschichte der NS-Zeit publiziert, und unserem Prof. Dr. Siegfried Lokatis.

Ist es noch lieferbar? 

Diese aktuell siebte Ausgabe des Jahrbuchs ist nach wie vor bei Hauswedell lieferbar.

Und warum gibt es das Jahrbuch, zum Üben des Handwerks?

Tatsächlich ja. Unser Jahrbuch entsteht in sogenannten „Redaktionswerkstätten“. Das sind Praxis-Seminare, in denen jeweils 20 Studierende an der nächsten Ausgabe basteln. Dort beginnt die Arbeit damit, Abschlussarbeiten zu sichten und mit den Autorinnen in Kontakt zu treten. Darauf folgt das Lektorat der Beiträge und schließlich wird das Seminar um weitere Themen wie die Covergestaltung und die Werbebemühungen erweitert. Auf diese Weise erhalten die Studierenden einen Einblick in die Aufgaben der Manuskripterstellung und Buchherstellung und können am Ende ein Buch vorweisen, an dem sie direkt mitgewirkt haben.

Für die Leipziger Buchwissenschaft ist das Jahrbuch aber genauso wichtig, wie ich vermute …

Wieder ja, für uns dient die Flachware als Bühne, um die Themen des Fachbereichs zu veröffentlichen und auch Menschen außerhalb der wissenschaftlichen Blase an unseren Themen teilhaben zu lassen. Dabei stehen die Beiträge junger Studierender neben den Aufsätzen etablierter Wissenschaftlerinnen.

Es geht immer um das Medium Buch …

Genau, das Buch steht immer im Zentrum und wird aus allen erdenklichen Blickwinkeln betrachtet. Wiederkehrende Themen sind dabei das Büchermachen während der NS-Zeit, in der DDR und der BRD, sowie Fragen zur Buchästhetik, dem Büchersammeln und dem Buch im 21. Jahrhundert. Einmal geht es darum, welchen Käfern Bücher aus welchem Jahrhundert am besten schmecken, dann um E-Books in deutschen Gefängnissen und schließlich um kosmische Bibliotheken der Science-Fiction.

Durch Klick auf Cover zum Verlag

Ich merke auf einmal, wie spannend ich das finde. Nur mit dem Namen „Flachware“, dem Namen des Jahrbuchs, kann ich nichts anfangen.

Der entstammt dem Vokabular der Ausstellungsmacherinnen. So bezeichnen sie die flachen Objekte, die als schwer ausstellbar gelten. Eine Erfahrung, die die Leipziger Buchwissenschaft seit Jahren während der BuWision macht: Immer zur Leipziger Buchmesse finden unsere Bestände den Weg in die Schaufenster der Stadt, um sich den zahlreichen, buchaffinen Besucherinnen zu präsentieren. Hier hat es einige Jahre Erfahrung gebraucht, damit unsere flache Ware nicht einfach neben Schaufensterpuppen gelegt wird, sondern Eingang in elaborierte Auslagengestaltungen findet.

Diese beliebten Ausstellungen haben möglicherweise keine Zukunft.

Ja, die Zukunft der BuWision ist leider genauso unsicher wie die der Flachware. Ob die nächste Flachware, die Ende dieses Jahres erscheinen wird, gleichzeitig auch die letzte sein wird, ist aktuell unklar. Mit der Emeritierung von Prof. Lokatis scheint absehbar, dass es keine Buchwissenschaft an der Universität Leipzig mehr geben wird, und das wird leider auch bedeuten, dass das Medium Buch in der Messestadt weiter an Aufmerksamkeit verlieren wird.

Darüber  hatte ich im vorigen Jahr schon mit Prof. Lokatis gesprochen und auf positivere Entwicklung  gehofftGibt es denn wirklich keine Hoffnung?

Gute Frage. Ganz aktuell hat Torsten Casimir das „Drama um die Buchwissenschaft“  beschrieben. Kritik an der aktuellen Entwicklung kommt aus verschiedenen Ecken. Wie die Reaktion darauf aussehen wird, ist nicht absehbar.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

Kommentare (1)
  1. Diese Gefahr droht auch der Mainzer Buchwissenschaft, allerdings auf subtilere Weise. Ein eigenes Profil ist wenig erkennbar, die Dominaz zur berufsbezogenen Praxis läßt die Nähe einer Fachhochschule oder Hochschule erkennen, welches wissenschaftlicher Forschung kaum Raum läßt. Die modische Relevanz der Medienkonvergenz spielt auf einem ganz anderen Tablet. Der Forschungsgegenstand historischer Buchwissenschaft als Voraussetzung unseres heutigen Buchwesens ist kaum noch erkennbar. Mainz hätte die idealen Voraussetzungen Produktion, Distribution und Rezeption in Gegenwart und gleichgewichtig Vergangenheit als Forschungsgegenstand sichtbar zu betreiben. Wer den Artikel Buchwissenschaft(en) bei Wickipaedia liest kann pessimistisch werden….

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